Ich bin über Land im Cabrio auf kleinen Seitensträßchen in den Norden gefahren. Da ich nicht mehr als 300 Kilometer pro Tag im Wagen sitzen mag, und das entspannt, habe ich in einem kleinen Landgasthof am Rande der Fränkischen Schweiz Station gemacht. Dort habe ich Emma getroffen und mich spontan – verliebt wäre ein zu starkes Wort – sagen wir, begeistert. Emma ist 44, was die Volumenprozente Alkohol angeht, sieht – ähhh, schmeckt – man ihr gar nicht an, sie ist trotz der Umdrehungen mild und sanft. Emma ist ein Gin – keinesfalls zu verwechseln mit dem unsäglichen Emma Gin mit Himbeeren aus Waldeck –, genauer ein Dry Gin, sie wohnt mit ihren Brüdern – sehr ordentlichen Obstbränden von heimischen Streuobstwiesen – im Hause Zehner in Drosendorf. Dort betreiben die Zehners seit Generationen einen Gasthof mit eigener Landwirtschaft und einer Brennerei. Dieser Brennerei ist auch Emma entsprungen, als „erstes feminines Feindestillat“, wie der Etikettenaufdruck verspricht. Die Zehners wollten wohl einfach auf der Gin-Hype-Welle mitschwimmen und machten sich an’s Experimentieren, ziemlich erfolgreich, was den Geschmack anbelangt. Die heiß mazerierten Botanicals sind – natürlich, wie meist – streng geheim, ich vermeine, Zimt, Lakritz, Süßholz, Koriander und Zitronenschale zu schmecken, nur relativ wenig Wachholder. Als Grundalkohol dient Primasprit aus Korn. Emma ist mild und schmeichlerisch am Gaumen, deutliche süßliche Noten auf der Zunge, doch dann unvermittelt etwas ruppig im Abgang. (Ich male mir gerade vor Augen die Diskussionen unter Woke-Wixern aus, ob ein femininer Gin denn überhaupt süßlich sein dürfe, und nicht viel mehr moralin-sauer wie Alice Schwarzer oder scharf auf der Zunge, banal im Geschmack, übel im Abgang wie Luisa Neubauer sein müsse.) Emma funktioniert als Tonic, durchaus auch pur oder auf Eis, selbst in der Königsklasse, dem Martini Cocktail extra dry, macht sie eine gute Figur. Die – obligatorische – Marketing-Mär zu Emma ist relativ harmlos gehalten: während des Ersten Weltkriegs schickte der Ur-Ur-Großvater der heutigen Zehner-Wirte einen Brief aus dem Felde in den Niederlanden nach Hause; dort schrieb er von einem örtlichen Wachholderschnaps – gemeint war Genever – den sie dort tränken; und im gleichen Brief lies er seine Enkelin Emma grüßen. So wie Eins und Eins Zwei ergeben, ergeben Genever und Gin eben Emma, was nichts anderes (und nicht weniger) als der Name der Großmutter der heutigen Schnapsbrenner ist. Maiores honorandi und so …
Mit rd. 60 EURO pro Liter ist Emma im mittleren Preissegment der small batch, handcrafted Gins angesiedelt. Vergleicht man das einmal mit hervorragenden, aber eben professionell im Labor entwickelten, industriell produzierten und mit viel Aufwand vermarkteten Gins, so ist das schon recht viel Geld. Jenseits der Fusel-Gins für 9,99 EURO aus dem Discounter bekommt man einen Gordons (auch wenn manche jetzt die Nase rümpfen, auf den Gordons lasse ich nichts kommen) für 20 EURO den Liter, einen Tanqueray #10 für 30 EURO, einen Botanist für 40 EURO. Wenn man das ausschweifende, blumige, meist frei erfundene, beliebige Marketing-Bla-Bla dieser Spirituosen einmal ignoriert, so muss man konzedieren, dass Gordons, Tanqueray, Botanist & Co. sehr gute, aber seelenlose, eben industrielle Massenprodukte sind, genauso wie Klopapier oder Spülmittel. Diese billigen, industriellen Produktions- und Vertriebsweisen und die Skaleneffekte durch massenhaften Absatz haben die ganzen small batch, handcrafted Klein-Destillen gerade nicht, da steht ein Brennmeister noch selber an der Blase und meist Familienmitglieder füllen das Destillat ab, verkorken Flaschen und kleben Etiketten. Und von irgendwas muss so ein Klein-Brenner ja auch leben, da kann er mit den Preisen der industriellen Konkurrenz nicht mithalten. Was der Käufer dafür meistens (nicht immer!) als Mehrwert bekommt, ist nicht unbedingt ein besserer, herausragender, exzeptioneller Gin, sondern ein individueller Gin mit Seele und Herzblut, dazu noch das gute Gefühl, „die Kleinen, Heimischen“ zu unterstützen, und schließlich auch noch Sozialprestige als Connaisseur, wenn man einen unbekannten Gin in der Bar stehen hat und seinen Gästen die Geschichte von dem kleinen Brenner erzählen kann, den man persönlich entdeckt und besucht hat. So ein Gin ist auch Emma.
Emma ist sehr gut und macht Spaß, vielleicht nicht als Gin für’s Leben, aber wenigstens für den einen oder anderen One-Night-Stand.
Zu beziehen über: https://www.dorfkaufhaus.de/die-destillate/geist/gin-emma-44