Marginalie 68: Vom Reiz des Immer-Gleichen

Ich muss zugeben, bei aller Neugier, bei allem Reiz des Neuen, zuweilen bin ich ein Gewohnheitstier, und zwar sowas von … Natürlich muss ich in’s Sushi Sho wenn ich in Stockholm bin, in’s Le Quincy in Paris, Nordseeseezunge mit Bratkartoffeln im Butt in Jever, zum Pakistaner in’s Lahore Kebab House in London, Schnitzel bei Grolls in Nordhessen, Steak im Keens in New York, Clubsandwiches auf der Terrasse des Esplanade in Zagreb … das ist alles sowas von gesetzt, ich käme niemals auf die Idee, dort nicht automatisch hinzugehen, wenn ich in der Stadt bin. Diese Automatismen gehen manchmal 5 oder 10 Jahre gut, dann wechselt der Pächter, oder der Chef verfällt dem Alkohol und anderen Drogen (passiert öfters, als man denken sollte), oder die Alten übergeben an die Jungen, die alles ganz anders machen wollen, oder der Laden geht pleite, oder das Management missmanaget, oder das Haus wird abgerissen, oder die Eigentümer werden gierig und schicken Unternehmensberater zur Profit-Optimierung, es gibt tausend Gründe, warum ein gutes Restaurant vor die Hunde gehen kann, aber nur ein paar Dutzend Gründe, warum aus einem durchschnittlichen Restaurant ein richtig gutes Restaurant werden kann, und „gutes Restaurant“, das ist immer ein äußerst fragiler Zustand, der viel Pflege und Aufmerksamkeit und Arbeit braucht, um erhalten, gar noch verbessert zu werden. Wenn mich solch ein Stammrestaurant einmal so richtig enttäuscht – sei es die Küche, sei es der Service, sei es das Ambiente –, dann gehe ich meist noch einmal hin, und ist es dann wieder schlecht, dann bin ich weg als Gast, für immer und ewig, nur bei Restaurants, die ich sehr, sehr mag, komme ich vielleicht noch ein weiteres Mal, bevor ich den Stab endgültig breche. Manchmal funktionieren diese Automatismen von durchgängig guten Restaurants aber auch 10, 20, 30 Jahre, und das ist dann sehr schön, der Erbprinz in Ettlingen zum Beispiel oder das Sora Lella in Rom oder der Renner in Wien. Ich mag das zuweilen, ein Restaurant bereits zu kennen, vielleicht sogar selber gekannt zu werden, zu wissen, was mich im Großen und Ganzen erwartet, um mich ganz auf die Neuerungen im Detail konzentrieren zu können, oder auch, um mich daran zu freuen, dass es eben keine Neuerungen gibt sondern alles wie vor Jahr und Tag ist. „Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“, dieser Spruch vom Unternehmer Philip Rosenthal wird auch immer gerne wieder von Spitzenköchen zitiert, und sie jagen sich mit diesem Spruch selber vor sich her, produzieren am laufenden Band Neuerungen, die kein Mensch wirklich braucht, wer redet heute noch von Molekularküche? Das Zürcher Geschnetzelte als Mantra in der Kronenhalle in Zürich, das Tag um Tag, Woche und Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr in der gleichen Weise mit er gleichen Perfektion zubereitet wird … ist das etwas Schlechtes, muss man Granatapfelkerne oder Seehecht dazu geben, damit es neu und hipp und innovativ wird? Ich sage nein, wer mir Granatapfelkerne oder Seehecht in’s Zürcher Geschnetzelte schmuggelt, wird erschossen.

Das alles ist am Ende ein Trade-off. Jeden Tag Schnitzel, Pizza, Zürcher Geschnetzeltes, Burger, von mir aus auch Kaviar, ich wäre der erste, der maulend und stänkernd durch die Gegend liefe. Aber jeden Tag Neues, Anderes, Innovatives, Unbekanntes, das muss auch nicht sein, diese Foodhunter, die kaum ein Gericht mehrmals essen, weil sie stets dem Neuen hinterherhecheln. Dabei ist es einerlei, ob diese Foodhunter das Teurere, Seltenere, Exklusivere suchen, oder das Kompliziertere, Schwierigere, Aufwändigere, oder das Exotischere, Entferntere, Unbekanntere, oder das Ekligere, Ursprünglichere, Unappetitlichere, oder das Gesündere, Natürlichere, Ökologischere, oder das Große, Größere, Größte … ihnen allen gemein ist, dass sie krankhaft Getriebene sind, die ein ziemlich gestörtes Verhältnis zum Etablierten, Althergebrachten, Gemeingut haben, für sie zählt nur das Neue. Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte, mal ein Schnitzel, mal frittierte Heuschrecken, aber beides ausgewogen, in Maßen.

 

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