Der Massentourismus frisst seine Wirte – und die fangen an, sich zu wehren

Zuweilen verwende ich hier auf opl.guide den Begriff „touristisch verlauster Ort.“ Das hat mir viel, sehr viel Ablehnung eingebracht, mal kluge Kritik, mal einfach nur wüste Beschimpfungen, ich nehme an, letztere stammen meist von den Läusen selber. „Touristisch verlaust“ sind für mich Orte eigentlich schon, wenn mehr als zehn Prozent der Leute auf der Straße und in den Gasthäusern keine Einheimischen sind, aber da halte ich mich noch zurück; aber bei mehr als 50 Prozent kommt mir die Galle hoch. Um mal ein paar konkrete Zahlen zu nennen: Lampedusa hat 6.700 Einwohner und jährlich rd. 200.000 Touristen, Hallstatt im Salzkammergut hat sogar nur 750 Einwohner und pro Jahr über eine Million Besucher. Da macht reisen keinen Spaß mehr, weniger den Reisenden als vielmehr den Bereisten, auch wenn die Reisenden hervorragende Geld-Milchkühe für einzelne der Bereisten sein mögen, die man ohne viel Aufwand und ohne jeden qualitativen Gegenwert gut und reichlich melken kann.

Anscheinend ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich triumphierend sagen kann: „Ich hab’s doch schon immer gesagt!“ Doch nein, ich triumphiere nicht, ich bin eher traurig. Aber gesagt hab‘ ich’s trotzdem schon immer. Seit dem Ende der kollektiven Hysterie und der staatlichen Freiheitsbeschränkungen läuft er wieder so richtig an, der massenhafte Massentourismus; und in den Medien häufen sich die Berichte, dass Top-Destinationen anfangen, sich gegen diesen massenhaften Massentourismus zu wehren, auch und gerade mit der erwarteten Folge, dass tatsächlich weniger Touristen kommen, vor allem Billig-Touristen, die viel Lärm, Ärger und Dreck, aber wenig Geld mitbringen, kompensiert durch etwas mehr Teuer-Touristen mit weniger Lärm, Ärger und Dreck, aber viel mehr Geld, und vor allem mit einer befriedeten heimischen Bevölkerung, die des Morgens nach einer lärmenden Feier-Nacht nicht mehr regelmäßig gebrauchte Kondome aus den zertrampelten Vorgärten entsorgen muss.

  • So haben die italienischen Inseln Lampedusa, Linosa und Procida ausländische Autos ganz verboten. An der Amalfiküste dürfen ausländische Autos nur noch jeden zweiten Tag fahren, je nachdem, ob die letzte Ziffer auf dem Nummernschild gerade oder ungerade ist.
  • Die toskanische Insel Giglio erhebt eine Eintrittsgebühr von 3 EURO pro Tag, ähnliches plant Venedig seit geraumer Zeit für Tagestouristen. Für die schönsten Strände Sardiniens gibt es Besucherobergrenzen und ebenfalls Eintrittsgebühren, nur vorab buchbar über das Internet; außerdem sind Badehandtücher am Strand verboten, weil dort zu viel Sand hängen bleibt und von den Stränden weggetragen wird, erlaubt sind nur noch Badematten. Spontane Urlaubsfreuden sehen anders aus.
  • Die griechische Insel Santorini (17.400 Einwohner) hat die Anzahl der Kreuzfahrtschiffpassagiere, die auf die Insel dürfen, auf 8.000 pro Tag beschränkt (und selbst das ist für meinen Geschmack sehr viel, wer einmal erlebt hat, wie es in den touristischen Altstädten von Dubrovnik, Barcelona, La Spezia oder Puerto Plata aussieht, wenn diese schwimmenden Monsterhotels ihre geriatrische Fracht für ein paar Stunden auskotzen, der weiß, was ich meine). Außerdem dürfen auf Santorini Menschen, die schwerer als 100 Kilo sind, nicht mehr auf Eseln reiten.
  • Hallstadt, dieses pittoreske österreichische Dörfchen, das zum UNESCO-Welterbe gehört, von dem es in China einen kompletten Nachbau mit den alten Holzhäusern und dem typischen Kirchturm gibt und dem die Kulisse in Disney-Film „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ nachempfunden ist, wehrt sich an der schönsten Aussichtstelle des Ortes mit Blick auf See, Dorf und Alpenpanorama mit einem genau diese Aussicht verstellenden Zaun gegen Selfie-Touristen; offiziell dient dieser Zaun dem Vermeiden größerer Menschenansammlungen, was die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnte.
  • Auch Portofino an der italienischen Riviera di Levante, südlich von Genua, hat Verweilverbotszonen für die Stellen mit den schönsten Ausblicken auf den schönen Hafen erlassen; hier werden ebenfalls Sicherheitsgründe als Begründung angeführt. Außerdem verboten ist es, mit freiem Oberkörper, Badehose, Badeanzug, Bikini oder barfuß durch das Städtchen zu laufen, ebenso Schläfchen im Freien und Picknicks auf öffentlichen Plätzen.
  • Im spanischen Barcelona weht Touristen schon seit längerer Zeit ein rauer Wind in’s Gesicht. Bei aller spanischen Gastfreundschaft merkt man ganz deutlich, dass man hier als Fremder oft nicht mehr willkommen ist, einfach weil’s zu viele sind. Jetzt hat die Stadt verfügt, dass Reisegruppen maximal in einer Größe von 30 Personen durch die Stadt laufen dürfen; für berühmte Touristenattraktionen gibt es schon länger Zugangsbeschränkungen.
  • Südtirol hat in seinem Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ die Einführung einer Bettenobergrenze geplant, zu den bestehenden Betten in touristischen Betrieben sollen keine neuen mehr hinzukommen dürfen, man setze auf qualitatives, statt quantitatives Wachstum.
  • Auch die spanische Insel Lanzarote hat sich zur „touristisch gesättigten Zone“ erklärt und will ebenso wie Südtirol nur noch qualitativ, nicht mehr quantitativ wachsen, besonders britische Sauftouristen sind nicht mehr willkommen.
  • Amsterdam hat eine „Stay away“ Kampagne gestartet, um Drogen-, Sauf- und Ficktouristen fernzuhalten.
  • Malcolm Bell, der Chief Executive des Tourismusverbandes Visit Cornwall spricht in einem Interview ganz offen von „effing emmets“, vielleicht am besten zu übersetzen mit „verdammte Massentouristen“, die man in Cornwall nicht mehr haben wolle.
  • Das indonesische Bali hat ein „Good Tourist Guidebook“ herausgebracht, um das schlimmste Fehlverhalten von westlichen Touristen zu verhindern (erst im Mai hat eine 28-jährige Touristin splitterfasernackt eine heilige Tanzvorführung in einem Tempel auf Bali gestört), außerdem ist eine Tourismus-Steuer von 45 bis 150 US-Dollar (pro Tag!) geplant. Bhutan, das kleine Königreich im Himalaya, verlangt bereits heute 40 US-Dollar für ein Visum und täglich 200 US-Dollar Tourismus-Steuer. Thailand ist mit seinen 8 US-Dollar Tourismus-Steuer pro Tag regelrecht preiswert.
  • Mallorca schließlich hat seine ohnehin schon lange Verbotsliste für Touristen in diesem Jahr nochmals deutlich erweitert und die Strafen verschärft: aufblasbare Sexpuppen, Trinkgelage auf der Straße oder am Strand, Flatrate-Saufen, Werbung für Alkohol, Kostüme, Megafone, Lautsprecher, Wildpinkeln, Sex am Hotelzimmer-Fenster, … alles ist jetzt verboten. Und warum sollte man dann doch nach Mallorca fahren, könnte man jetzt zynisch fragen.

Die Urlaubsdestinationen wehren sich mittlerweile also vermehrt gegen ihre Geldbringer. Zum einen wehren sie sich mit Autoverboten, Eintrittsgeldern und Tourismus-Steuern gegen die schiere Masse; das richtet sich gegen alle Touristen, egal ob kunstbeflissene Entdecker oder Familien oder Sauftouristen. Zum anderen wehren sich die Destinationen mit massiven Verboten und Strafen gegen die rüpelhaften Sauf- und Partytouristen. Was aber bedeutet das?

Die Zahl der Übernachtungen im Gastgewerbe (Geschäfts- und Urlaubsreisende) lag im Jahr 2022 in der EU bei insgesamt 1,01 Milliarden (im Jahr 2019 waren es noch 1,18 Milliarden). Sollte man die Zahl der Übernachtungen reduzieren, um die Zahl der Touristen in den Destinationen zu reduzieren? Das ginge durch massive Preiserhöhungen und Steuern. Das hieße dann, dass sich Chantalle Brobowski, fleißige Friseuse aus Gelsenkirchen, nur noch zwei statt drei Wochen Urlaub leisten kann. Oder sie weicht auf Destinationen aus, die noch preiswerter sind, Bulgarien ist hier gerade im Kommen – oder sie pfeift auf Strand und Party und fährt zum Wandern in’s Sauerland. Europaweit hieße das Erste, dass die Zahl der Übernachtungen und damit der Menschendruck auf die Destinationen zurückginge; das Zweite bedeutete, dass zwar die Zahl der Übernachtungen gleichbliebe, sich aber auf mehr Destinationen verteilte, so dass der Menschendruck auf die einzelnen, bisherigen Destinationen ebenfalls zurückginge (in anderen Destinationen dann aber gleichzeitig anstiege). Ich bin der Letzte, der Chantalle Brobowski, der fleißigen Friseuse aus Gelsenkirchen, ihren Urlaub nicht gönnt. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass die Politirrwische in der Narrenhauptstadt das ihre dazu beitragen werden, Chantalle Brobowski ihren Urlaub zu vermiesen, der Flug nach Malle für 99 EURO wird bald Geschichte sein, weil Fliegen per se böse ist und höher besteuert werden wird. Doch selbst wenn Chantalle Brobowski mit dem 49 EURO Ticket in’s Sauerland zum Wandern fährt, wird der Wirt ihr dort die Kosten für Zwangswärmepumpe, teuren Strom, gestiegene Lebensmittelpreise, Umweltauflagen und was sonst noch auf den Pensionspreis umlegen müssen.

Um ehrlich zu sein, ich erwarte folgendes:

  1. Der Menschendruck durch deutsche Urlauber wird in den nächsten Jahren abnehmen, ganz einfach, weil wir uns durch massiven Wohlstandsverlust in Zukunft weniger Urlaub werden leisten können, also mehr Balkonien statt Bali (es sei denn, man ist Straßenkleber). Das wird sich hoffentlich wieder ändern, wenn wir wieder eine halbwegs vernünftige und kompetente Bundesregierung haben.
  2. Der Menschendruck auf Urlaubsdestinationen durch Leute aus Ländern mit vernünftigen Regierungen, die sich um das Wohl ihrer Bürger bemühen, wird weiter zunehmen, da beißt die Maus kein Faden ab, das ist ein stark wachsender Markt. Die weltweiten Ausgaben für Tourismus betrugen lt. Statista im Jahr 2000 495 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2019 bezifferten sie sich auf bereits 1.481 Milliarden US-Dollar, eine Verdreifachung in knapp 20 Jahren. Wachstumstreiber werden hier weniger die Europäer sein als vielmehr Millionen und Abermillionen wohlhabend gewordener Bürger in den Industrie- und Schwellenländern Asiens und Südamerikas, die auf gepackten Reisekoffern sitzen für ihren „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“-Trip.
  3. Wachsende Märkte locken immer neue Spieler an. An populären Destinationen, die sich nicht wehren, werden weitere Bettenburgen entstehen, die die Landschaft verschandeln und die Strände und Altstädte mit noch mehr Menschen fluten. Wenn sich die Destinationen mit Bauverboten und/oder hohen Abgaben gegen noch mehr Massentourismus wehren, werden die Investoren auf andere Standorte ausweichen, um dort Bettenburgen zu errichten, nicht nur in logistisch günstig gelegenen Ländern wie Türkei oder Bulgarien, sondern weltweit, jungfräuliche, hübsche, warme Orte findet man noch viele, halb Arabien rüstet gerade touristisch massiv auf.
  4. Die Destinationen, die sich wehren, werden das zum einen über Verbote machen, die den Ort für Sauf- und Partytouristen zunehmend unattraktiver machen, so dass sie ausbleiben; zum anderen werden sie sich über die Preise wehren, so dass sich nicht nur Sauftouristen, sondern auch Geringverdiener und Familien ausbleiben, die Umsatzeinbußen bei „Billig-Touristen“ werden sie versuchen, durch „höherwertige Touristen“, die mehr Geld ausgeben, zu kompensieren, in Summe ergäbe das dann weniger, aber solventere Touristen. Man könnte auch sagen, mehr und mehr Destinationen werden sich nur noch Besserverdiener mit halbwegs gutem Benehmen leisten können, die anderen werden in die neu entstehenden Destinationen verdrängt oder müssen eben zuhause bleiben und dort Party machen.

Eines jedenfalls steht fest: der Tourismus-Markt wird sich schon kurzfristig verändern, und die Touristen werden das merken.

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One comment

  1. ein Italienliebhaber

    Sehr geehrter Herr Opl,
    wenn Sie schon so neumalklug Ihren blog nutzen, um nicht nur über Gastro oder touristische high- bzw. downlights zu berichten und darin ihre rechts orientierte politische Meinung zu verpacken, dann sollten Sie zumindest besser recherchieren: Portofino ist KEIN Ort der Cinque Terre. Diese besteht lediglich aus den Örtchen „Monterosso al Mare“, „Vernazza“, „Corniglia“, „Manarola“ und „Riomaggiore“ (die leider ebenfalls touristisch überlaufen sind und eher an Disney Land als an „bella Italia“ erinnern, aber sei’s drum.
    Portofino liegt rund 70 km. nördlich der Cinque Terre. Was die Orte eint, ist die Zugehörigkeit zu Ligurien und die Lage an der Riviera di Levante (=aufgehende Sonne, östlicher Teil Liguriens).

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