Berlin 1999, Teil 4: Die Marlene-Bar im Interconti

Nach nochmals 10 Minuten, weiter die Kantstraße herunter, vorbei am Bahnhof Zoo (die Nachfolgerinnen der Christiane F. stehen noch immer da), der Gedächtniskirche und dem Zoo kommt man schließlich zum alterwürdigen Interconti, sofern man einen siebziger Jahre Zweckbau überhaupt altehrwürdig nennen kann.  Traditionell schlafen die US-amerikanischen Präsidenten bei ihren Berlin-Besuchen hier, hier fand der Filmball in der guten alten Zeit regelmäßig statt, bevor er zum Potsdamer Platz umzog, und überhaupt hat das Haus viel gesehen und viel zu bieten.  Die Scheußlichkeit des Hauptrestaurants L.A. Cafe muss der Notwendigkeit der artgerechten Fütterung amerikanischer Touristen entsprungen sein, wird aber mehr als wettgemacht durch das erneuerte Feinschmeckerrestaurant Hugos in der 14. Etage mit spektakulärem Blick über Berlin.  Und über den Chef, Thomas Kammeier, wahrscheinlich der Konservativste, nicht unbedingt der Beste und Kreativste, aber unzweifelhaft der Geschmackssicherste und am wenigsten Effektheischende unter den deutschen Spitzenköchen, ließe sich sehr, sehr viel mehr sagen, hier nur so viel:  seine Menues sind jeden Cent (und davon braucht man viele!) wert, und 17 Gault Millau Punkte und 1 Michelin-Stern sind eindeutig zu wenig.  Die andere legendäre Institution des Interconti ist die Marlene Bar.  Konzipiert als Lobby-Bar, gleich links vom Haupteingang, nur durch ein paar Treppchen optisch vom Rest des großen Hallen-Komplexes getrennt, noch dazu mit zwei großen Fensterfronten nach draußen sollte es eigentlich gänzlich unmöglich sein, hier so etwas wie Bar-Atmosphäre zu erzeugen.  Und dennoch gelingt es, Abends, nach Sonnenuntergang.  Fast täglich Life-Musik – das Übliche, meist Sängerin und Pianist, aber immer sehr ordentlich –, Sitzgruppen mit gemütlichen Sesseln, eine geschickt gebaute außergewöhnlich lange Theke, tolle Beleuchtung, das komplette Programm an Alkoholika – auch die Exoten, die alle fünf Jahre ein mal nachgefragt werden – das ist die „Hardware“.  Weitaus wichtiger die „Software“, und das sind vor allem perfekte Mitarbeiter.  Immer mehr, auch renommierte Hotels gehen dazu über, im Rahmen der Sparzwänge das Niveau ihres Hotelbar-Service-Personals dem Niveau der Majorität der Gäste anzupassen:  rüpelhafte Bierschlepper und Schnapsmixer bar jeder Fachausbildung und mit äußerst mangelhafter Kinderstube.  Nicht so die Marlene Bar im Interconti.  „Das Selbe wie beim letzten Mal, Sir?“  Ob der Martini gerührt oder geschüttelt werden soll, ob mit Lemon Twist oder Olive, Tanquery oder Bombay, extra dry oder noch trockener, der Mann oder die Frau hinter der Bar im Malene können nicht nur all die Feinheiten ihres noblen Berufes aus dem ff, sie erinnern sich auch noch, was der Gast bei seinem letzten Besuch vor vielleicht zwei Monaten bestellt hatte.  Das ist die hohe Kunst des Barkeepers.  Dazu die Kleinigkeiten:  frisch geröstete Nüsslein, eine kleine Auswahl an Knabbergebäck auf Kosten des Hauses, der regelmäßig und vor allem richtig gewechselte Aschenbecher, die zurückhaltende Höflichkeit, all das wird selten, in einer Systemgastronomie-Welt.  Schließlich die Bar-Speisekarte:  natürlich beschränkt sie sich auf die auch um zwei Uhr Morgens durch einen Beikoch zuzubereitenden Standards (aber dafür ist sie ja eine Bar-Speisekarte).  Aber in der Marlene-Bar gibt es Deutschlands wohl zweitbestes, echtes Clubsandwich mit frisch gegrillter Hühnchenbrust, krossem Speck, sehr guter Mayonnaise und – wie es sich gehört – wahlweise Spiegelei oder Scheiben von hart gekochten Eiern.  Nur wer jemals nach einem 17-Stunden-Tag oder einem 20-Stunden-Trip um ein Uhr Morgens völlig ausgehungert in einer Hotelbar aufgeschlagen ist weiß, wie wundervoll solch ein Clubsandwich sein kann.

All diese Kleinigkeiten machen aus der Marlene-Bar ein Kleinod, das nach wie vor nicht nur Hausgäste, sondern auch viele einheimische Geschäftsleute und Barflies anlockt.  Harry’s Bar im Esplanade ist jünger und hipper (und nuttiger), die Bar im Four Seasons is more fancy, die Bristol-Bar im Kempinski is more cosy, in der Bar des Adlon trifft man häufiger einen der ganz großen, aber nichts kommt so recht an die Marlene Bar im Interconti ran.

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