Berlin 1999, Teil 5: Nacht in der Bar des Grandhotels in der Hauptstadt während der Baufachmesse

Nervös wartet er an der Bar auf sie. Sie kommt heute nicht, sie wird nie mehr kommen, zumindest diese sie nicht.

Unaufhörlich kippt der Keeper billigen Lemon juice in die Caipirinha, drückt vorgeschnittene, gekühlte Limonenschnitzen mit den Händen aus, mit denselben ungewaschenen Händen, mit denen er kurz zuvor auch mein Geld angefaßt hat. Während mir übel wird und ich beschließe, nur noch pure Sachen zu mir zu nehmen, saufen’s die Idioten und wähnen sich in einer guten Cocktailbar und zahlen auch noch dreißig Mark für jeden Drink.

Ihre Haare sind zwischenzeitlich deutlich blonder geworden, etwas länger auch, anders der Schnitt, das outfit auch. Hätte er sie jemals gesehen, er erkennte sie; er sah sie nie wirklich. Nervös wartet er an der Bar auf sie. Sie erkennt ihn flüchtig. Eine Träne verwischt das tadellose make up nicht.

Ein unwürdiger Greis aus der Provinz trinkt einen Tonic nach dem anderen. Er tuschelte mit den Keepern und zahlt großzügig dafür, daß der Tonic wie Gin Tonic aussieht, aber bloß keinen Gin enthält. Man könnte die Hemmung, ja die Kontrolle, gar die männliche Kraft  verlieren – alles, bloß das nicht. Die beiden blondierten frühmittelalterlichen Polinnen wird er ohnehin nicht schaffen, ob mit, ob ohne Gin. Munter trinken sie schon die dritte Flasche des common gebrandeten mittelpreisigen Champagners, dessen gefälligen Namen selbst der Mann aus der Provinz, der es zu etwas gebracht hat, aussprechen kann.

Ein Mann spricht sie an, spendiert den Drink, zwei sogar, sie spielen den Ritus zügig. Sie hat keine Schmerzen mehr, bei seinen kurzen, harten, egoistischen Stößen. Sie hat sich gewöhnt, arrangiert. Wenn er gegangen sein wird, werden vierhundert Mark auf dem Nachtisch liegen. Beim auschecken wird er die Rechnung wie selbstverständlich zahlen und noch diskret darauf hinweisen, daß meine – ähem – daß sie noch etwas Zeit braucht, vielleicht sogar über Nacht bleibt. „Soll ich ein Frühstück mit auf die Rechnung setzen“, fragt der Servile. „Wir wollen doch nichts übertreiben“, sagt er, nimmt seine Kreditkarte, steigt ins Taxi und fährt zu seiner Frau.

Nervös blickt er auf die Uhr, kaut Fingernägel.

Sie kommt vom Zimmer, frühzeitig zurück, bereit für einen zweiten Schuss. Sie geht ganz dicht an ihm vorbei, vielleicht sogar ein wenig gewollt.

Er sieht sie nicht.

Sie zieht den Lidstrich rasch nach, fummelt auch kurz an den Brustwarzen unter dem engen Pulloverchen um die schlaffen Knospen für die nächste kurze Balz in Form zu bringen; von selber kämen sie nimmermehr.

Der ältere Provinzgreis hat von seinen Polinnen abgelassen – „Keine Rechnung mehr auf mich“, hat er dem Keeper demonstrativ gesagt -, umtänzelt nun ein anderes Mädel mit hilflosen, altmodischen, leicht gastritischen Schrittchen. Sie zeigt sich amüsiert, ihr Erregungsgrad hält sich in sehr engen Grenzen.

Der Mann am e-Piano entfaltet einen Höllenlärm. Die Meute grölt verhalten, stilvoll. „…Auf die Frauen der Welt / Die es gibt, die man haben kann / Und ein sehr feiner Mann / Zahlt ja auch dafür Geld …“, singt Jaques Brel. Und wie viele, denke ich.

Sie weint. Sie denkt an das Baby, das es nicht gibt, das es nie geben wird. Er sieht sie, erkennt sie nicht. Er sah sie nie, sah sie nie wirklich.

„Mach mal zwei richtige Rachenputzer“, grölt der Proll über die Theke, der Proll, der in Wanne-Eickel als Platzhirsch mal grade zweihundert grundsolide Millionen mit Baggern, Kränen und Portugiesen bewegt, und ein Prozent davon bleibt bei ihm hängen, zwei weitere Prozent bei seinen guten Freunden. „Zwei richtige Rachenputzer, wir waren gerade da drüben beim Nobelfreßchen“ – Proll spricht vom Hotelrestaurant, das gerade – völlig zu Recht – seinen zweiten Stern am Reifen erhalten hat – „‘n bißchen teuer zwar, und kleine Portionen, aber lecker Futter.“ Proll hält sich für witzig. Wenn ich die Macht hätte, Menschen in vom Himmel fallender Hurenscheiße ertrinken zu lassen, Proll hätte gute Chancen, die Premiere hautnah zu erleben. Proll bekommt seine Drinks, richtige Rachenputzer. Ich kann keine Hurenscheiße vom Himmel fallen lassen. Schade eigentlich.

Er nimmt sich eine Polin und geht. Eine Träne verwischt das tadellose make up jetzt – ein ganz klein wenig.

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