This is not a Dirty Martini

Das passiert, wenn man in einer hippen Dachbar in Reeperbahn-Nähe einen „Extra-extra trockenen Martini-Cocktail, sehr kalt, allen Wermut bitte abgießen, nur das gewaschene Eis, Tanqueray No.Ten, gerührt, nicht geschüttelt, straight, Lemon Twist, keine Olive“ (mein übliches Sprüchlein halt) bestellt. Als erstes nahm der Keeper das Glas aus der Tiefkühlung (bis der Drink fertig war, war das Glas natürlich schon wieder warm – warum war es dann überhaupt im Froster?), das mit dem gewaschenen Eis bekam ich mit einer heftigen Intervention dann gerade noch hin (wurde dafür aber mit einem sehr bösen Blick bestraft), aber bevor ich mich’s versah, hatte er zwei vorbereitete Oliven am Stick in den fertigen Drink geworfen, vom Lemon Twist keine Spur. Der Kerl hat vom Mixen so viel Ahnung wie’ne Kuh vom Fahrradfahren. Aber der Ausblick auf den Hafen und die Stadt war nett. Nochmals, egal, was die Martinis in all den James Bond-Filmen vorgaukeln: der einzige Martini-Cocktail, in den Oliven gehören, ist der Dirty Martini. Der soll zurückgehen auf den imperialen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nicht nur die Prohibition in den USA aufhob, sondern selber auch ein gehöriger Schluckspecht, aber ein mieser Bartender gewesen sein soll. Wenn er Wermut und Gin zusammengoss und auf Eis kaltrührte, war es ihm danach zu umständlich, einzelne Oliven aus dem Glas zu frumseln. Also kippte er die Oliven direkt mit einem gehörigen Schuss Olivenlake in den Drink. Das kann man mögen, muss es aber nicht. Das korrekte Rezept für einen Dirty Martini lautet: sechs Teile London Dry Gin, zwei Teile trockener weißer Wermut, ein Teil Olivenlake, optional ein Spritzer Salzwasser, alles auf Bareis kalt gerührt, in vorgekühlte Cocktailgläser abgeseiht und mit drei unentsteinten grünen Oliven (drei, nicht eine, nicht zwei, nicht vier, sondern drei Oliven) auf einem Stick garniert. Dirty-Martini-Enthusiasten streiten sogar darüber, welche Oliven mit welcher Lake die besten für den Schmutz seien, während echte Martini-Enthusiasten, die schon einen Montgomery (15 Teile Gin auf einen Teil trockenen weißen Wermut, der Legende nach heißt er so, weil sich Montgomery nur mit fünfzehnfacher Überlegenheit traute, Rommel in Nordafrika anzugreifen) für einen Affront halten, über einen Dirty Martini nur die Nase rümpfen. Ich halte es da eher mit Ernest Hemingway, der – ebenfalls der Legende nach – dem Barkeeper gesagt haben soll, er solle beim Kaltrühren des puren Gins auf Bareis mehrmals ganz leise das Wort „Wermut“ sagen, oder mit Winston Churchill, der – nochmals der Legende nach – den Barkeeper angewiesen haben soll, die Wermutflasche beim Kaltrühren des puren Gins so neben das Rührglas zu stellen, dass das Licht durch die Wermutflasche ganz leicht auf den Gin im Rührglas fällt. Legenden, allemal, aber nette Legenden, die viel über das wahre Wesen des echten Martini-Cocktail-Trinkers aussagen. Und es sagt auch viel über die Kultur des Imperiums aus, dass der Dirty Martini bis heute fast nur in den USA in den Bars eine Rolle spielt.

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2 Comments

  1. Jan Ackermann

    Lieber Herr Dr. Opl,
    nun liegt ja Reiz wie auch Krux bei der Bestellung eines Dry Martinis (außerhalb der eigenen Stammbar) nicht zuletzt darin, dass dieses zunächst einen kleinen Dialog und ein wechselseitiges „Abtasten“ einläutet – oder einleuten sollte. Nun begegnet man sich leider zusehens weniger vor oder hinter dem Tresen auf Augenhöhe.
    So sieht sich als versierter Bildungstrinker entweder mit der ärgerlichen Eröffnung „Gin oder Vodka?“ konfrontiert oder der Mensch hinter dem Tresen hat überhaupt kein Interesse / Dienstleistungsverständnis / charakterliche Verfeinerung, um sich mit den individuellen Vorlieben des Gastes auseinander zu setzen. Dabei ist doch gerade der König der Cocktails nicht nur der wohl individuellste Cocktail, wie auch das jeweils persönlichste Getränk. Mithin wird kein ernsthafter / passionierter Martini Trinker es bei der schnöden Order „Einen trockenen Martini Cocktail bitte“ belassen, sondern vielmehr auf einen speziellen Gin, das Mischverhältnis, Wahl des Wermuts, ggf. Zugabe von Bitters und die Wahl zwischen Zitronenzeste und / oder Oliven / insistieren.

    Mit freundlichem Gruß

    • Lieber Herr Ackermann,
      besten Dank für Ihren klugen und freundlichen Kommentar zu meinem Leidens-Beitrag „This is not a dirty martini“. Falls Sie ihn nicht ohnehin schon gefunden haben, darf ich in diesem Zusammenhang auf meinen Beitrag aus dem Jahr 2016 hinweisen: https://opl.guide/der-martini-cocktail-extra-dry/. Beim Wieder-Lesen dieses Textes fiel mir schmerzlich auf, dass es viele der dort genannten Etablissements gar nicht mehr gibt. Viel Spaß damit,
      Mit freundlichen Grüßen / With best regards / Cordialement
      Eberhard Opl

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