Sauftour in Wien: 2. Akt in der Intermezzo-Bar

Wir trinken aus, zahlen und verlassen diesen absurden Ort rasch, um Mona abzuholen, raus in die Kälte, durch die Ringstraßen-Galerien (die so überflüssig sind wie ein Kropf, aber wenigstens beheizt) Richtung Schwarzenbergplatz, vorbei an Akademietheater, Konzerthaus und Eislauf Verein, hinein in den hässlichen Betonklotz des Interconti. Siegrid hat sich – mal wieder typisch – fest bei Caro eingehakt, die beiden Weiber tuscheln und lachen beim Gehen, fast bin ich etwas eifersüchtig. Der Wagenmeister steht mit einigen Pagen am Eingang herum, sie beachten uns nicht, die Rezeptionistin sagt ein höfliches „Grüß Gott“, wir grüßen höflich, aber herablassend – jedes Zeichen von Unsicherheit in dieser Phase des Betretens eines Hotels wird als Schwäche gewertet und löst beim Personal kollektiv Nachfragen und ein gewisses Maß an Aufmüpfigkeit aus – zurück, während wir gleich links zur Intermezzo Bar, die – klar hätte ich wissen müssen – erst um 18:00 Uhr öffnet abbiegen. Eigentlich ist ein Barhocker das natürliche Habitat für Mona, wahrscheinlich wurde sie in einer Bar gezeugt und auch noch geboren, aber heute sitzt sie im Café Vienna, was letztendlich eh alles egal ist, das vielleicht halbe Erdgeschoss des Interconti ist eine riesige, ungemütliche Halle mit Bar, Café, Lobby, Rezeption in einem. Wieder fallen wir uns in die Arme, die Begrüßung ist herzlich-vertraut, wie immer, aber das hatten wir schon. Um uns herum lungern Männer in weißen Betttüchern und Sandalen in der Halle herum, an ihrer Seite tief verschleierte Figuren, ich vermute mal Frauen, aber erkennen kann man’s nicht, unter den Vorhängen, sie trinken Tee und Wasser, dazu schreiende Kinder, die durch die Halle rennen, daneben grimmig dreinblickende Russen und ein paar feine, ältere Wiener Damen, die ihren Nachmittagstee einnehmen. Mona fällt mit ihren Jeans, Schnürstiefeln, Kaki-Blouson deutlich aus der Rolle und wird argwöhnisch beäugt; jetzt noch innige Begrüßung mit Siegrid, die mit ihren maßgeschneiderten Designer-Klamotten und teurem Schmuck nochmals in einer völlig anderen Liga spielt, während Caro und ich daneben äußerlich eher die 08/15-Dorfschranzen geben. Mona sitzt auf einem der Sofas an der Fensterfront, wir setzen uns dazu, sie hat ein großes Glas vor sich stehen, Rum, guatemaltekischer Rum, 8 Jahre alt, erklärt sie uns; „der Pinguin“ (sie meint den mit schwarzem Anzug, Weste und weißem Hemd gekleideten Kellner des Cafés) „wollte mir Pott oder Bacardi andrehen, aber ich konnte ihn überzeugen, für mich die Bar mal früher aufzuschließen.“ Armer Kellner, denke ich mir, Mona kann, wenn sie will, ausgesprochen überzeugend sein, tiefenüberzeugend sozusagen. Mona ist die andere Kommilitonin aus der Sauna, sie hat nie fertig studiert, sie war immer in irgendwelchen terrorisierenden Vereinigungen als Aktivistin tätig, Marxistisch-Leninistische Partei, Greenpeace, Antifa, Hauptsache Randale und dagegen, nächtelang haben wir diskutiert und gestritten, bis der Alkohol und anderes uns friedlich werden ließen und die Zungen schwer, unserer Freundschaft hat das nie einen Abbruch getan. Und soweit waren wir nie voneinander entfernt: ich träumte immer davon, diese Gesellschaft zu verbessern, während Mona davon träumte, eine neue, bessere Gesellschaft zu schaffen (was allerdings mit dem Problem verbunden war, dass sie die alte Gesellschaft zuerst abschaffen / vernichten wollte / musste, und das gefiel mir wieder nicht; heute bin ich soweit, dass ich tatsächlich überlege, ob Mona nicht schon immer Recht hatte); Siegrid war bei diesen nächtelangen Diskussionen immer die Neutrale, zwischen uns, mal gab sie Mona recht, mal mir, aber nie schloss sie sich einem von uns beiden gänzlich an. Irgendwie ist Mona dann aus ihrer stets schlechten Gesellschaft in die NGO-Szene reingerutscht, non-govermental organizations, ich verkneife mir hier weitere Kommentare. Ab 1992 war sie für eine dieser Organisationen in Sarajevo, mitten in der belagerten Stadt, wohnte im Holiday-Inn, wie die meisten westlichen Journalisten und Helfer damals, fuhr regelmäßig unter Beschuss die berüchtigte Snajperska aleja, war an der Verteilung der Güter aus der Luftbrücke beteiligt, ganz vorne, buchstäblich an der Front. Von Mona habe ich wichtige Dinge über’s Autofahren gelernt: Wagen immer in Fluchtrichtung parken und den Tank nie mehr als halb leer fahren. Erst viel später erfuhr sie, dass die NGO, für die sie damals unterwegs war, von der CIA finanziert wurde; viele NGOs werden letztendlich von Geheimdiensten und anderen düst‘ren Vereinen finanziert, um mit Hilfe wohlfeiler Gutmenschen-Aktivisten in Einflusssphären anderer Mächte unter dem Vorwand der humanitären Hilfe destruktives Ramba-Zamba zu veranstalten. Nichts anderes war z.B. auch die von Ost-Berlin finanzierte DKP in der Bonner Republik.

Als wir mit unseren ersten Begrüßungsritualen und –fragen „Wie war Dein Flug?“ – „Wie seid Ihr nach Wien gekommen?“ – „Wohnst Du noch immer im 2. Bezirk, in dem Haus?“ – „Seid Ihr jetzt eigentlich ein Paar, Caro und Du?“ – „Wo steckt John, warum ist er nicht hier?“ – „Wohin geht’s bei Dir weiter, von Wien aus?“ – „Noch immer im Pimmel-Gewerbe tätig?“ – „Wohnt Ihr wieder hinter der Oper?“ (Schnatter-Schnatter, Plapper-Plapper) fertig sind, öffnet auch die Bar im hinteren Bereich besagter großer Hotelhalle. „Schreiben Sie‘s mir auf‘s Zimmer, 618.“, ruft Mona dem Pinguin-Betitelten bar jeder Contenance quer durch die Halle zu, knallt eine Fünf-Dollar-Note als Trinkgeld auf den Tisch, wir gehen rüber zur Bar, die quadratisch mitten in den Raum gebaut ist und flezen uns auf die Barhocker. Die beiden Keeper tragen weiße Kellner-Jacken und sind um 18:05 damit beschäftigt, Eis herbeizuschaffen, Obst zu schneiden, Sirups und Spirituosen nachzufüllen, all die Dinge halt, die zu tun sind, bevor eine Bar öffnet. „Wir möchten bestellen!“, sagt Siegrid mit deutlich übellaunigem Ton. „Dauert noch, müssen erst noch fertig machen.“, hallt es ihr von hinter der Theke zurück. „Wie spät ist es?“, blafft Siegrid. „18:10.“, blafft es spürbar genervt von hinter der Theke zurück.“ Siegrid ist sichtlich sauer. „Die Bar macht um 18:00 Uhr auf. Entweder, Sie bewegen sich jetzt sofort hierher, nehmen unsere Bestellungen auf und bringen uns Sprit, oder Sie holen den Manager on Duty und erklären ihm und uns, warum Sie Ihre Arbeitsvorbereitung während der Bar-Öffnungszeiten vornehmen und nicht vorher, wenn noch keine Gäste da sind. Außerdem sollten Sie dringend eine weitere Hose tragen, Ihr linker Hoden ist ja quasi eingedetscht. Dass das Teil so kaum mehr funktionieren kann, kann Ihnen in Ihrem Alter ja wahrscheinlich egal sein. Aber sowas kann zu Hodenkrebs führen, da wäre ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig.“ Energischer Ruf nach Drinks und fürsorgliche Warnung vor Hodenkrebs in einem Redeschwall, das muss man erst einmal hinbekommen, aber für Siegrid – sie ist ja quasi vom Fach – kein Problem. Vollkommen verdutzt dreht sich der Kellner von uns weg, fummelt an seinen Beinkleidern herum, als wolle er nun schwingen lassen, was der liebe Gott zum Schwingen bestimmt hat, dreht sich wieder um und reicht uns mit schleimigen Grinsen die Karten, die wir – erfahrene Barflys allesamt, zumal in diesem Laienschuppen – arrogant zurückweisen. Mona bleibt bei ihrem guatemaltekischen Rum, Siegrid lässt sich eine Halbe Ruinart öffnen (ich werde nie verstehen, was sie an dieser Marketing-Maschine mit angeschlossener Schaumwein-Kellerei findet), Caro nimmt Siegrids Einladung auf ein „Glas Schampus“ an (Alarmglocken bei mir!!!), ich sage mein Sprüchlein vom gerührten, nicht geschüttelten Martini, nur gewaschenes Bar-Eis, allen Wermut weggießen, Tanqueray #10, Lemon Twist, keine Olive auf, der tumbe Tor hinter der Theke entgegnet mir, man habe nur normales Eis aus der Kühlbox und maximal den normalen Tanqueray, aber den müsse er auch erst aus dem Lager holen. Also macht er sich auf, aus dem Lager zu holen, während sein Kollege die Damen bedient. Ich hätte mich Mona und ihrem guatemaltekischen Rum anschließen sollen, was der gute Mann hier als Martini Cocktail hinlegt, schreibt jeder Bespottung.

„Warum bist Du ausgerechnet in diesem Imperialisten-Schuppen abgestiegen?“, frage ich Mona, „Es gibt doch deutlich schönere Hotels in Wien für diesen Preis.“ „Firm policy,“ antwortet Mona, „die haben so nen Pauschal-Arrangement nicht nur mit allen Interncontis weltweit, sondern mit allen Hotels der Gruppe, ich glaube IDG heißen die …“ – „Nein IDG ist der Verlag, IHG ist die Hotelgruppe.“, falle ich ihr in’s Wort. – „Wie dem auch sei,“ fährt Mona fort, „das ist sehr praktisch, ich kann überall nur mit meinem Dienstausweis einchecken, abgerechnet wird direkt mit der Zentrale, es gibt Upgrades und prefered booking wenn die Häuser voll sind, sehr praktisch das Alles.“ „Firm policy?“, hake ich nach, „Ich dachte, Du arbeitest für eine NGO und keine Firma?“ „Sagt man halt so.“ Ich denke mir meine Teil: weltweites Hotel-Konglomerat, Zentrale in London, Aktien im anonymen Streubesitz, unauffällige Aktionsbasen wo immer man sie braucht direkt vor Ort … Ja, ja, NGO … „Du bist auf dem Weg nach Moldawien, hast Du gesagt, was ist Dein Job da?“ „Menschenrechts-Überwachung in Transnistrien.“ „Du fährst tatsächlich nach Transnistrien“, frage ich ungläubig-bewundernd-ängstlich. „Ne, so verrückt sind wir dann doch nicht. Ich bin in Chișinău stationiert, wir beobachten von dort, fahren vielleicht mal im gesicherten Konvoi nach Transnistrien. Das wird sich alles vor Ort ergeben. Wir sind ein Team von vier Leuten, und fangen jetzt erstmal an, die Beobachtungs-Mission aufzubauen, die Moldawische Regierung hat uns eingeladen.“ „Dir ist schon klar, dass Du Informationen erhalten wirst, dass in Transnistrien Gräuel geschehen, begangen von den heimischen Verbrecherbanden mit Duldung und Unterstützung der Russen? Und dass Du damit die imperiale Lügenmaschinerie füttern wirst, damit sie weiter gegen Putin schießen kann?“ „Fängst Du schon wieder an?“, zischt Mona mit einem gefährlichen Unterton, der sehr deutlich macht, dass mit ihr gerade nicht zu spaßen ist. Derweil sind Siegrid und Caro in einem innigen Frauen-Gespräch versunken und kriegen anscheinend nichts mit. Die Hallen-Bar hier im Wiener Interconti ist ein Trauerspiel, ebenso wie das ganze Hotel, hier hält mich nichts, ich bitte um die Rechnung, der akut Hodenkrebs-Gefährdete ignoriert mich erst einmal, erst kurz bevor ich das Schälchen alter, muffiger Nüsse, das er zusammen mit den Drinks vor uns auf die Theke gestellt hat, nach ihm werfe, lässt er sich herab, mich und meinen Wunsch nach einer gemeinsamen Rechnung zur Kenntnis zu nehmen, und es dauert nochmals gefühlte Ewigkeiten, bis ich die Rechnung tatsächlich erhalte, und das, obwohl die Bar fast leer ist, ich habe selten jemanden gesehen, der beim Nichtstun so geschäftig erscheinen kann. Zur Strafe zahle ich mit Amex – die pressen die höchsten Transaktionsgebühren aus ihren Partnern heraus, kein Geschäft mag Amex, immer mehr nehmen sie gar nicht mehr an – und ich gebe auch kein Trinkgeld, was bei mir fast nie vorkommt, nur bei wirklich mieser Küchen- und/oder Service-Leistung. Aber die Barleute im Interconti haben sich kein Trinkgeld wahrlich redlich verdient …

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