Ochsenpost Tiefenbronn: Unaufgeregtes Schlemmen im äußersten Zipfel Badens

Summa summarum: „Herberge für Anspruchsvolle“ steht über Tür, und diesem Anspruch wird die Ochsenpost mehr als gerecht. Altes, sehr gepflegtes, nicht nobles, aber gemütliches Gasthaus mit architektonisch halbwegs passenden modernen Anbauten, wohnlichen Zimmern, hübschem, altertümlichem Hauptrestaurant, monströsem Wintergarten, nettem Gastgarten, kompetentem, ausgesprochen freundlichem, zuvorkommendem Personal und sehr guter badischer Regionalküche, vermischt mit etlichen gekonnten Ausflügen in die Haute Cuisine.

Dreimal hatte ich spontan angefragt, mal hatten sie kein Zimmer frei, mal keinen Tisch zum Abendessen, mal beides nicht. Beim vierten Anlauf hat es dann endlich geklappt. Es hat schon seinen Grund, warum diese Ochsenpost so chronisch ausgebucht ist: sie ist einfach gut. Punktum. Geographisch zwischen Stuttgart und Pforzheim gelegen, im äußersten Zipfel Badens, in dem kleinen Fachwerkstädtchen Tiefenbronn, kein städtebauliches Kleinod, aber durchaus idyllisch mit Stadtkirche, Rathaus, Bäcker, Metzger, am Horizont erheben sich die ersten Hügel des Schwarzwalds, nah genug für einen Wanderausflug für Sommerfrischler, auch nah genug an Stuttgart für ein kulinarisch aufgewertetes Teammeeting eines beliebigen Autobauers, und genügend örtlicher Kaufkraft, um sich jenseits des 9,90 EURO – Schnitzels aus der Fritteuse auch mal was Ordentliches gönnen zu können.

Nukleus der Ochsenpost ist die alte Posthalterei mit Gasthof von 1694 mitten im Örtchen vis-à-vis von Rathaus und Kirche, ein solides, zweigeschossiges, gepflegtes Gebäude aus rotem Sandstein und Fachwerk. Vom Nachbarhaus steht nur noch die massive Sandsteinfassade zur Straße, dahinter hat das Gasthaus mit einem Wintergarten aus Stahl, Glas, Fliesen eine Metastase gebildet, deren Charme es mit jeder Bahnhofshalle aufnehmen kann, daran ändert auch das reichliche Grünzeugs in Pflanzkübeln nichts. Dafür sind die Bauernstuben, das Hauptrestaurant im Stammhaus, um so rustikaler, gemütlicher, heimeliger, niedrig, verwinkelt, altes Fachwerk, viel Holz, wenig natürliches Licht von kleinen Sprossenfenstern, dafür warmes, gelbliches Kunstlicht aus wild – aber stilsicher – zusammengewürfelten alten Deckenlüstern, dazu erfrischend wenig Deko-Tinnef, aber akkurat gestärkte Leinentischwäsche und sehr dezenter Blumenschmuck auf dem Tisch. Rund um dieses Ensemble gibt es einen kleinen, netten Gastgarten, darin einige alte umgebaute Bauwagen für intime dîner pour deux oder kleine gesellige Runden sowie einige neue Anbauten, Seminar- und Banketträume, Backhaus, aber alles irgendwie „passend“, zurückhaltend, keine brutalistische Hotelexpansion in die Weichteile der Altstadtbebauung. Aber dieses historische Wachstum ohne abstrakten „Masterplan“ hat auch dazu geführt, dass die Ochsenpost heute ein Fuchsbau ist, um vom Lift zu den Gastzimmern in’s Restaurant zu gelangen, muss man einmal außen um’s halbe Haus laufen. Zeihlich.

Was das Übernachten in der Ochsenpost anbelangt, wenn man an einem Einzelzimmer mit queensize Bett und ordentlicher Leinenbettwäsche, viel historischem Fachwerk, Echtholzböden und -türen mit schweren Messingbeschlägen und -schlüsseln, Schreibtisch, Flachbildfernseher, Minibar, Tresor, sauberem Mini-Bad mit super-flauschigen Frotteehandtüchern, Blick auf Kirche und Schwarzwaldausläufer für 89 EURO  partout etwas kritisieren will, so wären es vielleicht die viel zu weiche Schaumstoffmatratze und die fehlenden freien Steckdosen am Schreibtisch. Sei’s drum. Ich habe bärig geschlafen.

Aber eigentlich bin ich ja vor allem zum Essen hier, die Wanderausflüge in den nahen Schwarzwald überlasse ich dann doch lieber U. & I., den Laufenten. Und Übernachten ist ohnehin nur Mittel zum Zweck in der Ochsenpost, zumindest für mich, ich bin ja – wie gesagt – vor allem zum Essen hier. Nach einer entspannten vormittäglichen Anreise auf Landstraßen über die Alb setze ich mich kurz nach Mittag vorfreudig an meinen erfolgreich reservierten Tisch in den Bauernstuben. Das Servicepersonal ist durchweg unglaublich aufmerksam, schnell, freundlich, fast schon herzlich, sie tragen einheitlich weißes Hemd, schwarze Westen, lange weiße Schürzen, nur die Restaurantchefin trägt ganz schwarz. Das Gros der Gäste sind keine Touristen oder zum Behufe des Schmausens angereiste Stadtfräcke (so wie ich), sondern offenbar „ganz einfach“ Einheimische (mit typisch badischem Zungenschlag), die ganz einfach (diesmal ohne Anführungsstriche) reell speisen wollen, nicht etwa um Ommas Achtzigsten in gebührender Umgebung feiern, sondern um ganz normal gepflegt zu Mittag oder zu Abend zu essen. Die Atmosphäre ist locker-entspannt-gepflegt, alles andere als distinguiert, Tischgespräche in gedämpftem Ton, aber auch mal ein lauter, fröhlicher Lacher, niemand blickt hier indigniert, wenn einem Gast etwas von einer leckeren Soße auf’s weiße Tischtuch tropft, sowas gehört halt bei einem guten Mahl dazu. Störend dabei allein die Herzschmerz-Schlager-Gewimmer-Beschallung aus Lautsprechern, solcher Musik-Müll gehört vielleicht in die Bierkneipe an der Ecke, aber nicht in ein gepflegtes, gehobenes Speiselokal, da braucht es gar keine Beschallung, man will ja schließlich essen und parlieren, aber nicht schunkeln und tanzen, sowas lenkt nur ab (und enerviert). Dennoch ist das hier Lebensmittelpunkt eines Ortes mit den Einheimischen als Haupt-Klientel, nicht gehobene, lokalkolorit-verbrämte Ausflugsgaststätte für Stadtfräcke mit geduldeten Einheimischen als – eben jenes – Lokalkolorit. Nach getätigtem mittäglichem Mahle werde ich eine der Damen aus dem Service fragen, wohin ich mich zum Behufe des Eincheckens zu begeben habe; sie wird mit einem – bereits vollkommen ausgefüllten – Meldezettel und dem Zimmerschlüssel an meinen Tisch zurückkehren, mich den Meldezettel unterschreiben lassen, kein Gedöns mit Kreditkartenerfassung und so, einfach Vertrauen, und mir den Zimmerschlüssel aushändigen. By the way: wann haben Sie das letzte Mal bei einem Espresso mit Obstler nach dem Lunch am Mittagstisch in einem Hotel eingecheckt? So was ist schön.

Die Speisekarte in der Ochsenpost ist mittags wie abends durchaus umfänglich, aber bei dem Durchsatz auch durchaus angemessen. „Badisch-weltläufig-genießerisch-reell“ würde ich den Stil vielleicht umschreiben. Ochsenmaulsalat, Austern und Carpaccio, Kartoffelsuppe, Hummercremesuppe und Beef-Tea, Maultaschen und Schnecken, vegane Pouilly-Linsen und Käsespätzle, Zwiebelrostbraten, Saure Kutteln, alte Kuh, Perlhuhnbrust auf Spargelragout und Steinbuttfilet Cardinal, … aber nirgends der Ruch der Convenience, hier will (und kann) jemand kochen. Ebenso erfrischend die Weinkarte, vor allem Baden, Württemberg, Pfalz, Italien, Frankreich, keine transatlantischen Spinnereien, die meisten Posten von gut 20 bis 100 EURO, dazu ein paar prestige- und angabeträchtige Positionen bis 400 EURO, das Gros der Bouteillen aber unter 50 EURO.

Vorab serviert das Haus kleine Näpfchen mit leckerem Kräuterquark (sahnig, mit gehackten frischen Kräutern), sehr leckerem Griebenschmalz, extrem leckeren gemischten Oliven, dazu das selbst gebackene, frische Hausbrot mit unglaublich rescher Kruste und fluffigem, großporigem, aber nicht lätschertem Inneren, ein genialer Traum von Brot. Man kann dieses Brot auch für daheim käuflich erwerben, gar nicht mal billig, doch die einheimischen Gäste machen reichlich Gebrauch von diesem Angebot. Das Brot aus der Ochsenpost gehört für mich zu den oberen fünf, vielleicht sogar zu den oberen zwei Prozent deutscher Brotbackkunst, und als alte Brotnase teste und esse ich viel Brot. So fängt ein Mahl gut und schlecht an. Gut, weil Brot, Aufstriche und Oliven einfach genial sind, die perfekte Begleitung zum ersten Zisch-Bier nach langer Fahrt und zum Studieren der Speisekarte. Schlecht, alldieweil man viel zu viel davon isst (dieweil es so gut ist) und man sich den Hunger für die folgenden Gaumenfreunden zu versauen droht. Eigentlich eine klassische Loose-loose-Situation: aufhören zu essen ist hier eigentlich keine Option, weil’s so gut und lecker ist; weiter zu essen ist auch keine Option, weil’s zu satt macht und man ja möglichst viel von der Speisekarte probieren will.

Irgendwann kommt die erlösende Vorsuppe. „Nein, nein, lassen Sie das Brot und die Schälchen bitte noch stehen.“ sagt der verfressene Gast ganz in Gedanken zur Kellnerin, die abservieren will, derweil er sich über die formidable gebundene Ochsenschwanzsuppe hermacht. Eine kräftige Suppe mit dem ganz typischen Ochsenschwanz-Geschmack, tief rot-braun gefärbt von etwas Tomatenmark, leicht sämig gebunden, darinnen reichlich sorgfältig abgelöstes und filetiertes Ochsenschwanz-Fleisch und kleine Ochsenmark-Klößchen, unglaublich lecker, Kindheitserinnerung pur (nur Mutter filetierte das Ochsenschwanzfleisch längst nicht so akribisch), dazu noch sehr reichlich portioniert, eigentlich würde danach noch ein Pfannkuchen reichen, um dicke satt zu sein. Sensationell ist der Beef Tea, eine zwölf Stunden unter Vakuum gegarte und dann nochmal acht Stunden reduzierte Rinderconsommé, selten eine so konzentrierte, geschmackvolle Rindssuppe gegessen, das ist quasi flüssige Kuh pur; die reichlichen pochierten Rinderfilet-Würfel in der Suppe braucht’s nach meinem Dafürhalten gar nicht, das lenkt nur von dem gigantischen Geschmack der Consommé ab. Dann die überbackenen Schnecken, keine harten Kaugummibälle aus der Dose, sondern dicke, fleischige Weichtiere, überbacken mit einer Kräuter-Nuss-Kruste, längst nicht so fett wie die üblichen Schnecken in Kräuterbutter, wohlschmeckend, dazu haptisch im Maule ein ungewohnter, hübscher Effekt aus weicher Molluske und harter Nuss. Gnädig auf der Karte ist das „Versucherle“: eine abgeschmälzte Maultasche mit einem großen Klecks Kartoffelsalat. Wie sollte man in Baden essen, ohne wenigstens eine örtliche Maultasche zu probieren? Maultasche sowieso sehr gut, dünner Teig, geschmackvolle Brät-Petersilien-Füllung, darüber frisch sautierte Zwiebelchen, wenig kräftige Demi-Glace und ein Kartoffelsalat zum reinsetzen. Die sauren Linsen sind, wie saure Linsen sein sollen, noch leichter Biss, mit einer kräftigen, leicht säuerlichen Mehlschwitze, etwas Brunoise. Nicht wirklich überzeugend dazu die Saitenwürstchen, da habe ich schon deutlich bessere gegessen. Auch die Tatsache, dass die Linsen nicht mit einer dicken Scheibe mageren Wammerls serviert werden, sondern mit zwei gebratenen Bacon-Scheiben, erfreut nicht. Dafür sind die Spätzle dazu frisch vom Brett geschabt, heutzutage eine absolute Seltenheit. Auch wenn die Dessertkarte mit hausgebackenen Meringuen, Apfelkücherl und Schokoladen-Trilogie lockt, bleibt nach solch trefflichem Mahle nur noch Platz für ein kleines Sorbet, auch das sehr gut.

Schade ist einzig und allein, dass das Restaurant der Ochsenpost ein reines Speiselokal ist. Mittags hat es von 12:00 bis 15:30 Uhr geöffnet, abends von 18:00 bis 24:00 Uhr. Dazwischen herrscht im Haus tote Hose, auch für Hausgäste, keine Chance, sich irgendwo hinzusetzen und einen Kaffee oder ein Bier zu trinken. Ich verstehe ja, dass Personal dieser Tage rar und teuer ist und dass es wahrscheinlich unwirtschaftlich ist, diese knappe Ressource zum Verkauf von ein paar Bieren und Kaffees durchgängig vorzuhalten, aber Schade ist’s trotzdem. Sei’s, wie’s sei, es hat trotzdem einen Heidenspaß gemacht in der Ochsenpost, da fahr‘ ich wieder hin.

Hotel Ochsenpost und Restaurants
Inhaber: Peter Jost
Franz-Josef-Gall-Straße 13
D – 75233 Tiefenbronn
Tel.: +49 (72 34) 95 45 – 0
Fax: +49 (72 34) 95 45 – 145
E-Mail: info@ochsen-post.de
Online: www.ochsen-post.de

Hauptgerichte von 14,80 € (Paar Wildbratwürste mit Rotkraut und Brotknödeln) bis 49,80 € (Rinderfilet „Café de Paris“ mit Würzbutter überbacken, dazu Pommes-frites und Gemüse), Drei-Gänge-Menue von 31,10 € bis 82,40 €

DZ Ü/F 110 € bis 170 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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