Marginalie 55: Feinschmecker oder nicht Feinschmecker, das ist hier die Frage …

Ich treffe meine letzten Vorbereitungen für eine Sizilien-Reise. „Guten Flug“, ruft mir der alte Kollege beim Verlassen des Büros zu, „und genießen Sie Stoccafisso alla messinese und Trippa alla fiorentina!“ Dass er mir den sizilianischen Stockfisch ans Herz legt, kann ich ja noch nachvollziehen, aber warum er mir florentinische Kutteln für Sizilien empfiehlt, entzieht sich nun wieder meinem Verständnis.   Doch einerlei, solches Zeugs esse ich eh nicht, weder getrockneten, stinkigen  Fisch, noch in Streifen geschnittenen Pansen von Wiederkäuern. „So ein Zeugs esse ich nicht!“ entgegne ich, „Ich freue mich auf Pasta alla Norma, frischen Fisch, Hasen und natürlich Arancini, alle Sorten, einmal rund um die Insel.“ „Und sowas nennt sich dann Feinschmecker. Ein Banause sind Sie!“, mault mir der alte Kollege – der gerade zwei Wochen regnerisches Deutsches Winterwetter im Büro vor sich hat – noch nach, als ich in den Lift steige.

Nur so zwischen Tür und Angel so daher gesagt, wohl auch, um mich ein wenig zu necken und den eigenen Frust über die bevorstehenden tristen Winterwochen etwas zu kompensieren, nichtsdestotrotz treibt mich die Frage um, bin ich ein Banause, wenn ich nicht Alles und Jedes bedingungslos in mich reinstopfe? Feinschmecker bin ich allemal sicherlich nicht, ich bin da eher der gustatorische Grobmotoriker, auch kein Gourmet, dann schon eher Gourmand im ursprünglichen Sinne Brillat-Savarins, vor der kuriosen pejorativen Entwicklung der Wortbedeutung hin zum Schimpfausdruck. Bis heute liegt der Duden in seiner Worterklärung für Gourmand mit „jemand, der gern gut und zugleich viel isst; Schlemmer“ sowas von daneben, ein Gourmand schätzt das gute Essen, aber er ist eben kein maßloser Vielfraß, das ist im Französischen ein „glouton“. Aber diese etymologische Diskussion ist an anderer Stelle zu führen.

Wahrscheinlich spannt sich das Universum der frei bestimmten Esser auf zwischen drei Polen (kann es drei Pole geben?). Ich schreibe hier „frei bestimmt“, weil die meisten von uns ein unendliches Privileg haben, nämlich sich nicht nur stets und überall satt und übersatt essen zu können, sondern auch aus einem riesigen Angebot hervorragender, guter, schlechter und schäbiger Lebensmittel weitgehend frei auswählen zu können (klar, Trüffel kann sich der Hartz IVer nicht leisten, aber gute Kartoffeln – vom heimischen Bauern, nicht aus Ägypten – schon, und die können auch hervorragend und eine Delikatesse sein). Es ist etwas vollkommen anderes, wenn echter Hunger und Not herrschen, dann sind alle kulinarischen Feinschmecker-Diskussionen obsolet. Und ich frage mich auch, ob man in Europa kulinarischen Feinschmecker-Diskussionen führen darf, solange Menschen woanders verhungern, aber das ist ja zum Glück nur in Ganz-Weit-Fortistan, und wenn’s ein paar Hungernde bis hierher schaffen, dann füttern wir sie eben – zähneknirschend – mit durch. Nur soll mir hierzulande kein sozial Schwacher mit Chips, Zigaretten, Tiefkühlpizza und Schnaps im Discounter-Einkaufswagen erzählen, er leide Hunger, dann werde ich regelmäßig komisch.

Der eine Pol des Universums der frei Bestimmten Esser wird repräsentiert durch Leute wie Anthony Bourdain, hierzulande wohl vor allem bekannt durch sein Erstlingswerk „Geständnisse eines Küchenchefs“, echt harter Tobac, doch die deutsche Übersetzung von Dinka Mrkowatschki ist nur eine weichgespülte Version, das Original  „Kitchen Confidential“ ist nochmals deutlich brutaler. Weitere Furore – zumindest in Imperial-Amerika – hat  Bourdain durch seine CNN-Serie „Anthony Bourdain Parts Unknown“ gemacht, in der er mit eine Kamerateam um die Welt reist und isst, was nicht bei Drei auf dem Baum ist. Diese TV-Serie traf mich, um ehrlich zu sein, volle Möhre, wenn jemand freiwillig und neugierig noch pochende Kobraherzen, Hammelhoden oder Eidechse isst, Kugelfisch war das eher noch das Harmloseste, und dabei seine Wahrnehmungen im Sachen Geschmack, Geruch, Konsistenz quasi noch kauend in Worte fast und sich ein Urteil darüber bildet. Allerdings aber soll Bourdain eine originale Berliner Weiße zurückgehen haben lassen, mit den Worten „Keine Himbeeren in meinem Bier!“. (Er hat also doch noch Lebensmittel-Tabus!) Ansonsten agiert er mit einer fast schon kindlichen Neugier, Offenheit, Unvoreingenommenheit (und doch mit der fachlichen Ausbildung und dem Erfahrungsschatz eines gestandenen Kochs) als eine Art kulinarischer Ethnologe, der fremde Völker anhand ihrer Mahlzeiten erforscht. Um Erfahrungen zu sammeln und Neues zu finden, würde sich dieser Bourdain mit ziemlicher Sicherheit alles in sein Maul schieben, wahrscheinlich würde er auch –  ich schreibe das jetzt mit Bedacht, nach langem Nachdenken, nicht als Beleidigung oder Diffamierung gemeint, sondern fast schon  fassungslos bewundernd – auch gekochte Scheiße essen, solange das nur irgendwo traditionelles, landestypisches Gericht wäre. Ok, zu diesen Leuten zähle ich definitiv nicht.

Auf der anderen Seite dieses kulinarischen Universums leben diese ganzen essensgestörten Trulalas, die nur herabgefallenes Obst, oder kein Fleisch oder von mir aus nichts außer Kaviar oder ausschließlich Was-weiß-ich essen, und zwar nicht im Rahmen einer punktuellen Diät, sondern dauerhaft. Solange da keine wirklich schwerwiegenden medizinischen Gründe vorliegen, haben die für mich alle ein Rad ab, und zwar gehörig, große Klassen von Nahrungsmitteln einfach abzulehnen, weil irgendwelche komischen Dinge dagegen sprechen sollen, sie zu essen. „Ich mag das ganz einfach nicht.“ ist hier ein starkes Argument, denn schließlich muss in Zeiten und Ländern des Überflusses jeder selbst wissen, womit er sich sättigen mag und womit nicht. Nur wenn sich jemand die Mangelerscheinungen und Krankheiten quasi mutwillig anfrisst – das gilt im Übrigen natürlich auch für Adipositas, um mich an die eigene Nase zu Fassen – und die Allgemeinheit dann über die Krankenkassen die Folgen dieses Fehlverhaltens ausbaden soll, dann allerdings hat die Gaudi ein massives Loch, ein Loch das nochmals ungleich massiver wird, wenn solch eine Person die Essstörung auch den eigenen Kinder oktroyiert, das ist für mich schon verbrecherisch. Und solch eine essgestörte Person mag ich auch nicht an meiner Tafel. Das-und-das mag ich nicht, das ist ok, geht mir nicht anders. Aber Ich-esse-nichts-außer-…, das geht zu weit, da hört meine Gastfreundschaft auf (sofern eben keine – tragischen – medizinischen Gründe vorliegen).

Der dritte Pol schließlich sind die „Ist doch egal, was ich fresse.“ Die McDonalds-Geher, die Lieferando-Besteller, die Aldi-Abpack-Brot-Esser, die Unilever-Evangelisten, die Tüten-Thomy-Hollandaise-über-Dosen-Spargel-Kipper. Außer Mitleid und/oder Verachtung verdienen diese Menschen nichts.

In diesem kulinarischen Universum des neugierig-gierigen Allesfressers und des essgestörten Rübenstängelkauers bin ich irgendwo dazwischen, so ein ganz tyischer in-between, nur ganz weit weg von den „Ist-doch-egal-was-ich-Fresser“, mit solchem Pack will ich nichts zu schaffen haben. Schwein schmeckt viel zu gut, als dass ich es als Mitgeschöpf am Leben lassen wollen würde – artgerecht halten, ja, aber dann schlachten und auffressen, aber auch nicht wieder ganz, Schweinskaldaunen sollten den Hunden vorbehalten bleiben, und Blutwurst den, den … nein, hier schreibe ich dann doch lieber nicht weiter. Austern nein, esse ich nicht freiwillig, da ist ja alles an Eingeweiden – wenn auch winzig – noch drinnen, Schnecken hingegen schon, die werden ganz gewiss sorgfältig ausgeweidet, bevor man sie in Kräuterbutter ertränkt; wabbliges Fett am Schweinebraten niemals, fettes Gehacktes gerne; Steak bleu niemals, Carpaccio her damit; gebratene Leber igitt, Foie gras aber liebe ich, und Leberknödel, das ist so eine Art Leberkäse, ganz ohne Leber, kann ich mir einreden, wohlweißlich es besser wissend; Innereien generell sind ein No-Go für mich, aber Genueser Spitzen schmeckten Luc und mir trefflich, bis wir gewahr wurden, dass wir gerade Kalbshodenpastete aßen, seitdem haben wir sie nicht mehr angerührt.

Ich lebe in den glücklichen Umständen, dass Essen für mich zumeist Freiheit und Genuss beutet, echten Hunger kenne ich doch nicht, echter Hunger, das ist Baumwurzeln und Gräser kauen, um zu überleben; ein durchhängender Magen, weil die Sitzung drei Stunden länger dauert, das ist lästig, aber doch kein echter Hunger, und drei Wochen Heilfasten haben noch niemandem geschadet. Ich bin – wie die meisten von uns, machen wir uns doch nichts vor –  in der luxuriösen Lage, dass ich mit Bedacht wählen kann, was ich mir in’s Maul stopfe, und dabei lasse ich mich – leider viel zu sehr – von meinem Bauch leiten, und der mag Vieles, aber eben längst nicht Alles. Sicherlich bin ich kein kulinarischer Ethnologe, gänzlich ekelbefreit und mit unendlicher Neugierde, andererseits bin ich sicherlich auch nicht der Bauer, der nett frett, watt er nett kennt. Essen ist Freude und Lebensqualität. Oft sage ich bei mangelhaften Speisen „Ist die Kalorien nicht wert“ und lasse es stehen, das ist ein Privileg der Luxusklasse. Oft laufe ich lieber mit flauem Magen rum, bevor ich zu McD gehe. Ebenso genieße ich feinste Spezereien, das mag eine richtig gute Kartoffel mit Kräuterquark sein, eine Scheibe gutes Steinofenbrot mit frischer Fassbutter, oder auch eine große Portion Kaviar mit Blinis oder ein rosaner Rehrücken mit handgeschabten Spätzle – da bin ich dann nicht wählerisch, nur gut muss es halt sein.

Bleiben aber eine Menge Fragen offen.

Definiert sich der Feinschmecker durch bedingungslose kulinarische Neugierde, gepaart mit fundiertem kulinarischem Wissen und trainierten, feinen Geschmackspapillen, wie Bourdain? Ich glaube nein, man muss ohne Not nicht alles fressen, man kann es tun, wenn man es mag und kann, man muss es aber nicht

Oder definiert sich der Feinschmecker dadurch, dass er den Kanon der – von wem auch immer, wahrscheinlich eine Art kulinarischer common sense –  in einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Land als fein befundenen Speisen hoch und runter frisst, deren Zutaten, Zubereitungen, Darbietungen genau in den meisten qualitativen Abstufungen erkennen und beurteilen kann und gar trefflich darüber zu parlieren versteht? Dazu bedarf es in der Regel viel Geld, solche Leute haben in den letzten Jahrzehnten mal Cross-Over verehrt und kein Steak ohne Garnele oben drauf gegessen, danach haben sie für Unsummen Molekularschaumscheiße gefressen, jetzt ergehen sie sich gerade an de Vorzügen diverser Rinderrassen und der Frage, wie und bis zu welchem Grad man das Fleisch am besten vor dem Verzehr vergammeln lässt und heißen es bewundernd „dry aged“.

Oder definiert sich der Feinschmecker dadurch, dass er isst, was er mag, aber dass zugleich das, was er isst – unabhängig vom Preis – von bester Qualität, bester Qualität der Zutaten, der Zubereitung, der Würzung, des Gargrads, der Texturen, der Darbietung sein muss und dass er sodann ein kompetentes Urteil, basierend auf kulinarischem Wissen über Zutaten und Kochkunst und basierend auf zahlreichen Vergleichen und natürlich dem eigenen Geschmack abgeben kann, mit dem er z.B. eine Bélon von einer Colchester Auster mit geschlossenen Augen zu unterscheiden vermag?  (Diese Definition entspräche am ehesten der etymologischen Herkunft von Gourmet, nämlich von altfranzösisch gormet, „Weinhändler-Gehilfe“, was zum Synonym wurde für Weinkenner, einer, der sich beim Weinkauf in Sachen Qualität nichts vormachen lässt, und dieser Begriff wurde dann auch auf’s Essen ausgedehnt.)

Nun denn, für mich ist der Erste ist Forscher, Wissenschaftler, Freak. Der Zweite ist unkritischer Mainstreamer, der die Mainstream-Meinung getreulich nachplappert und der morgen auch Scheiße fressen würde, wenn sie in gewissen Kreisen en vogue würde. Der Dritte aber, der ist der freie Genussmensch, der isst, was er mag, solange es nur gut ist und das dann aber auch kompetent beurteilen kann.

Ansonsten gilt für alle Drei das Theorem von Jean Anthelme Brillat-Savarin „Ein echter Feinschmecker, der ein Rebhuhn verspeist hat, kann sagen, auf welchem Bein es zu schlafen pflegte.“

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