Hummer Pedersen Hamburg: Enttäuschung auf ganzer Linie

Summa summarum: Bistro-Ableger eines alteingesessenen Hamburger Fischhändlers, unprätentiöses Ambiente jenseits des schlimmsten Touristenrummels, verheißungsvolle Fisch-Speisekarte, für uns durchgängig grottige Küchenleistung

Madame gelüstete es während unseres Besuchs in Hamburg nach Nordsee-Seezunge. Ich habe sie im Butt in Jever mit dem Zeug angefixt. Nordsee-Seezunge ist noch nicht einmal halb so groß wie eine normale Atlantik-Seezunge, von der Konsistenz her etwas kompakter und ungleich zarter und köstlicher als ihre großen Basen – und nochmals ungleich teurer, und Atlantik-Seezungen sind schon sauteuer. Im Butt in Jever gibt’s meistens welche, dazu mit die besten Bratkartoffeln, die ich kenne. Mich wiederum hat vor Jahrzehnten eine nette Gastwirtin in Emden mit der Nordsee-Seezunge bekannt gemacht. Ich arbeitete damals als Berater vier Monate für einen nicht näher genannten Automobilkonzern am Jadebusen, meine Sekretärin hatte mich unter der Woche serienmäßig im „ersten Haus am Platze“ (was in Emden nicht viel heißt) einquartiert, dem Parkhotel Upstalsboom, dort gab es sogar eine René Kollo-Suite, ich dachte immer, Opernstars logieren deutlich luxuriöser. Schon nach wenigen Wochen war mir dieses Hotel zu schnöselig, außerdem war das Frühstück mäßig, das Abendessen kaum erträglich. Also schlenderte ich des abends hungrig durch das Städtchen auf der Suche nach kulinarischen Alternativen. Ich fand sie in Form eines ziemlich alten, hübschen Gasthauses nur ein paar Straßen weiter, komplett mit dunklem Holz vertäfelter Gastraum, Sprossenfenster, mächtiger Fünfziger-Jahre Schanktresen, alte Möbel, unkitschige, alte Ölgemälde mit maritimen Motiven, die weniger die Romantik der Seefahrt und Fischerei beschworen, als vielmehr ihre schonungslose Härte, Mühe und Gefahr, allein das gefiel mir, dazu freundliches Personal, fast nur einheimische Gäste und richtig gute, authentische norddeutsche Küche, so mit Matjes Hausfrauenart, Panfisch, Grünkohl mit Pinkel. Nach dem zweiten Abendessen dort fragte ich die wackere Wirtin spontan, ob sie auch Zimmer zu vermieten habe, ja, antwortete sie und zeigte mir eines der Gästezimmer, groß, sehr einfach und altmodisch eingerichtet, aber mit allem Notwendigen ausgestattet, und dazu … gemütlich, heimelig, ganz anders als die moderne, komfortable 08/15 Zimmereinrichtung von der Stange im Upstalsboom. Aber 60 Mark müsse sie schon nehmen, für Übernachtung und Frühstück, ob das denn ok wäre, fragte die Wirtin fast schon verlegen – ein Drittel meines jetzigen Übernachtungspreises! Nicht, dass ich für Firm auf’s Sparen ausgewesen wäre, ich hatte noch nicht einmal sowas wie ein Spesenkonto, dienstlich veranlasste Kosten wurden einfach samt Rechnung monatlich eingereicht und klaglos und ohne Nachfragen prompt erstattet, doch spontan ab der nächsten Woche für erstmal einen Monat durchgebucht, die Wirtin fiel fast um vor Schreck, bei ganzen vier Wochen könne sie mir das Zimmer schon für 45 Mark geben, „Nein, nein,“ entgegnete ich, „lassen wir’s bei den 60 Mark, dafür lieber ein paar mehr von Ihren genialen Bratkartoffeln zum Abendessen.“, die Frau strahlte, am nächsten Morgen Upstalsboom stornieren lassen, aus dem Monat in dem kleinen Gasthof wurden schließlich mehr als drei. Die Monate in diesem Gasthaus waren wirklich schön, familiäre Atmosphäre, freundliche Menschen, zur Nacht sehr gutes Essen, am Morgen duftete es im ganzen Haus nach frischem Filterkaffee, Brötchen vom Bäcker gegenüber, selbst gemachte Marmeladen, was man an Wurst, Schinken und Käse haben wollte, schnitt eine Kaltmamsell frisch portionsweise auf einer altertümlichen, mächtigen, handbetriebenen Schneidemaschine auf und brachte es an den Tisch (und wenn man vier Scheiben Schinken bestellt, aber nur drei gegessen hatte, blickte sie beim Abräumen vorwurfsvoll, recht so), Eierspeisen nicht warmgehalten, sondern à la minute, es war so schön da, dass ich etliche Wochenenden nicht zu Weib und Kindern heimgefahren bin, sondern die Familie nach Emden kommen ließ (durch diese Wochenenden weiß ich, dass es Boseln tatsächlich gibt und dass die M-Klasse nicht wirklich geländegängig ist). In der dritten Woche trat die Wirtin fast konspirativ an meinen Tisch und sagte mit leisem Ton: „Mein Schwiegervater fährt heute zum Fischen raus, mit etwas Glück fängt er Nordsee-Seezungen. Wollen Sie welche zum Abendessen?“ Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es sowas wie Nordsee-Seezungen überhaupt gibt, ich kannte halt die normale Atlantik-Seezunge, also warum nicht mal Nordsee-Seezungen probieren? „Ich nehme gerne eine, ich bin gespannt!“ entgegnete ich. Die Wirtin blickte sparsam, was mich nun schon verwunderte. „Von einer wird einer wie Sie doch nicht satt!“ „Ja, wieviel Nordsee-Seezungen isst man denn so im Durchschnitt?“ (Vor meinem geistigen Auge tummelten sich gerade jede Menge Sardinen.) „Ja, so drei, vier mindestens.“ „Dann fange ich mal mit dreien an. Was gibt es dazu?“ „Was sie wollen, Bratkartoffeln, Salzkartoffeln, Buttersauce, grüner Salat.“ „Dann bitte Ihre phänomenalen Bratkartoffeln, Buttersauce und ihren tollen Salat mit dem süßen Sahne-Zwiebel-Dressing.“ „Wird gemacht, aber – wie gesagt – ich kann nicht garantieren, dass mein Schwiegervater welche fängt, dann müssen’se halt von der Karte essen.“ „Ich werde bei Ihnen schon nicht verhungern, aber ich muss sagen, ich bin sehr gespannt auf diese Nordsee-Seezungen.“ Es gibt unvergessliche Momente im Leben, da ist man kulinarisch einfach geflasht – positiv oder negativ. Natürlich sind das erste Mal Trüffel, Austern und Kaviar solche Momente, aber es muss nicht unbedingt das teure Zeugs sein, auch meine erste Choucroute in einem kleinen Lokal im Elsass, meine erste Svíčková in Prag und mein erster Hamburger in der ersten McDonalds-Filiale Deutschlands im München der siebziger Jahre haben mich so geflasht. Und dann kamen am Abend meine ersten drei Seezungen, entköpft, wirklich kleine Kerlchen, frisch in Butter gebraten, in keinster Weise fischig riechend, sondern nach Salz und Meer duftend, krosse Haut, glasiges Fleisch, feste und doch zarte Konsistenz, unendlich wohlschmeckend … da hatte ich mich unsterblich in die Nordsee-Seezunge verliebt (und mich geärgert, dass ich nur drei geordert hatte). Eigentlich bin ich ja mehr so der Fleischtyp, aber bei Nordsee-Seezungen mutiere ich stante pede zum Pescetarier. In den kommenden Monaten kam die Wirtin dann ein, zwei Mal pro Woche beim Frühstück konspirativ an meinen Tisch, ich orderte dann immer fünf, zwei Mal kam ihr Schwiegervater mit leeren Händen zurück, also à la carte, seufz. Auf der offiziellen Karte des Gasthauses erschienen die Teile sowieso nie, die wurden wohl alle unter der Hand vertickt, an gute Freunde oder zumindest gute Gäste des Hauses. Meine Söhne sind Fleischfresser und haben’s – außer Fischstäbchen – nicht so mit den Meeresbewohnern, aber bei Nordsee-Seezungen werden sie bis heute schwach, falls man sie denn mal bekommt. Leider gibt’s dieses Gasthaus so nicht mehr, heute ist ein Hotel Garni darin.

Doch zurück nach Hamburg und Caros Wünschen. Nordsee-Seezunge, der Concierge hatte mich nur reichlich hilflos angeblickt und das Googlen angefangen; hätte ich ihn nach einer dreibrüstigen Nutte aus Namibia mit Domina-Qualitäten gefragt, hätte er mir sicher wie aus der Pistole geschossen mehrere Empfehlungen geben können, und Googlen kann ich selber. Also den Wissensgott bemüht, der spuckt unter den Stichworten „Nordsee-Seezunge“, „Hamburg“ und „Restaurant“ ganze zwei Treffer aus, nämlich das Fischereihafen Restaurant und Hummer Pedersen Bistro. Fischereihafen Restaurant kenne ich, zwar ziemlich touri-mäßig und teuer, aber hübsche Aussicht und gutes Futter, also flugs dort angerufen und nach einem Tisch für gleich gefragt; die Dame am Telephon hätte wohl fast laut losgelacht, am kommenden Mittwoch hätte sie zum ersten Mal noch einen Tisch frei. Also Hummer Pedersen Bistro, die hatten tatsächlich spontan noch einen Tisch, aber nur bis 20:30 Uhr. Gebucht, so klein, wie Nordsee-Seezungen sind, schaffen wir die locker bis 20:30 Uhr, in’s Taxi gesprungen und Richtung Landungsbrücken gefahren, das Hummer Pedersen Bistro liegt kurz hinter den Landungsbrücken, Ginn Hotel und Stilwerk, wo der touristisch geflutete Teil des Hafens sich verläuft und das normale städtische Leben langsam wieder anfängt, baulich ist es hier eher pragmatisch, auch kein Ausblick auf’s Wasser, modern-lässige Einrichtung, keine Tischwäsche, Papierservietten, kaum Deko-Tinnef, Bistro halt, wir sind ja wegen der Nordsee-Seezungen hier und nicht wegen stylischen Designs. Nach den Touristen-Heerscharen zwischen Elbphilharmonie, Reeperbahn und Landungsbrücken ist das Publikum im Hummer Pedersen Bistro angenehm hanseatisch-einheimisch und alles andere als affektiert-angeberisch, die feine alte Dame mit Nerzstola und chronisch genervtem Blick fehlt ebenso wie der angeberische Yuppie mit Rolex und drei Handys auf dem Tisch, Reisende scheinen wir die einzigen hier zu sein. Ich nehme vielmehr die ordentlich verdienenden, mittelalterlichen Mechatroniker, das ältere Lehrerehepaar, die junge Kleinfamilie mit Baby, den Mittelständler mit Leinenhose und Deckschuhen ohne Socken wahr (klar, alles Klischees und nicht verifiziert, aber diese Klischees eignen sich recht gut zum Beschreiben). Alles in allem: angenehmes Publikum.

Das Bistro ist der gastronomische Ableger eines alteingesessenen Hamburger Fischhändlers, der zwischenzeitlich mal Oetker und Darboven gehörte, heute aber wieder in Familienbesitz ist. Entsprechend ist die Speisekarte sehr fischig. Bis auf einen vermaledeiten Burger gibt’s eigentlich nur Meeresgetier, natürlich diverse Austern, Kanadischen und Nordsee-Hummer in zahlreichen Zubereitungsarten (frisch vom Becken in den Topf), viele Meeresfrüchte, Lachs als Tatar, geräuchert, gebeizt, gebraten, allerlei Meereswürmlein, Pulpo, diverse gesottene oder gebratene Fischsorten, natürlich auch Nordsee-Seezunge, nur der deutsche Kaviar dürfte definitiv nicht aus dem Meer stammen, sondern aus Fulda. Die Speisekarte ist vielleicht etwas groß geraten, klingt aber ansonsten – bis auf die Dessertkarte, die scheint ein Convenience-Trauerspiel zu sein – sehr gut.

„Klingt gut“ muss ja nicht zwangsläufig auch „Ist gut“ bedeuten, das Hummer Pedersen Bistro ist hier ein Parade-Beispiel. Das Lachstatar mit Kapern-Tomaten-Vinaigrette ist ölig-fischig-schleimig, schlichtweg ungenießbar. Die Hummersuppe ist eine passierte, dicke Tomatenpampe mit ein paar zähen Hummerstücklein drinnen. Der halbe gegrillte kanadische Hummer wird mit dem schleimigen grünen Corail serviert, kann man so machen, muss man aber nicht, hätte ich in der besseren Gastronomie auch noch nicht so erlebt (maximal in einer Hafenkneipe in Maine), Hummerzange wird gar nicht erst mitserviert, ja wie in Dreiteufelsnamen soll ich denn die Schere knacken, vielleicht mit den Zähnen? Das Hummerfleisch ist rar und fast kalt (frisch gegrillt???) und fasrig-zäh-geschmacksarm, die Cocktailsauce ist dubios, bei der Fischplatte wird sie nochmals zum Einsatz kommen. Besagte Fischplatte besteht aus drei ordentlichen Stücken Fisch, Lachs, ich glaube Dorsch und noch irgendwas, tot und fasrig gebraten, weit entfernt von glasig, einfach nur trocken, jedem Koch, der so etwas macht, dem sollte man die Bratpfanne auf Lebenszeit wegnehmen. Die Bratkartoffeln – geviertelte Drillinge, ich vermute aus dem Convenience-Vakuum-Beutel – sind matschig, alles andere als kross, geschmacklos, fetttriefend, ein Trauerspiel für jeden Bartkartoffel-Liebhaber. Und dann – quasi als Höhepunkt – die Nordsee-Seezunge: ein Monster von Seezunge, größer als der ganze – große – Teller, in Emden hätten vier von den dortigen Nordsee-Seezungen locker auf den Teller gepasst, wieder totgebraten, bar jeden feinen Geschmacks, breiig von der Konsistenz, neutral bis leicht negativ vom Geruch, für gutes Essen zahle ich gerne gutes Geld, aber für sowas 48 EURO zu verlangen, das ist schon drollig. Als der Servicechef Valentino Köhnig persönlich die fast nicht angerührte „Nordsee“-Seezunge abräumt, fragt er sichtlich betroffen, ob etwas nicht gestimmt habe; ich mache meinem Ärger keine Luft, sondern versuche, ihm so höflich und objektiv wie möglich zu erklären, was ich unter einer Nordsee-Seezunge verstehe. Dieses Ding hat ungefähr so viel mit einer echten Nordsee-Seezunge gemeinsam wir ein großes Collier mit Swarovski-Steinen mit einem echten Brillantring. „Sowas bekommen Sie in ganz Hamburg nicht.“ ist seine Antwort, und er versucht – sehr professionell – den Fauxpas (eigentlich müsste man ja von den Fauxpas sprechen, aber den ganzen Rest habe ich erst gar nicht thematisiert) mit Frei-Schnäpsen und -Kaffees auf’s Haus zu kompensieren. Danke, nie wieder.

Als wir Arm in Arm in die nieslige Nacht zum Taxi hinausgehen, zischt Caro „Dafür ist aber eine Einladung nach Jever fällig, mir ist egal, wer zahlt, Du oder Dein Wissensgott, Mr. Google!“


Hummer Pedersen
Fr. Pedersen GmbH
Geschäftsführer: Karl Niehusen
Küchenchef: Lukas Ben Schröder
Am Fischmarkt / St. Pauli
Große Elbstraße 152
D – 22767 Hamburg
Tel.: +49 (40) 5 22 99 39 26
Email: kueche@hummer-pedersen.de
Online: www.hummer-hamburg.com/bistro/

Hauptgerichte von 15,50 € (Gemischter Fischteller mit Bratkartoffeln und Salat) bis 48,00 € (Nordsee-Seezunge mit Bratkartoffeln, Gurkensalat und zerlassener Butter) (Nordsee-Hummer nach Tagespreis auch nochmal deutlich teurer), Drei-Gänge-Menue von 33,90 € bis 152,50 € (das dann allerdings mit 50 Gramm Kaviar als Vorspeise)


P.S.: Um hier nicht des Semannsgarns bezichtigt zu werden: so sieht eine Platte mit Nordsee-Seezungen für zwei Personen im Butt in Jever aus (die Zitronenschnitze mögen als Größenvergleich dienen, in Jever ist so ein Fischlein schmaler als ein Zitronenschnitz, im Pedersen hat die Monster-Nordsee-Seezunge die Breite von fast drei Zitronenschnitzen. Und dann die Bratkartoffeln im Butt …

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