Friedrichs Gin (endlich mal ohne falschen Apostroph!)

Da rennen wir nun im andauernden allgemeinen Gin-Delirium immer neuen, immer abenteuerlicheren, immer exotischeren, immer abgedrehteren Gin-Kreationen hinterher, neben den traditionellen Platzhirschen Gordons, Bombay und Tanqueray wollen etablierte Destillen – wie Ziegler, eigentlich bekannt für seine Spitzen-Obstbrände, oder die Destileria Colombiana, ein herausragender kolumbianischer Hersteller von Rum, oder der Nobel-Whisky-Destille Bruichladdich mit dem durchaus respektablen Botanist Gin, um nur drei Beispiele zu nennen – in dem lukrativen Gin-Geschäft mitmischen, aber auch aus den Universitäten und Gossen kommen Scharlatane, die plötzlich ohne jede Vorbildung, ohne Destillier-Kenntnisse und ohne eigene Brennerei Kunst- und Modeschnäpse mit Wacholder zusammenstoppeln, mit einem beliebigen, Hauptsache abenteuerlichem Marketing-Märchen garnieren und dann mit viel viralem Werbedruck in den durstigen, dummen Markt drücken, und das durchaus mit beachtlichen Erfolgen. Wollte man derzeit wirklich alle in Wochenrhythmus neu auf den Markt kommende Gins tatsächlich probieren, man verdürbe sich gewiss die Leber. (Dieser Hype ist so schlimm, dass das renommierte Magazin für Barkultur, „Mixology“ sich Mitte vergangenen Jahres bereits zum zweiten Male veranlasst sah, ausführliche Tipps für angehende Gin-Produzenten herauszugeben – siehe http://mixology.eu/drinks/fuenf-neue-tipps-gin-hersteller/ – die sich jeder Möchte-Gern-Destillateur getrost unter’s Kopfkissen legen sollte, „Bescheidenheit“ ist da der wahrscheinlich Wichtigste der Ratschläge.

Einerlei. Was bei dem allgemeinen Hype immer wieder vergessen wird ist die Tatsache, dass wir hier in Deutschland eine uralte, ungebrochene Tradition der Wacholderschnapsherstellung haben. Nun gut, Wacholderschnaps, das ist etwas anderes als Gin. Wir haben verschiedene Wacholder und Doppelwacholder (s.u.) im Blindversuch gegen verschiedene Gins getestet. Caro hat es am Schluss auf den Punkt gebracht: Wacholder ist ein Mofa, manchmal vielleicht ein kleines Moped, aber Gin, das ist das Motorrad, manchmal nur eine alte Enfield 440 Diesel, manchmal aber auch eine richtige Rennmaschine. In Hagen zum Beispiel produziert die Familie Eversbusch seit 1780 Wacholderschnaps mit 46%, seit 1817 mit derselben Destillieranlage und demselben Rezept; die Familie Kisker brennt seit 1737 Wacholder mit 32% und Doppelwacholder mit 38% in Hagen. Bereits seit 1700 wird in der Gräflich von Hardenberg’sche Kornbrennerei bei Nörten-Hardenberg, im tiefsten Niedersachsen, Schnaps mit dem Keiler als Wappentier gebrannt, darunter ein zahmer Wacholder mit 32%. Seit dem 17. Jahrhundert wird auch in Steinhagen, einem kleinen Kaff im Westfälischen am Fuße des Teutoburger Waldes, bis zur industriellen Revolution Zentrum des Flachsanbaus, Wacholderschnaps gebrannt und in typischen Tonflaschen, der sogenannten Kruke (ähnlich, aber nicht identisch mit der original Genever-Flasche), abgefüllt. Mitte des 19. Jahrhunderts sind über 20 Brennereien in Steinhagen – einem Städtchen mit damals keinen 2.000 Einwohnern – dokumentiert. (Wer sich für die Geschichte der Schnapsbrennerei in Deutschland interessiert, dem sei das Steinhagener Stadtmuseum wärmstens an’s Herz gelegt.) Bekannt ist der – natürlich EU-geschützte – Wacholderschnaps aus Steinhagen unter den Marken Steinhäger, Schlichte und Schinkenhäger (letzteres, alldieweil die Brennerei König in den 50er Jahren einen formidablen westfälischen Schinken auf die Kruke drucken ließ; daraus machte der Volksmund alsbald die Bezeichnung Schinkenhäger, die sich bis heute gehalten hat). Heute gibt es in Steinhagen noch zwei Brennereien, die Familie Kisker aus Halle brennt hier in der ehemaligen Brennerei Fürstenhöfer einen Steinhäger und die Firma Schwarze-Schlichte aus Oelde (1664 gegründet, 112 Jahre vor der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung) produziert in der ehemaligen Brennerei H.C. König. Schlichte steht neben Steinhäger und Schinkenhäger für – teilweise schon vergessen geglaubte – Marken wie Bärenjäger, Dujardin, Racke rauchzart, Stetson, Angel d’Or, Ganz Alter Schneider, Kosaken Kaffee, Sechsämtertropfen, Spreewald Bitter oder Stichpimpuli.

Jetzt hat Schlichte sich dem Hype angeschlossen und ebenfalls – reichlich spät – einen Gin auf den Markt gebracht, Friedrichs geheißen. Im Gegensatz zu den Scharlatanen und Hype-Trittbrettfahrern aus Universität und Gosse glaube ich dem Hause Schlichte einfach, dass es Kompetenz in Sachen Schnaps allgemein und in Sachen Wacholderschnaps speziell besitzt. Es ist ausgesprochen angenehm, dass es kein Marketing-Märchen zu Friedrichs Gin gibt; da hat niemand einen Affen oder alte Rezepturen in verstaubten Kisten auf dem Dachboden gefunden oder auf England-Reisen inspirierte Großväter. Da haben ganz einfach erfahrene Brenner in ihrer eignen Brennerei ein Londons Dry Gin mit 45% gebrannt, und der ist ausgesprochen gut. Wacholder und Zitrus stehen im Vordergrund, wir haben noch Koriander, Lavendel, Rosmarin und Anis geschmeckt, aber da sind gewiss noch mehr Botanicals. Insgesamt ein ausgesprochen runder, trotz seiner 45% gutmütiger Gin ohne große Ecken und Kanten, der runter geht wie das berühmte Öl. 40 EURO für den Liter sind hier gewiss ein fairer Preis.

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