Das Steichele: echte bodenständige fränkische Küche

Sorry, liebe Nürnberger, aber Nürnberg ist eine Stadt, an der man eigentlich immer vorbei fährt. Auf dem Weg nach Süden dann doch gleich lieber weiter nach München, das ist schließlich eine richtige Stadt; auf dem Weg nach Norden ist man meist erst gerade losgefahren, wenn man Nürnberg passiert, warum also hier schon Station machen? Nürnberg, das ist eine Siedlung wie Kassel, Essen, Erfurt, Hannover – man weiß vielleicht, dass da irgendwas ist, eine Kaiserburg, ein Bergpark Wilhelmshöhe, eine Zeche Zollverein, ein Dom, ein Sprengel Museum, aber deswegen extra von der Autobahn abfahren, gar einen Städtetrip am Wochenende dorthin unternehmen? Bewahre, da gibt es wahrlich schönere und interessantere Ziele, Dresden, Hamburg, Schwerin, Köln, das sind interessante Städte, für die man von der Autobahn abfährt oder wo man ein Kultur-Sight-Seeing-Shopping-Wochenende verbringt. Aber Nürnberg? Ja, ja, Kaiserburg, aber die war doch zerbombt, ist doch alles nachgebaut. Germanisches Nationalmuseum, ein Museum halt, Bilder von Dürer,  Stoss, Feuerbach kann man zig Museen weltweit anschauen. Original Nürnberger Rostbratwürstchen gibt’s Land auf, Land ab, sogar eingeschweißt im Kühlregal des Discounters für 99 Cent – deswegen extra nach Nürnberg reinfahren? Und der berühmte Christkindlesmarkt ist doch eh‘ nur eine kitschige Kommerzveranstaltung für Touristen aus Amiland und Japan, die sich eng gequetscht durch schmale Budengassen schieben und dort völlig überteuerte Preise für meistminderwertige Ware zahlen. Warum also Nürnberg?  Wirtschaftlich scheint auch nicht viel los zu sein, die Gespenster von Grundig, Quelle, Telefunken hängen wie Menetekel über dem Standort, auch die großen internationalen Unternehmensberatungen – immer ein guter Indikator für die Prosperität eines Standorts, die Geier siedeln sich immer dort an, wo es reichlich Futter gibt – meiden bzw. ignorieren Nürnberg. Nürnberg kannte ich höchstens mal dann und wann mal von einem Pflichttermin auf einer Messe, morgens mit dem Flieger rein, stressiger, terminlich eng durchgetakteter Messetag, vielleicht noch ein geschäftliches Nobelfresschen im Essigbrätlein oder im Rottner in Großreuth (das ich recht gerne mag, aber das ist ein anderes Thema), abends wieder rausgeflogen oder kurz mit dem Taxi oder IC rüber nach München in’s Hotel (denn das ist – s.o. – schließlich eine „richtige Stadt“). Tja, Nürnberg habe ich bisher weitgehend ignoriert, und heute gestehe ich ein, ich bin/war diesbezüglich ein Ignorant. Nürnberg hat durchaus seine Reize, interessante Ecken, nette Menschen und auch kulinarische Highlights. Essigbrätlein, Aumer’s la Vie (wieder mit falschem Apostroph), Koch und Kellner, Entenstuben, Wonka – das sind so die Standard-Lokale, in denen Sekretärinnen, die einen Guide Michelin oder einen Gault Millau lesen können, Geschäftsessen organisieren. Das ist alles gänzlich regional unabhängige, nicht geerdete, nicht verwurzelte internationale Standardküche im gehobenen Bereich, da werden Jacobsmuscheln, St. Petersfisch, Wagyu-Rind  und Okraschoten gekocht, gedämpft, geschnitzt, gebrutzelt, alles leckere Dinge, die aber nichts, aber auch gar nichts mit Nürnberg und Franken zu tun haben, die einfach für viel Geld aus alles Welt eingefahren und eingeflogen werden. Das ist eine andere Kategorie, um die es hier und heute nicht geht.

Authentische fränkische Küche in Nürnberg zu finden ist gar nicht so einfach. Da gibt es die Idiotenrennmeile für die Touristen, beginnend am Bahnhof, quer durch die Fußgängerzone, vorbei am (beeindruckenden) Nürnberger Museumsquartier, runter zur Pegnitz, über den Marktplatz (der im Winter als Christkindlesmarkt herhalten muss), hoch zur Kaiserburg; dieser Weg ist wahrlich gespickt mit angeblich „original Nürnberger Lokalen“, die ihre Speisekarten sowieso in Englisch und zusätzlich noch in Sprachen aus aller Herren Länder anbieten. Was sagt uns das? Fokus dieser Lokale sind Touristen, die einmal im Leben in’s (hier stimmt das Apostroph übrigens) Lokal kommen und dann nie wieder. Solchen Touristen muss man Lokalkolorit und eine Anmutung der Authentizität (vulgo: Kitsch) bieten, die angebotenen Speisen müssen ebenfalls Lokalbezug vorgeben, zusätzlich sollte die Speisekarte immer auch einen Hamburger, eine Pizza oder wenigstens ein Schnitzel feilbieten, falls der gemeine Tourist als solcher gerade keine Lokalkost kosten will. Die Qualität der Rohstoffe und die Kochkünste stehen hier nicht im Vordergrund, Präsentation und Authentizitätsanmutung sind wichtig, damit der ahnungslose Gast aus Fernost oder Fernwest das Gefühl mitnimmt, „echt Nürnbergerisch“ gegessen zu haben. Und wenn ein Lokal dem fremden Reisenden dieses Gefühl vermitteln kann, so ist die Preissensitivität beim fremden Reisenden in der Regel gering, will sagen, es ist teuer. Schlendert man durch diese einschlägigen Lokale, so hört man kaum ein rollendes fränkisches „R“, wohl aber Sprachen aus aller Herren Länder, der Franke als solcher scheint in diesen Lokalen weniger zu verkehren und zu speisen. Wo aber isst der „echte Nürnberger“ seine gleichnamigen Rostbratwürstchen & Co., in welches Lokal lädt die Nürnberger  Oma ihre Familie zum 75ten Geburtstag zu Schäufele und Kloss ein, wo speisen der einheimische Herr Doktor, die Frau Richterin, der Handwerksmeister und die Verkäuferin in Nürnberg, wenn ihnen der Sinn nach heimischer fränkischer Kost steht?

Einer dieser Nürnberger „Geheimtipps“ ist das Steichele, das in kaum einem der gängigen Nobel-Restaurant-Führern erwähnt wird. Das Gasthaus mit kleinem Hotel liegt mitten in der Innenstadt Nürnbergs, in einer kleinen Seitenstraße im ehemaligen Rotlichtbezirk um den Jakobsplatz. Das ist keine Lauflage, man findet das Haus nicht, wenn man es nicht sucht.  Es ist in der 5. Generation im Besitzt der Familie Steichele, heute leitet Bernhard Steichele den Betrieb. Seit Ende des 19. sind die Steicheles Gastwirte in Nürnberg, das Stammhaus in der Knorrstraße wird seit über 100 Jahren immer wieder erweitert, renoviert, erneuert, umgebaut, behutsam, Stück für Stück, Jahr für Jahr, kontinuierlich und beständig. Heute verfügt das Haus über 40 moderne Hotelzimmer, zwei Gaststuben, einen Weinhandlung mit Probierstube, einen gemütlichen Tagungs- und Bankett-Raum (der mehr für eine Familienfeier als für ein Strategie-Meeting geeignet ist) und – man staune – über einen eigenen Weinberg. Die Gasträume sind niedrig, durch die original Butzenscheiben in den Fenstern nicht wirklich hell,  Holzbalken als Boden, niedrige Türstöcke, die Tische sind sauber und blank, ohne Tischwäsche, ein paar alte Stücke wie Standuhr als Dekoration, alles ist – sagen wir – urig, ungekünstelt, echt; hier war weder ein Einrichtungsdesigner am Werke noch eine entfesselte Gastwirtsgattin, die ihrem Kitsch-Geschmack freien Lauf lassen kann (ich höre schon einen feministischen Aufschrei, dieses Phänomen findet man aber tatsächlich sehr oft; Kneipen, in den Männer ihrem Kitsch-Geschmack freien Lauf lassen, gibt es natürlich ebenfalls, mit Harley Davidson Devotionalien, Hirschgeweihen,  Zigaretten- und Alkoholwerbeschildchen, aber das ist nochmal ein anderes Thema). Touristen nehme ich kaum war, hier wird fränkisch gesprochen, die Speisekarte ist übersichtlich, nur in Deutsch und – weitaus wichtiger – vorwiegend regional, regionale Gerichte aus regionalen Zutaten, und Jacobsmuscheln sind nun mal nicht in Franken heimisch, aber z.B. der Karpfen. Es gibt eine Standardkarte, eine wohlfeile Mittagskarte mit je zwei Gerichten pro Tag und eine täglich wechselnde (der Name sagt es) Tageskarte, dazu noch eine große Schiefertafel mit handgeschriebenen Offerten.

Sauerbraten mit Kloß, Schäufele mit Kloß, Rindsrouladen, Rostbratwürste, gebackener Karpfen, Waller im Wurzelsud, das sind alles sichere Bänke im Steichele, das kann die Küche, da kann man nichts falsch machen, das ist solide, frische, Geschmacks-Chemie-freie, bodenständige fränkische Küche mit frischen, regionalen Produkten; besonders sympathisch, dass diese Gerichte dann auch mal irgendwann im Laufe des Tages/Abends „aus“ sind, hier warten keine Bottiche fertiger Speisen in der Kühle auf ihre Mikrowellen-Erwärmung, hier wird frisch, individuell, mit Augenmaß gekocht, und das wirklich deftig-gut, nicht etwa gehoben-verkünstelt-raffiniert, sondern deftig: das Schäufele schmeckt nach Schwein, Majoran und Kümmel, Punktum, nicht mehr und nicht weniger, wer „Dialog von Ingwer-Aromen mit Kümmel-Jus an flacher Schulter vom iberischen Eichelschwein“ erwartet, der ist hier fehl am Platze, das Schäufele stammt von einer gemeuchelten, aber artgerecht gehaltenen heimischen Sau mit den typischen heimischen Gewürzen, und das schonend und langsam gegart: Herz, was willst Du mehr? Ich persönlich finde die Rindfleischgerichte noch recht ordentlich –Stroganoff, Zwiebelrostbraten, Rinderfilet, der Koch kann mit Rindfleisch umgehen, und auch die hausgemachten Spätzle sind passabel, aber bei Kroketten, Pommes, Fertig-Kräuterbutter, da hört es bei mir dann auch schon wieder auf. Und Riesengarnelen, Lachsnudeln und asiatische Reispfanne, das braucht’s für mich nicht in einem fränkischen Lokal, aber wahrscheinlich sind das Zugeständnisse, die man als lokaler Wirt an eine einheimische Stammkundschaft machen muss, die als echte Einheimische trotzdem nicht jeden Tag Schäufele, Bratwurst und Karpfen essen wollen.

Beachtenswert im Steichele – das ja aus einer Weinschänke – ursprünglich für italienische Weine – hervorgegangen ist – ist die Weinkarte. Internationale önologische Spinnereien von Neuseeland bis Washington fehlen völlig. Vor allem werden Weine vom Staatsweingut Rheinland-Pfalz (das ja auch den Familien-eigenen Steichele-Weinberg bewirtschaftet) und von der Fürstlich Castell’schen Domäne angeboten, dazu – ganz fränkisch – Weine vom Schloss Sommerhausen. Auch wenn ein paar Große Gewächse dabei sind, es sind halt die leichten, unspektakulären, aber grundehrlichen und vor allem süffigen (und wohlfeilen) Weine aus der Rheinpfalz und aus Main-Franken, nichts Spektakuläres, aber ordentlich, zuweilen interessant, immer ehrlich.

Summa summarum: ich bin zuweilen gerne mal im Steichele.

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