„Da Peppo in Grafenau“: angeblich die älteste Pizzeria des Bayrischen Waldes

Und dann war da noch … die – angeblich – älteste Pizzeria des Bayrischen Waldes, das Da Peppo in Grafenau. Dahinter steckt – nochmals angeblich – eine Geschichte wie aus einem Kitschroman. Armer italienischer Gastarbeiter kommt in den Bayrischen Wald, arbeitet hart, lernt ein deutsches Mädel kennen, drei Söhne erblicken die Nebelschwaden des Ohe-Tals, als eine kleine Räumlichkeit im ehemaligen Gefängnis von Grafenau frei wird, nehmen die beiden all ihren Mut und all ihre Ersparnisse zusammen, eröffnen eben jene erste Pizzeria, arbeiten hart, haben Erfolg, nehmen nochmals Mut und Ersparnisse zusammen, ziehen um in ein größeres Anwesen, renovieren es mit der gesamten Familie von Grund auf, arbeiten härter, haben mehr Erfolg, der Bayrische Rundfunk berichtet, sie ziehen sich irgendwann auf’s – wahrlich wohl verdiente – Altenteil zurück, zwei der Söhne übernehmen das Restaurant, bauen nochmals an und aus, … und wenn sie nicht gestorben sind, dann bauen und backen sie  bis heute.

Tatsächlich zieht sich das Da Peppo am kleinen Stadtplatz von Grafenau verwinkelt-verwirrend, aber architektonisch ansprechend durch drei Häuser über drei Ebenen, im Sommer lädt zusätzlich ein Freisitz vor dem Lokal dazu ein, den Dorfdeppen mit ihren aufgemotzten Kleinwagen beim Schaulaufen auf dem Hauptsträßchen zuzusehen (eine sehr verwirrende Facette des Lebens). Es ist Samstagabend, und das Lokal mit sicher über 100 Sitzplätzen ist proppe-voll, eine freundliche junge Dame organisiert mir nach einigen hektischen Blicken in Kalender, Computer, Buch und Rücksprache mit dem Patron ein Tischchen hinten in der Ecke auf der Zwischenebene. Die Speisekarte ist gigantisch, jeweils Dutzende von Pizzen, Nudelgerichten, Fleischspeisen, dazu Suppen, Salate, Vor- und Nachspeisen, schließlich eine Tageskarte, wir haben JanuaR, also Muscheln, viele Gerichte auch noch in Normal- oder in Kinder-/Senioren-Portion, einfach bombastisch diese Auswahl. Das Essen ist relativ schnell abgearbeitet: Vorspeisen-Salat riesig, billiger Thunfisch, industrielles Dressing; Süppchen dünn, Einlagen industriell; überbackene Nudeln reichlich, Dosenchampignons, Tiefkühlerbsen, Pressschinken, Analogkäse; Pizza vom Backling, Dosenchampignons, Pressschinken, Analogkäse, aber frische Paprika; Muscheln nicht aus der Dose, aber sandig, belangloser Sud. Bedienung freundlich und – trotz brechend vollen Ladens – flott, Weinkarte wieder belanglos.

Hier kann man sicherlich getrost hingehen, wenn man noch niemals die Alpen überquert und in Italien gegessen hat und wenn man gerade etliche Hektar Bayrischen Waldes alleine mit der Axt umgehauen hat, dann ist das Zweifels ohne der richtige Anlaufpunkt, um leere Kalorien-Reservoirs wieder effektiv und effizient aufzufüllen. Wenn man auf der Suche nach verfeinerter, ja nur nach zeitgemäßer italienischer Küche ist, sollte man diesen Ort trefflichst meiden.

Und dennoch – oder wahrscheinlich deshalb – bescherte mir das Da Peppo ein Déjà-vu der besonderen Art.  1974 verließ meine große Schwester unsere engstirnige nordhessische Provinz, um in die große, weite Welt hinauszugehen, genauer in die 50 Kilometer entfernte Weltstadt Göttingen, um sich alldorten ihren – vergeblichen – Lehramtsstudien zu widmen. Als ich 16 Jahre alte wurde, gestatteten mir meine Eltern, meine große Schwester alleine über’s Wochende mit dem Bummelzug über die Dörfer in Göttingen zu besuchen und dort bei ihr in ihrer Studentenbude zu nächtigen. Ein toller Deal: meine Schwester war bei ihrem Lover, ich hatte die Studentenbude für mich alleine (später dann auch mit weiblicher Begleitung), und den Eltern erzählten wir am Festnetztelephon in aller Kürze („Fasse Dich kurz!“ stand damals noch in allen Telephonzellen drohend geschrieben.), dass alles bestens sei und wir uns in gegenseitiger geschwisterlicher Liebe und Fürsorge ergingen (alles Mumpitz, wir haben uns an diesen Wochenenden noch nicht einmal gesehen, meine Schwester deponierte den Schlüssel bei einer Nachbarin). Damals, Mitte der Siebziger, lernte ich bei diesen Ausflügen nach Göttingen auch die germanisierte italienische Küche kennen. (Nun, die süd-tiroler, die lombardische und die venezianische Küche kannten wir schon ansatzweise von diversen Urlaubsreisen, waren aber relativ wenig begeistert, alldieweil uns diese Küchen in ihrer Authentizität wohl zu unvermittelt, unvorbereitet getroffen hatten und wir – ganz vorzeige-germanisch – so in Italien nach Schnitzeln gierten.) Diese germanisierte italienische Küche aus Göttingen ebnete mir den Weg in die Geschmackswelten jenseits der Alpen (Danke dafür), auch wenn sie oft sehr wenig mit echter italienischer Küche zu tun gehabt haben mögen. Und – Déjà-vu, Déjà-vu – diese fetten Nudeln, diese wabbligen Dosenchampignons, dieser billige Käse, all dies ließ dieses kulinarische Bild aus Göttingen Mitte der Siebziger wieder so hochschnellen: beeindruckend, wie man ein kulinarisches Gedächtnis mit einem Male/Mahle kitzeln kann. In Göttingen und auch sonst in der Republik sind gute Italiener zwar noch immer rar, aber solche brachialen Kalorien-Billigzutaten-Berserker sind seltener geworden; im Bayrischen Wald aber, da gibt es sie noch …

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