Freyung im Bayrischen Wald an einem Samstagmittag um 12:00 Uhr. Fast alle Geschäfte haben schon zu, nur der neue Gebäude-Moloch mit Supermarkt-Biligmodekette-Drogeriediscounter-Cineplex-Gutmenschenbuchladen am Stadtplatz ist noch auf, um die Ecke ein kleiner, trauriger Tante-Emma-Laden. Bei einem Spaziergang durch das Innenstädtchen offenbart sich provinzielle kulinarische Tristesse. Lassen wir Italiener, Asiaten, Türken, Griechen, Bistros und Konditoreien/Cafés mal außen vor, so bleibt nicht viel Authentisch-Einheimisches. Das Veicht neben der Stadtkirche gibt sich modern-geheimnisvoll, man hat es nicht einmal nötig, eine Speisekarte rauszuhängen, ist wahrscheinlich auch besser so, vorgeblich mediterranes 08/15-Einerlei von Pizzen, Salaten, Putengeschnetzelten. Die altehrwürdige Langbrauerei, 1813 gegründet, existiert zum Glück noch, seit 2014 als Genossenschaft (viel Erfolg, Genossen, tolles Projekt!), aber das Bräustüberl ist verwaist und geschlossen. Gegenüber der Gasthof zur Post kann es sich leisten, an diesem Samstag erst um 17:00 Uhr zu öffnen, und der Passauer Hof am anderen Ende der Hauptstraße hat samstags sowieso Ruhetag. Da aber begab es sich, dass der zunehmend missmutige Reisende unvermittelt auf die „Perle Tirols“ traf, ein Österreichisches Restaurant mitten im Bayrischen Wald. Gelegen am Rande der „Innenstadt“ Freyungs, in einem alten Bauernhaus, zwei niedrige Stuben, keine 40 Plätze, halboffene Küche, Toiletten über’n Hof, blitzsaubere, rustikale Einrichtung, aber kein heimelnder Kitsch, überschaubare Speisekarte, konsequent Österreichisch ohne Pizza-, Schweinsbraten-, Scampi-, Burger-Kompromisse, proppenvoll, eine junge Dame im Dirndl mit einem politisch völlig inkorrekt stark irritierendem, aber dem Betrachter keinesfalls unangenehmen Dekolleté[1] macht alleine, freundlich, flott den Service. Die Speisekarte ist übersichtlich, aber mit ausreichender Auswahl: 2 Suppen, 3 Salate, 3 vegetarische / Zwischen-Gerichte, 6 Fleischgerichte von 10 bis 25 €, 2 (phantastische) Fischgerichte, 3 Nachspeisen, Schicht im Schacht.
Die Rindssuppe, wie eine echte Rindssuppe sein soll, die Kaspressknödel dazu geschmackvoll und von der richtigen Konsistenz, darüber – kannte ich noch nicht, kommt aber gut – ein paar Streifen gebratener Zwiebel und Lauch. Schlutzkrapfen und Kasnocken kommen als Duo in Brauner Butter daher, eigentlich schon ein Hauptgericht, wirklich gut. Schnitzel Wiener Art wie es besser in Wien nicht sein könnte, mit richtig Blasen-werfender, abgehobener, knuspriger, brauner Panade und einem sehr guten Kartoffelsalat. Gigantisch der super-frische, noch glasig gebratene Saibling mit Kartoffel-Frischkäse-Rösti (hausgemacht, kein aufgetauter Convenience-Scheiß) und der ebenso frische, auf den Punkt gebratene Zander auf Nudeln mit Paprikagemüse, beide nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch eine Sensation. Erübrigt sich zu erwähnen, dass der karamellisierte Kaiserschmarrn ein würdiger Abschluss war. Die Weinauswahl gibt sich puristisch, aber weise. Es gibt keine Flaschen-Weinkarte, nur je 3 offene Weiße und Rote, ausschließlich aus Österreich, ausschließlich Premium-Gewächse, einen (lange verpönten) Welschriesling, einen (bis heute verpönten) Muskateller und einen Grünen Veltliner vom Schmelz (en vague) auf der weißen Seite, Zweigelt, Blaufränkischer und eine Cuveé auf der roten Seite. Reicht doch völlig …
[1] Just diese Passage erregte den Zorn der imperial-amerikanischen Zensoren auf Tripadvisor und wurde herausgestrichen.