Zum Bayerischen Löwen, Straubing: Authentisch mit a bisser’l Tricks

Nur mal so als Relation: Seit 1620, also 156 Jahre bevor Imperial-Amerika seine Unabhängigkeit proklamierte, existiert das Gasthaus Zum Bayrischen Löwen in Straubing, in vier Jahren gibt’s das Vierhundertjährige Jubiläum, das ist doch mal eine Ansage. Heute gehört das direkt am Stadtplatz gelegene Gebäude der Arco-Brauerei. Bis vor drei Jahren wurde das Gasthaus von der Familie Stahl geführt und hatte den Ruf eines grundsoliden, traditionellen, guten bayrischen Wirtshauses. Als sich Pächter und Bräu 2013 nicht über einen neuen Pachtvertrag eigen konnten übernahmen der gelernte Koch Julius Rajkai und seine Lebensgefährtin Petra Bittner den Bayerischen Löwen. Die beiden hatten bis dahin „Die Kult-Kneipe Cafe-Bar-Lounge Café Reo“ betrieben und bekamen weniger Vorschusslorbeeren als vielmehr Vorschussskepsis.

Nun ist das Gespann Rajkai / Bittner seit zwei Jahren auf dem Bayerischen Löwen, und es ist Zeit, einmal Zwischenbilanz zu ziehen. Es ist Sonntagmittag 11:30 Uhr, wir erwischen gerade noch einen von den beiden unreservierten Tischen in dem großen Gastraum mit gut 100 Plätzen; keine halbe Stunde später sind alle Tische proppenvoll besetzt, und Gäste ohne Reservierung müssen im Akkord abgewiesen werden. Der Gastraum ist hoch, Säule in der Mitte, blanke, robuste Massivholzmöbel, keine Tischwäsche, Besteckt steht in Bierkrügen auf den Tischen, an den Wänden Wandmalereien und alte Stiche mit historischen Postkutschen- und Reisemotiven, aber kein bajuwarisierender Kitsch und Tand. Die Luft ist erstaunlich gut für eine prall gefüllte Gaststube, die Bestuhlung halbwegs großzügig, so dass die drei Bedienungen im Dirndl gut überall durchkommen. Der Service ist rasch, freundlich, professionell, und selbst für einen Scherz oder ein persönliches Wort ist hier und da noch Zeit; die Atmosphäre ist trotz der Größe fast familiär, viele der Gäste werden wie selbstverständlich mit dem Vornamen angesprochen, man kennt sich offensichtlich.

Die Speisekarte hingegen macht Kompromisse, und zwar exakt vier: Currywurst, Nudeln mit Gorgonzolasauce und zwei Salate mit Pute und Früchten bzw. süß-saurem Geflügel. Ansonsten ist die Speisekarte durchweg und konsequent des Bajuwaren Himmelreich mit Suppen, frischen Würsten, deftigen Brotzeiten, viel Fleischgerichten, a Bisser’l was Vegetarisches (aber kein Alibi-Fisch aus der Tiefkühltruhe, sehr gut) und drei regionalen Desserts, dazu ein paar Tagesgerichte auf Schiefertafeln an den Wänden und eine Kinderkarte für die Kleinen. Die Preise sind moderat (Würste und Brotzeiten knapp über 5€, Hauptgerichte 8 bis 15€, nur die Steaks gehen bis 25€). Ausgeschenkt wird Bier vom heimischen Arcobräu, die Halbe mit 3€ ebenfalls moderat.  Das Essen ist fast durch die Bank weg riesig portioniert und von ordentlicher Qualität: Portion  Obazda groß, aber gut; Rindssuppe kräftig, Leberknödel wieder groß und gut; Schweineraten perfekt, resche Kruste, gutes kurzes Sößchen, schlorziges Sauerkraut, Kartoffel- und Semmelknödel tadellos (aber vermutlich Convenience); Schnitzel Wiener Art ordentlich, Bratkartoffeln jämmerlich (aber man weiß ja, dass Bayern keine Bratkartoffeln können …), Salat groß und frisch, keine Dosenware, ordentlich geputzt, aber sehr saures Dressing; der Rinderbraten mager, die Portion mit 6 Scheiben riesig, die Sauce viel, aber verbesserungsfähige Convenience, ebenso wie die Fertig-Spätzle dazu; Butterzart und auf den Punkt gebraten das Rinderlendensteak, Kräuterbutter wieder Convenience.

Ich habe jetzt relativ oft „Convenience“ geschrieben, und eigentlich ist das ein KO-Kriterium, aber man muss immer im Auge behalten, auf was man sich einlässt und welchen Erwartungshorizont man haben darf. Im Bayerischen Löwen werden an einem Sonntagmittag von 11:30 bis 14:00 Uhr wahrscheinlich 200 bis 250 Personen abgefüttert, bei nur zwei Gängen pro Person sind das 400 bis 500 Teller, und die auch noch relativ wohlfeil. Das will erstmal in der Zeit produziert sein. Man behilft sich ergo hier und da, allein um das Preisniveau und die Mengen halten zu können. Die Basics – Fleisch, Salate, Kraut, Suppen, Würste, Brotzeiten – die sind sehr, sehr ordentlich hausgemacht oder stammen von guten regionalen Erzeugern. Und dazu trickst man halt a Bisser‘l, ein wenig zusätzliche Fertigsauce hier, ein Knödelchen aus dem Beutelchen dort, anders gehen weder Preis noch Menge. Ohne diese Tricksereien wette ich, kann man bei normalen Lohn-, Rohstoff- und Pachtkosten heute keinen Schweinsbraten mit Klößen unter 25 oder 30€ mehr anbieten (etwas anders sieht es aus bei dem kleinen eignen Landgasthof, wo Oma quasi für umsonst noch die Knödel rollt). Also, man muss wissen, auf was man sich hier einlässt. Die Portionen sind groß, der Geschmack ist derb, aber authentisch, die Küche grobschlächtig (das meine ich nicht abwertend), ohne Schnick-Schnack, Arabesken, Moden und Spinnereien, aber auch traditionsbewusst, unkreativ, Stets und Immer dasselbe reproduzierend, mit einem gewissen Qualitätsanspruch, auf große Mengen bedacht, frei von jeglicher Finesse, Verfeinerung oder Neuerung, aber grundehrlich, gradlinig, sich und der bajuwarischen Tradition einfach treu. Käme Morgen der russische Präsident zu mir und sagte „Towarischtsch, zeige mir, wie die Bayern traditionell wirklich essen“ – ich ginge nicht mit ihm zu Schuhbeck oder Christian Jürgens, wahrscheinlich ginge ich mit ihm in den Bayerischen Löwen nach Straubing …

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