Am nächsten Morgen bummeln wir durch Chinatown, Chinatown in San Francisco ist wirklich noch interessant, ich weiß nicht, ob ich „authentisch“ schreiben sollte, nicht wegen der zweisprachigen Straßenschilder, der Drachen, Tempel und Straßenlampen, sondern wegen der Geschäfte und vor allem wegen der Menschen, die hier gefühlt zu einem Drittel aus glotzenden Touristen wie uns bestehen, zu einem Drittel aus ganz normalen Amis und zu einem Drittel schließlich aus ziemlich echt und ziemlich asiatisch ausschauenden Asiaten (obwohl sie wahrscheinlich schon in der zehnten Generation im Imperium wohnen). Drücken wir es so aus: wäre ich hier weißer Polizist und müsste auf den Ruf „Haltet den Mörder!“ allhier einem Asiaten hinterherrennen, so wäre mir alles andere als wohl in meiner Haut (in Pacific Heigths sähe das natürlich ganz anders aus …), und ich bin mir nicht sicher, wer am Ende auf der Strecke bliebe, der Asiate oder ich.
Ein deutsches Ehepaar hat gelesen, dass es in einem Restaurant in Chinatown in San Francisco das beste Gericht der Welt gäbe, weitaus besser als alles, was man ansonsten auf dem ganzen Erdenrund in Restaurants essen könne, viel besser als Weißer Kaviar, Pad Kra Pao, Ceviche, Soupe aux truffes, Kari Zourit, Plain in Pigna, Ammern, … you just name it. Dieses Gericht heißt schlicht ‚Die Speziallität‘. Also reserviert das Deutsche Ehepaar lange im Voraus in besagtem Restaurant einen Tisch und macht sich auf die Reise nach San Francisco, um einmal in ihrem Leben das beste Gericht der Welt zu essen. Voller Vorfreude und Neugier betreten sie am Abend dann das Lokal, setzen sich an ihren Tisch und bestellen sogleich zweimal ‚Die Spezialität‘. ‚Die Spezialität‘ sei leider aus, sie müssten mit anderen Gerichten aus der Karte vorlieb nehmen, entgegnet der Kellner. Man sei extra aus Deutschland angereist, nur um einmal ‚Die Spezialität‘ zu probieren, man sei auch bereit, mehr zu zahlen, viel mehr, sehr viel mehr, argumentiert und bettelt und lockt das Deutsche Ehepaar, doch der Kellner bleibt hart, ‚Die Spezialität‘ sei nun mal aus, und damit basta, sie müssten etwas anderes bestellen. Ob sie denn wenigstens einmal die Küche sehen dürfe, in der diese weltberühmte ‚Spezialität‘ gekocht werde, fragt die Frau. „Selbstverständlich“, antwortet der Kellner und geleitet sie in die Küche. Der Ehemann bleibt zurück und wartet … und wartet … und wartet. Nach langer Zeit fragt er schließlich den Kellner, wo denn seine Frau abgeblieben sei. „Ihre Frau, keine Ahnung“, antwortet der Kellner, beugt sich dann nach unten und flüstert dem Mann in’s Ohr: „Aber wir hätten wieder ‚Die Spezialität‘ im Angebot.“
So eine Art von Chinatown meine ich, ohne irgendwelchen Volksgruppen in irgendeiner Form irgendwie zu nahe treten zu wollen. Klar, es gibt hier Souvenir-, One-Dollar-, Elektronik- und Kitschgeschäfte, in denen den Touris wohlverdient das Geld aus der Tasche gezogen wird, aber es gibt auch sehr, sehr viele echte asiatische Lebensmittel-, Haushaltswaren-, Bekleidungs- und Gewürzläden, in denen fast ausschließlich Asiaten einkaufen. Ungekühlter Fisch, Gemüse zuerst in großen Bergen auf dem dreckigen Boden, später fein säuberlich von unzähligen Händen sauber geputzt und hübsch aufdrapiert auf Straßenständen, frisch zerhackte Schweine und Berge von Schweineschnauzen, getrocknete Seepferdchen und Abalonen zum zermahlen und würzen mit einem Geruch, der einem die Schuhe auszieht, lebende dicke Kröten die in Bottichen neben anderen Bottichen mit Schlachtabfällen dem Kochtopf harren … nach jedem Besuch in einem Chinatown nehme ich mir immer wieder vor, niemals mehr chinesisch Essen zu gehen.
Frühstücken tuen wir wie oft in SanFran im Caffè Greco in North Beach, dort, wo Chinatown und Italian Neighborhood (in San Francisco spricht man nicht von Little Italy wie in New York, darauf legt man hier wert, hier heißt es Italian Neighborhood) langsam ineinander übergehen. Das Caffè Greco an der Columbus Avenue, für viele das beste Italienische Café der Stadt, ist so multi-kulti, multi-kultier geht es kaum. Name Griechisch, der Gründer und Betreiber Hanna Suleiman hat zwar einen arabischen Namen, ist aber sowas von einem athletischen, vielleicht 65jährigen, idealtypischen Italiener, der sich sein eigenes Frühstück regelmäßig vom benachbarten Chinesen holt und dann im Caffè Greco verzehrt, alle – freundlichen und flotten – Servicekräfte sind von dem Menschenschlag, die Trump am liebsten über die Mexikanische Grenze zurückprügeln möchte, und am Nachbartisch vor dem Haus sitzt etwas vom „Transgender Revolutionary Committee“, zu dem ich nicht eine Zeile schreiben könnte, ohne sowas von politisch unkorrekt zu werden. Aber die Zimtschnecken und der Cappuccino zählen zweifelsohne zu den besten in ganz San Francisco, und es macht Spaß, vor dem Café auf dem Trottoir zu sitzen, in die Sonne zu blinzeln und dem bunten Treiben zuzuschauen.
Wir bummeln weiter Richtung Market Street, ziellos durch die Straßen, nur die große Richtung einhaltend, dennoch kommen wir irgendwie automatisch zu City Light Booksellers & Publishers, trotz des enervierenden Musik-Krachs geben wir hier viel zu viel Geld aus, ich kaufe mir „Bugs for Beginners“ von Michaela Dai Zovi mit Rezepten für Insekten und eine Neuauflage des „Great American Cookbook“ von Clementine Paddleford, eines der klassischen Kochbücher zur imperialen Küche überhaupt, bei Macy’s kaufen wir für die Kids Polo Polos für die Hälfte des Preises in Europa, im Apple Store am Union Square lässt Caro für ein Heidengeld den Display-Schutz ihrer Funke richten, während ich mir im ersten Stock anschaue, wie die Gläubigen sich hier in einem frei und kostenlos zugänglichen Versammlungsraum – man könnte es auch Gotteshaus nennen – mit coolem Design aus Holz, Stahl und Glas mit Blick auf Union Square und Freisitz nach hinten raus, ihrem Götzen widmen, eine junge Frau hält einen Vortrag für Profi-Apfelerianer, wie sie ihre Funken und Rechner noch besser verwenden können, andere nutzen das free WiFi, diskutieren, arbeiten, spielen, trotzdem sind das für mich hier alles durchgeknallte Götzendiener, nebenan bei Williams-Sonoma – eines der besten Nobel-Haushaltswaren-Geschäfte der Staaten – kann ich mich nicht beherrschen und erstehe ein höllisch scharfes Chinesisches Küchenbeil aus Damaststahl („No bones!“ schärft mir die Verkäuferin ein, „No bones, only meat, fish and vegetables, no bones!“), wieder nebenan bei Tiffanys finden wir nichts Passendes, also bummeln wir die Market Street runter und wieder hoch, vorbei an zahllosen Paradiesvögeln und überflüssigen Geschäften durch’s quirlige Treiben, retten uns in’s Westfield Shopping Center, um – wie aufgetragen – für die Kids im Bose Store Sonnenbrillen mit eingebauten Bose-Boxen, Telephonfunktion und weiß der Geier was sonst noch, die es in Europa noch nicht käuflich zu erwerben gibt, zu erstehen: ich bin genervt, besonders als ich die Preise sehe.
Caffè Greco
423 Columbus Ave
San Francisco, CA 94133
USA
Tel.: +1 (4 15) 3 97 62 61
Fax: +1 (4 15) 2 96 81 42
Online: www.caffegreco.com