Umami: Zwei Umami Kochbücher von belanglos bis beachtlich

Es war 2005, als die selbst ernannten willkürlichen Halbgötter von Gault&Millau Jean-Claude Bourgueil mit seinem 3-Sterne Restaurant „Im Schiffchen“ in Kaiserswerth bei Düsseldorf aus der Wertung nahmen, weil Bourgueil freimütig bekannt hatte, dass er in seiner Küche Glutamat einsetzt. Damals begann ich, mich für Glutamat zu interessieren. Dabei stieß und stößt man natürlich zuerst auf kompetenzbefreite Hasstiraden und Gegeifer irgendwelcher Dummschwätzer, die zum siebenhundertsten Mal wissenschaftlich nicht haltbare Pseudo-Studien und Mutmaßungen gesundheitsphanatischer Gurus rezitieren, die Glutamat für alles Unbill dieser Welt, von Krebs, AIDS, Adipositas, McDonalds, Atomwaffen, Klimaerwärmung bis hin zu Putin verantwortlich machen. Ich mag mich nicht schon wieder über diese Idioten aufregen, siehe dazu die Marginalie 44 auf opl.guide vom 08. Oktober 2017 (https://opl.guide/marginalie-44-glutamat-oder-arroganz-undoder-dummheit-der-abendlaendischen-kueche/). Halbwegs objektive Informationen über Glutamat fand man 2005 maximal in wissenschaftlichen Zeitschriften, die Studie um Studie veröffentlichten, dass man trotz der Eingangs-Vermutung des Gegenteils nichts wirklich Schlimmes oder gesundheitlich Bedenkliches an Glutamat nachweisen könne; in die allgemeine Presse fanden diese Studien weiland offenbar keinen Eingang, „Es ist unschädlich!“ ist längst nicht so eine gute Meldung wie „Es kann tödlich sein!“, soviel mal wieder zu den Deutschen Systemmedien. Es gab weder Literatur, geschweige denn Kochbücher zum Thema Glutamat im Deutsch- und Englisch-sprachigen Raum, nix, nada, weder zu Glutamat noch zum Umami, dem fünften Geschmack der Asiaten. In meiner „Not“ wandte ich mich damals an den größten Glutamat-Importeur Europas und bat um Informationen, zwei kleine Broschüren schickten mir die guten Leute damals, mit einem aufrichtigen Entschuldigungsschreiben, dass auch sie keine weiteren Informationen zu ihrem Produkt hätten.

Heute ist das anders, Umami wird gerade zum Modethema. Und Umami, dieser Mythen- und Schauergeschichten-umwobene fünfte Geschmack der Asiaten ist nun mal eben untrennbar mit Mononatriumglutamat verbunden, ebenso wie der salzige Geschmack mit Natriumchlorid. Dabei muss man allerdings sehr genau unterscheiden: es gibt gutes Glutamat und böses Glutamat. Böses Glutamat, das ist das industriell hergestellte weiße Pulver, das durch bakterielle Fermentation von Zuckerrüben, Zuckerrohr, Tapioka oder Melasse in großen Mengen gewonnen wird, von dem nicht nur der Asia-Imbiss-Koch meist ein Löffelchen zur Speise gibt, sondern das sich auch in Tütensuppen, Fertiggerichten, Saucen, Fast-Food usw. findet. Dieses Glutamat ist böse, weil es uns süchtig machen soll, minderwertige natürliche Geschmäcker überdecken, die Geschmacksnerven schädigen und sowieso und überhaupt. Und dann gibt es noch das gute Glutamat, das in Tomaten, Parmesan, Pilzen, Sojasauce reichlich vorhanden ist, das zwar chemisch genau dasselbe Mononatriumglutamat ist wie in der Tütensuppe, aber mal ehrlich, kann der Geschmack von Parmesan böse sein? Also, dieses natürlich vorkommende Mononatriumglutamat ist gutes Glutamat, das darf man.

Jenseits des Zynismus, natürlich will auch Glutamat klug und dosiert eingesetzt sein. Ein versalzenes Gericht ist versalzen und wir weisen es zurück. Zuviel Glutamat führt – zumindest für einfachere Geschmäcker – nicht zwangsweise zur Ungenießbarkeit und Zurückweisung, ein Gericht mit viel künstlich als Würze beigefügtem Glutamat kann durchaus noch kräftig-wohlschmeckend sein, nur hat es dann meist nichts mehr mit dem natürlichen Geschmack der eingesetzten Rohstoffe zu tun, und hier kann sich auch eine Gewöhnung nach künstlich verstärktem und gleichgeschaltetem Geschmack kommen, und damit einhergehend zu einer Verrohung der Geschmacksnerven und des Geschmacks. Klugheit tut also Not.

Beim klugen Umgang mit Umami hilft gewiss ein gutes Kochbuch. Bereits 2015 kam Laura Santtinis „At Home with Umami: Home-cooked recipes unlocking the magic of super-savory deliciousness” heraus, 2016 dann bei Fackelträger unter dem Titel „Umami. Die Entdeckung des perfekten Geschmacks” auf Deutsch erschienen. Santtini ist bildhübscher umtriebiger Spross einer italienischen Hotelier- und Gastronomen-Familie aus London: Köchin, Fernsehköchin, Kochbuchautorin, vor allem aber Unternehmerin. Auf ihrer eigenen Homepage (www.laurasanttini.com) schreibt sie ganz ungeniert über sich selber in der dritten Person: „Restaurateur, author and food entrepreneur Laura Santtini is considered to be a world authority on the fifth taste known as ‘umami.’“ Santtini produziert nicht nur verschiedene Umami-Würzpasten mit dem Namen „Taste #5“, sondern auch Gewürzmischungen und Fertig-Saucen im Beutel. Das Flaggschiff-Produkt „Taste #5 Umami Bomb“ besteht aus Tomatenmark, Sardellenpaste (Sardellen, Sonnenblumenöl, Salz), Wasser, Sonnenblumenöl, schwarze Olivenpaste (schwarze Oliven, Salz), Knoblauchpüree, Balsamicoessig (Weinessig, konzentrierter Traubenmost), Grana-Padano-Käse-Pulver, Butterpilze (Boletus luteus), Zucker, Salz, Zitrusfasern, Säureregulator: Citronensäure. Tja, und wenn man es genau nimmt, ist ihr Umami-Buch für 25 EURO nichts weiter als eine ziemlich teuer bezahlte Hochglanz-Werbebroschüre für diese Würzpaste und ihre Verwendung in zig Rezepten. Nach ein paar einleitenden Seiten mit Autobiographiefetzen von der kleinen Laura, die ihr Matheheft für Notizen über Essen zweckentfremdete und banalen Allgemeinplätzen über Umami folgt eine sinn- und konzeptlose Aneinanderreihung von Rezepten mit Zutaten, die viel Umami-Geschmack enthalten, Käse, Sardellen, Pilze, Nüsse, Tomaten, und natürlich immer wieder diese Paste „Taste #5“. Die Rezepte sind zumeist ein Britisch-Italo-Asia-Mediterran-Crossover-Kuddelmuddel von altbekannten Allerwelts-Rezepten und reichen von Süßkartoffelpie über Thunfisch-Bananen-Toast, Lammkofta-Spieße, Käsemakkaroni, Kimchi-Salat und Hamburgern bis hin zu Hummer Thermidor. Um den armen Hummer zur Umami-Gericht zu machen verwendet Santtini einfach Parmesan statt Gruyère, und auch ansonsten ist sie wenig zimperlich, etwa mit Hühnerbrühe aus Brühwürfeln, Erbsen aus der Dose, Trüffelöl und –paste oder Beuteltee; und Sumach, so wird der Leser belehrt, sei ein libanesisches Gewürz. Dazu findet man unablässig die Anpreisung der eigenen Gewürzpaste, und auf den zahlreichen, ziemlich hübschen Essensphotographien darf die Tube natürlich auch nicht fehlen. Um auf das Eigangsstatement zurückzukommen: ein kluges Kochbuch ist Santtinis „Umami. Die Entdeckung des perfekten Geschmacks” gewiss nicht, und sonderlich hilfreich ist es ebenfalls nicht.

Ganz anders hingegen ist Heiko Antoniewiczs 2018 beim Tre Tori Verlag erschienene Buch „Umami“. Antoniewicz ist gelernter Koch, der schon früh die Tretmühle der Spitzenrestaurants verlassen hat, stattdessen das Catering Unternehmen Art Manger gründete und 2004 mit über einer halben Million Miesen erfolgreich in die Insolvenz führte. Heute schlägt sich Antoniewicz als Caterer, Berater und Autor durch’s Leben und hat offensichtlich Freude daran, Preise für alles Mögliche zu sammeln: Deutscher Lachsmeister, Koch des Jahres, Sieger der Noilly Prat Trophy, Sieger beim Melitta Cup, Goldmedaille der Gastronomischen Akademie Deutschlands für Finger Food, diverse World Cookbook Awards, Liebling des Jahres der FAZ, Sonderpreis des Westfälischen Gastronomiepreis, dreimal Best of the Best Awards als Impulsgeber, schließlich auch noch Nationalheld (wer immer auch den letzten Titel vergeben mag). Wie dem auch sei, zusammen mit dem Molekularbiologen Dr. Michael Podvinec liefert Antoniewicz in seinem Umami-Buch eine profunde, wissenschaftlich fundierte Einführung in das Thema Umami und seine Wirkung im Körper, sodann speziell für den fünften Geschmack entwickelte, tatsächlich neue Rezepte, kongenial photographiert von Thorsten kleine Holthaus, nur die Bla-bla-Einleitung von Dr. Nikolai Wojtko wirkt gleich zu Beginn der Lektüre etwas verstörend und reizt dazu, das Buch gleich wieder aus der Hand zu legen. Statt der üblichen Abfolgen in Kochbüchern – Vor-, Haupt-, Nachspeisen oder Jahreszeiten oder Regionen oder Grundzutaten – gliedern sich die Rezepte in 5 Abschnitte mit steigender Umami-Intensität, von leicht bis ganz dolle. Abgerundet wird das Buch durch ein wirklich interessantes Kapitel über Produkte aus Tomaten; zusätzlich gibt es noch eine lehrreiche Übersicht über Miso-Pasten, Garnitursalze und Grundrezepte. Die Rezepte sind – zumindest für mich – zumeist komplett neu und nicht irgendwo abgeschrieben oder weiterentwickelt, hier war jemand wirklich kreativ und hat komplette Teller neu entwickelt, auf denen die einzelnen Teil-Gerichte perfekt aufeinander abgestimmt sind. Die Zubereitungen sind komplex und kompliziert, immer wieder kommt auch Molekular-Hokuspokus ins Spiel, aber die Kochanleitungen sind allesamt sehr detailliert und verständlich, so dass sich auch ein Hobby-Koch an’s nachkochen trauen kann. Cheddarcreme, Biercerealien und Chorizo Chip, das zum Beispiel hört sich erstmal leicht an. Aber dann wird ein gehaltvoller Kartoffelbrei nicht nur mit Käse gemischt, dazu kommen auch Limetten- und Rapsöl, Macis und schließlich ein Aromakonzentrat von Antoniewicz, das er für 102,70 EURO den Liter verkauft, und alles muss natürlich als Espuma aufgeschäumt werden. Bei der Malzmayonnaise dazu wird das Ei einfach durch Agar Agar ersetzt, mit dem 1 Flasche Malzbier glibbrig gemacht und dann mit Tigernussöl (50 EURO der Liter) aufmontiert wird. Die Biercerealien schließlich sind in Hopfensud gekochte Körnderl. Alles soll dekoriert werden mit Schafgarbe, Gänseblümchen, Gundermann, Gundermannblüten und Butterblumen. Einfach geht gewiss anders, aber so komplex sind alle Rezepte: Erbse – Kaviar – Enokpilze, Kalbsleber – Misomandeln – Fermentierter Apfel, Chicorée – Hechtrogen – gerösteter Fischsud, Goldforelle – Scheidenmuschel – Rote Quinoa – Sauerbrotsauce oder Schweinerippchensud – Weißer Wels – Paprika. Das ist kein Kochbuch für jeden Tag, das ist ein Kochbuch für ambitionierte Hobbyköche, die sich vielleicht das Samstagmittags bei einer guten Flasche Champagner in der heimischen Designerküche treffen und gemeinsam ein, zwei Teller nachkochen. Oder für den/die Verliebte/n, der/die seine / ihren Angebetete/n verwöhnen/beeindrucken möchte. An den Hirschrücken im Steinpilzmantel habe ich mich getraut, nachkochen war extrem aufwändig (für meine Verhältnisse), ging aber problemlos und war sehr stimmig und lecker, nur die Boysenbeerenchips habe ich weggelassen.

Also Anoniewiczs Unami-Buch ist endlich mal ein gut gemachtes, informatives, innovatives und anspruchsvolles Kochbuch, Chapeau! Aber auch hier gibt es ein Aber, oder eigentlich gleich drei Abers. Natürlich ist es weder strafbar noch verwerflich, wenn ein Koch eigene Produkte kreiert, vom Kochen allein wird man in der allerseltensten Fällen reich oder auch nur wohlhabend. Dennoch nervt mich diese Schleichwerbung für die eigenen Produkte tierisch, am schlimmsten treibt es dicke Platzl-Fürst mit seinen Eigenmarken. Zum zweiten hatte ich ja gehofft, dieser ganze Molekular-Schnickschnack sei endlich da, wo er hingehört, in der gastronomischen Abstellkammer nämlich, aber offensichtlich gibt es immer noch Apologeten des Schnickschnacks. Zum dritten schließlich gibt es kaum eine Sau, die in den letzten Jahrzehnten durch’s kulinarische Dorf getrieben wurde, der Antoniewicz nicht publizierend nachgerannt wäre. Vor Umami waren es u.a. Vegetarismus, Fermentation, Finger-Food, Sous-vide, Molekularismus, Absinth, Grillen, Vodka … nur das Dry-aged-Brimborium vermisse ich noch. Aber diese Themen waren jeweils neu und ernähren den Kochbuchautor zugegebener Maßen besser als das eintausenddreihundertsechszehnte Buch über „Meine echte Toskana-Küche“.

Laura Santtini: Umami: Das Kochbuch – Die Entdeckung des perfekten Geschmacks. Edition Fackelträger. Köln 2016, ISBN    978-3-7716-4665-3, 25,00 €

Heiko Antoniewicz, Dr. Michael Podvinec, Dr. Nikolai Wojtko: Umami. TreTorri Verlag, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-96033-044-8, 49,90 €

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