Rhöner Botschaft in Hilders: Bekenntnis zur puren Fleischeslust

 

Summa summarum: ziemlich genialer Fleischkoch, viel Spielraum nach oben bei den Beilagen, sicherlich nicht perfektes, aber flottes, freundliches, menschliches Personal, ausgesprochen „rustikale“ Gästezimmer und Inneneinrichtung, den Orientierungssinn herausfordernde Architektur, auch an der sonstigen Hotel-Infrastruktur – von W-LAN über Weinkarte bis Parkplätze – ist noch viel zu tun.

Rhöner Botschaft in Hilders, Eingang des ehemaligen Gasthofs Engel
Rhöner Botschaft in Hilders, Eingang des ehemaligen Gasthofs Engel

Der Anhänger des Zimmerschlüssels ist ein beachtliches Stück ausgekochter, hohler Ochsenmarkknochen. Das ist mal ein klares Statement zur Philosophie des Hauses bereits beim Einchecken in das Hotel Rhöner Botschaft in Hilders am Fuße der Wasserkuppe. Hier hat man sich in den drei hauseigenen Restaurants ganz und gar der Fleischeslust verschrieben, allen voran der perfekten Zubereitung artgerecht aufgezogener heimischer Ochsen und Schafe. Wahrscheinlich ist das hier die Vorhölle für Vegetarier (recht so!).

Und noch in einer anderen Beziehung ist die Rhöner Botschaft außergewöhnlich: man kennt hier Dinge, die noch nicht einmal Google kennt. Fingerspatzen, Worschtknödel, Käse-Weck-Dätscher, das sind Gerichte auf den Speisekarten hier, die sich selbst in Google nicht finden. Und das ist eine Leistung, angesichts der Allmacht und dem Allwissen von Google (ebenfalls recht so!).

Aber vielleicht von Anfang an. Hilders in der Rhön, nie gehört. Plötzlich berichten Feinschmecker, Gault Millau und Guide Michelin von einem jungen Koch, der im väterlichen Dorfgasthof Sonne ganz Famoses in der Küche zustande bringen soll. Reichlich voreilig (wie ich finde) vergibt der Gault Millau 15 Punkte (und kassiert sie 2015 sang-, klang- und kommentarlos wieder ein), die Testesser des Guide Michelin befinden Hilders bis heute zumindest noch einen Besuch und drei löbliche Erwähnungen wert. Dieser junge, kurzfristig gehypte Koch ist Bjoern Leist, er hat bei Bareiss in Baiersbronn gelernt und ist nach Stationen im Landhaus Bacher in Mautern und im Schloss Schauenstein in Chur 2007 an den heimischen Herd zurück gekehrt. Ein Jahr zuvor hatte der Vater, Ludwig Leist, den angrenzenden, weitaus größeren Gasthof Engel gekauft. Familie Leist machte sich daran, die beiden Gasthöfen und die hauseigene Metzgerei zu einem größeren Hotelbetrieb um- und zusammenzubauen. Heute zähle ich in dem Komplex wenigstens drei Gebäude, nach dem Motto „Vorne hui, hinten pfui“ mit zwei schönen alten Häusern zur Hauptstraße und einem hässlichen Neubau zur Gasse hinter dem Haus; hier findet sich auch noch eine Art Müllplatz mit verfallenden Schuppen, über denen – sehr unrühmlich – etwas von einem „Leist Biergarten“ steht. Parken ist Fehlanzeige, man wird auf die öffentlichen Parkplätze beim Rathaus verwiesen. Nach dem Einchecken wird nicht umsonst mit jedem neu angekommenen Gast eine persönliche Hausführung gemacht, andernfalls würde man sich gewiss verirren. Die Häuser sind ein verwirrendes Labyrinth von Gängen, Treppen, Türen, kleinen Terrassen, Durch-, Ein-, Aus-, Auf- und Abgängen, in denen man sich wahrlich verlaufen kann. Ohne Kernsanierung wurden hier wenigsten drei Gebäude irgendwie „zusammengeschraubt“, und so, wie beim Interconti in Wien die Funktionalität alles bestimmt und verhundst, so herrscht hier in Hilders an vielen Stellen pure Dysfunktionalität, das ist unpraktisch, hat aber auch Charme. Die Zimmer sind ganz unterschiedlich eingerichtet, aber überall spürt man, dass hier mit unglaublichem Herzblut und viel Liebe zum Detail, gleichzeitig aber mit wenig Können, Provinzgeschmack und geringen Mitteln zu Werke gegangen wurde. Alles wird dominiert von der alten Bausubstanz der Häuser, aufgemotzt mit Möbeln und Leuchten aus dem Baumarkt, viel schlecht verstrichener Gold- und Silberfarbe und billigen Kunstdrucken, wie es sie bei IKEA gibt. Meine „Junior-Suite“ sind zwei kleine Zimmerchen, früher wohl jedes ein Doppelzimmer, jetzt verbunden durch einen Wanddurchbruch, in einem Zimmerchen eine Couch, ein Kleiderschrank und ein Schreibtischchen, im anderen Zimmerchen ein Doppelbett mit durchgelegener Matratze und zwei Nachttische. Beide Zimmerchen haben spiegelverkehrt jeweils ein winziges, fensterloses Bad, wohl in den 70er oder 80er Jahren nachträglich eingebaut, keine 3 qm groß, gerade genug Platz für ein Waschbecken, ein WC und eine Dusche mit Duschvorhang, der sich nicht aufziehen lässt, alldieweil die Ösen sich in der zu großen Vorhangstange verhaken. Vor die alten Sprossenfenster der Zimmerchen wurden von Innen nachträglich moderne Doppelfenster gesetzt (wohl um Denkmal- und Lärmschutz miteinander in Einklang zu bringen), mit dem Erfolg, dass die Sprossenfenster beim Öffnen gegen die Doppelfensterrahmen dotzen und sich die Fenster so nur noch einen Spalt öffnen lassen. Unter dem neuen Teppichboden knarzen die alten Dielen, das kostenlose W-LAN ist mehr schlecht als recht, und statt Minibar kann man käuflich eine Sprudelflasche erwerben und diese dann an einem Sprudelgerät im Flur kostenlos befüllen. Lift und Barriere-Freiheit sind Fehlanzeige, aber es gibt eine Raucherlounge mit Leder-Imitat-Sesseln, eine kleinen Dachfreisitz, irgendwo soll auch noch eine Sauna in den Eingeweiden der Gebäude lauern. Auch in den Gasträumen im Erdgeschoss erkennt man bis heute, dass hier zusammengeschraubt wurde, was nicht zusammen gehörte. Da gibt es einen Lounge-Bereich an der Rezeption, wieder mit tiefen Sesseln aus Kunstleder, in einer Vitrine locken ein paar ordentliche Whiskys. Dahinter das Restaurant DasOx mit – sagen wir einmal – einer Möblierung, die nicht dazu geeignet ist, vom Essen abzulenken, in dem allabendlich ein Vier-Gänge-Menue serviert wird. Dahinter dann mit vier Tischen und 16 Plätzen ähnlich spartanisch möbliert das DasOx Exklusiv, das kleine Spitzenrestaurant des Hauses, in dem es keine Speisekarte gibt, sondern man muss mit 24-stündiger Voranmeldung ein 6-Gänge Menue für 89 € oder ein 8-Gänge Menue für 99 € bestellen; die Speisefolge bestimmt dann allein der Koch Bjoern Leist, man kann lediglich Abneigungen und Allergien anmelden. Bürgerlicher geht es ein paar Gänge und Treppen weiter in der Gaststube Sonne mit ihrer alten, typischen Wirtshaus-Einrichtung zu, hier wird ganz normal à la carte gegessen, hier treffen sich Hausgäste, Touristen und Einheimische zum Schmausen, im Hinterzimmer spielen Männer mit unter lautem Schreien, Lachen, Zanken und zuweilen wildem Fluchen Karten, der Lärm ist nicht Lokalkolorit, sondern schlichtweg nervend. Trotzdem geht auch hier ohne Reservierung nix. Und irgendwo gibt es dann auch noch die Hauseigene Metzgerei mit ihrem kleinen Verkaufsraum.

20160401_174910
Rhöner Botschaft Rückseite: vorne hui, hinten pfui!

Ebenso vielfältig verwirrend wie Räumlichkeiten und Restaurants ist die Markenführung des Hauses. Da gibt es „Rhöner Botschaft“, „Sonne“, „Engel“, „Leist“, „Leist-Style“, „LeistStyle“, „Ox“, „DasOx“, „DasOx  Exklusiv“, „OxOase“, … und all diese Begriffe werden munter und kreuz-und-quer nach draußen kommuniziert, dazu die selten dämliche URL www.leist-sonne-engel.de (wer soll sich das denn merken?). Als in neugierig geworden war und mich über die Rhöner Botschaft (oder wie immer das Teil auch wirklich heißen mag) schlau machen wollte, saß ich zuerst einmal völlig verstört vor dem Rechner, bevor ich merkte, dass all diese Begriffe – zugleich Marken – irgendwie zusammen gehören. Diese ungeordnete Vielfalt erzeugt nur Verwirrung. Hier wäre der Familie Leist dringen anzuraten, die Markenführung komplett zu überarbeiten, zu entschlacken und ein klares Konzept reinzubringen. Heute entspricht die Markenführung der Bauweise der Häuser: wild zusammengewürfelt, nicht zusammen passend, chaotisch, verwirrend.

20160401_174747
Rhöner Botschaft in Hilders, Eingang des ehemaligen Gasthofs Sonne und Metzgerei

All diese Aktivitäten – Hauskauf, Umbau, Renovierung, Modernisierung, Marketing, Aufbau von drei Restaurants parallel, Ochsentour (nicht Oxentour) durch die Medien – das führte zuerst einmal vor ziemlich genau einem Jahr – wie so oft in der ambitionierten Gastronomie – in die Insolvenz. Man habe die Umbaukosten für die alten Gemäuer unterschätzt, hieß es damals. Wie dem auch sei, die Rhöner Botschaft gibt’s bis heute, ich war vor ein paar Tagen erst dort, und – nach zwei Seiten nörgel-nörgel-nörgel – eigentlich mag ich die Rhöner Botschaft ja, und ich will wiederkommen (sofern die Familie Leist mit überhaupt noch reinlässt), zusammen mit meinem kleinen Sohn, dem Fleischfresser vom Schiffchen. Hier kocht jemand wie der Teufel Fleisch, einfach genial. Bei den Beilagen ist noch sehr viel Spielraum nach oben, dazu später mehr. Um diesen Teufelskoch herum gibt es junges, provinzielles Personal, freundlich, flott, ambitioniert, menschlich, aber sicherlich keine perfekten Servicemitarbeiter der gehobenen Hotellerie (aber wir sind ja schließlich auch auf dem Dorfe) und eine marode Gasthaus-Infrastruktur, an der es noch sehr, sehr viel zu tun gibt (aber zum wohligen Schlummern mit vollgefress‘nem Wanst reicht‘s, wenn man auch dem Alkohol soweit zugesprochen hat, dass die mangelnde Schallisolierung nicht mehr stört). Sicherlich kann man nicht alles auf einmal aufbauen, perfekte Küche und perfektes Hotel. In Hilgers hat man mit der Fleischküche angefangen, und – bei Gottfried – die ist genial. Wenn jetzt auch Qualität der Beilagen, des Hotels und des Weinkellers in den nächsten Jahren konsequent und kontinuierlich besser werden (sprich: wenn die Familie Leist jeden verdienten Cent wieder in den Betrieb steckt – eine verdammt harte  Tour, ich weiß …), dann – ich spreche ein großes Wort gelassen aus – könnte Hilgers ein neues Tonbach werden.

Nun aber zum Wichtigsten, zum Futter: „Hausgemachte Pommes mit Kochkäse“ werden als kleine Vorspeise angeboten, was kommt sind dann tatsächlich handgeschnitzte, dicke, asymmetrische, perfekt frittierte Kartoffelstäbchen mit dieser gekochten, zähen, streng schmeckenden Quark-Natron-Mischung, die anscheinend vor allem in den ärmeren Teilen der Republik historisch Popularität genießt; man muss das mögen oder nicht, interessant und ungewöhnlich ist’s allemal. „Tartare mit seinen klassischen Beilagen“ kündigt die Speisekarte dann unscheinbar an, als Vor- und als Hauptspeisen-Portion. Was kommt ist perfekt und vor allem frisch gecuttertes Rindfleisch mir einer ganz leicht groben, idealen Körnung, nicht das pure Filet oder Roastbeef, sondern ganz, ganz leichter Fettanteil, der sich weniger als weiße Punkte, als vielmehr als formidabler Geschmacksträger bemerkbar macht, dazu kleine Schälchen mit – wiederum perfekten – Würfelchen von sauren Gurken und Zwiebeln (nur eine Nebensächlichkeit, aber hier hat jemand richtig gute Messer und er/sie weiß, damit umzugehen), einem frischen Eigelb, Kapern (Warum eigentlich nicht gehackt? Vielleicht weil die keine perfekten Würfel abgeben?), darauf die unsägliche und unabdingbare Anchovi (Wer in Dreiteufelsnamen braucht salzige Fischlein auf rohem Fleisch? – Aber es ist tatsächlich klassisch!), dazu kleine, endlich mal streichfähige Butterwürfelchen (auch so eine Geschichte, die skrupellosen Tiefkühlbutter-Servierer …) und ein Stamperl Schnaps (ich tippe auf einen ordentlichen Weinbrand), alles festgeklebt auf einem kleinen Marmor-Brettchen; Tabasco und  Worcestershiresauce hingegen (die ich ebenfalls als „klassisch“ definiert hätte), fehlen, dafür gibt es keinen Labber-Toast, sondern handfestes, gutes Landbrot. Passt. Die Rindssuppe ist – in Anlehnung an Gertrude Stein – eine kräftige, hausgemachte Rindssuppe, ist eine kräftige hausgemachte Rindssuppe, ist eine kräftige, hausgemachte Rindssuppe, die hausgemachten Kräuterflädle dazu schmecken tatsächlich nach Frühlingskräutern mit einem leichten, nicht erschlagenden Hauch von Bärlauch. Die Roulade ist mürbe, trotzdem ist die Gemüsefüllung noch ganz leicht knackig (wie macht der das nur?), das Sößchen zum Niederknien, die Bärlauch-Kartoffelklöße dazu … matschig-knoblauchig-wässrig. Dann wieder der Ochsenrücken aus dem Ofen, ein Riesendrumm Fleisch, nicht butterweich, mit Biss, aber zart, schieres Fleisch ohne Flechsen und Fett, dazu perfekt blanchierte Frühlingszwiebeln, frische Pilze und Saucen (! Plural) wieder zum Niederknien, zum einen eine aufgeschäumte Jus mit reichlich Sahne, zum anderen eine kurze, sämige Sauce von frischen Kräutern, darüber – als knuspriger Kontrapunkt – frittiertes Stroh von nicht identifizierbarem Gemüse; die in der Speisekarte angekündigte Rösti ist ein enttäuschender, aufgeweichter feiner Kartoffelpuffer, weder grob, noch knusprig, einfach ein durchgeweichter, überflüssiger Fladen von fetter Kartoffel. Genial wieder das Kotelette vom Landschwein, ein Riesendrumm rosa gebratenes, butterweiches Stück toten Schweines am Knochen mit mehr als enttäuschenden Bratkartoffeln.

20160401_211242
Ochsenrücken aus dem Ofen

Die Weinkarte schließlich ist gänzlich unspektakulär, ein paar Dutzend ordentliche 20 bis 40 € – Flaschen mit dem Schwerpunkt auf Rheinhessen, dazu eine Auswahl heimischer Brände (u.a. aus Schlitz, eine regionale Brennerei, die ich sehr mag und die dazu angetan wäre, irgendwann einmal, wenn sie nur kürzer brennen würden, Ziegler Konkurrenz zu machen), dazu Hochstift-Pils aus Fulda vom Fass: passt.

Sicherlich erwähnenswert noch das Frühstück in der Rhöner Botschaft, das in den Räumen des DasOx und des DasOx Exklusiv (blöde Formulierung, das kommt von diesen sprachverballhornenden Namen!) serviert wird. Am Tisch erwarten einen ein Körbchen mit frischen Bäcker-Backwaren (keine industriellen Backlinge), kleine Gläschen selbst gemachter Marmelade, Butter und kleine Schälchen mit drei Sorten frischen Obstes. Buffet gibt es keines, aber man nahezu alles, was das Frühstücksherz begehrt, bei den freundlichen, flotten Bedienungen bestellen, Eierspeisen, Kaffees, Tees, Säfte, Wurst, Käse, … Bei Wurst und Käse kann man entweder Wünsche äußern oder aber – total genial – in die hauseigene Metzgerei gehen und sich alldorten einen Teller mit frisch aufgeschnittener Wurst und/oder Käse zusammenstellen lassen.

 

Rhöner Botschaft
CLL Service- & Beratungsgesellschaft (UG)
Marktstraße 12-14
36115 Hilders
Tel.: 06681/ 977-0
Email: info@rhoener-botschaft.de
Internet: http://www.leist-sonne-engel.de

 

Hauptgerichte in der Gaststube Sonne von 12,50 € (Schnitzel) bis 34,00 € (Rinderfilet)

 

Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück von 76 € bis 136 € (pro Zimmer)

 

 

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top