Petit Fritz München: Wie sich Klein-Fritzchen Frankreich vorstellt

Summa summarum: Die Dönerisierung der Gastronomie schreitet voran, jetzt gibt’s auch belegte Stullen à la française an der schicken Schwabinger Feiermeile, serviert in einem im Bistro-Style eingerichteten, quälend eng bestuhlten Lokal namens Petit Fritz. Serviert werden vorwiegend Tartines, je eine Scheibe mäßigen Körnerbrots mit nobel klingenden, aber belanglosen Belägen zu saftigen Preisen, dazu eine kleine, aber nette, dazu noch relativ wohlfeile französische Weinkarte. Dem jungen, urbanen Schwabinger Publikum scheint’s zu gefallen, der Laden brummt und ist rappelvoll. An der Qualität des Essens kann das kaum liegen …

Sie habe ja nun schon zwei neue Mandanten abgelehnt, um sich voll und ganz um seine Firmen kümmern zu können, immer wieder greift sie beim Reden nach seiner Hand, sobald er sie auf den Tisch legt; meistens zieht er sie zurück, zuweilen lässt er sie Handrücken-umklammernd auch gewähren, seine Pranke in ihren zarten – zärtlichen? – Händen; er werde ja nun einen großen Teil des Firmenvermögens in die Stiftung überführen, besonders die Bilder, die bräuchten seine Familie bestimmt nicht; er solle sich das nochmals gut überlegen, wirft sie ein, das seien doch signifikante Sachwerte. Sie ist vielleicht um die Vierzig, anscheinend Steuerberaterin, elegant gekleidet, ihre Frisur kommt nicht vom Dorfe, und sie flirtet auf Teufel komm raus; er +/- Fünfzig, gestärktes Hemd, manierlicher Blazer, Uhr im Gegenwert eines respektierlichen Kleinwagens, Schuhe eher nicht, noch dazu schlecht gepflegt, und er würde ganz offensichtlich den Teufel lieber drinnen lassen. Derweil höre ich hinter uns, er habe ja jetzt diesen alten Sieben-Liter-Dodge gekauft, ein Mörder-Geschoss, dazu so toll in Schuss, ein paar Wochenenden schrauben und lackieren, und das Teil sei bei Liebhabern echt das Dreifache wert, von den Gewinn könnten sie ein, zwei Monate auf Ibiza so richtig die Sau rauslassen, und dann sei immer noch was übrig; die Frau vis-à-vis von ihm an dem an die Wand geschraubten Hilfstischlein zwischen den Barhockern, auf denen sie sitzen, wirkt sichtlich desinteressiert. Die beiden jungen Damen rechts von uns – die eine sehr gepflegt, nicht billig aufgebrezelt, sondern dezent aufgehübscht, die andere bewusst – sehr sympathisch – schlunzig, man sieht ihr an, dass sie diesen Schneller-Höher-Weiter-Zirkus nicht nötig hat, unterhalten sich abwechselnd über Anlagestrategien an der Börse und über Kerle, über Rendite-Konzepte und über die Vor- und Nachteile gewisser körperlicher Gegebenheiten beim Manne als solchem. Caro und ich können nicht umhin, diese Details mehr oder weniger intimer – gleichwohl aber öffentlicher – Kommunikation dezidiert mitzubekommen, denn die Sprechenden sitzen eng gedrängt, keinen Meter, eher einen Halben, von uns entfernt, an winzigen Tischlein, kaum groß genug, zwei Teller, Wein- und Wassergläser, Wein- und Wasserflasche, Pfeffer- und Salzsteuer Platz zu bieten. Ich kenne ja nun etliche Bistros in Frankreich, und ich weiß, dass man dort – zumal im teuren Paris, auf dem Lande eher weniger – dazu tendiert, die Lokale quälend eng zu bestuhlen. Aber dieses Bistro im tiefsten Bayern schlägt alle Pariser Bistros um Längen, was die Enge anbelangt. Der ganze Gastraum ist ein langer Schlauch, vorne etwas breiter mit ein paar Tischlein, einer Theke, Austern-Vitrine und einem winzigen Lounge-ähnlichen Bereich auf einer kleinen Empore, nach hinten raus verengt sich der Raum dramatisch, auf der rechten Seite unter einer Fensterfront eine durchgängige, wenigstens zehn Meter lange, gepolsterte Sitzbank, davor ein knappes Dutzend der oben bereits beschriebenen Tischlein, diese sind so eng gestellt, dass man die Nachbartische beiseiteschieben muss, wenn sich jemand auf die Bank dahinter setzen oder aufstehen will (nein, das liegt jetzt nicht an meiner Körperfülle, Caro saß auf der Bank, und die ist ja nun mal gewiss schlank), vor jedem dieser Tischlein auf der Gangseite exakt ein Stuhl (zwei würden auch gar nicht hinpassen), dann die Lauffläche für Gäste und Personal, kaum einen Meter breit, an die Wand sind vielleicht ein halbes Dutzend winzige Tischlein geschraubt, daneben je zwei Barhocker. Räumlich wirkt dieses ganze Ensemble mehr wie ein bestuhltes Treppenhaus eines gutbürgerlichen Mietshauses aus der vorletzten Jahrhundertwende.

Caro ist geschäftlich in München, irgendwelche Vertragsverhandlungen, für den Abend hat sie mich in’s Petit Fritz – eigentlich ein schöner Name, klingt irgendwie nach Versöhnung der „Erbfeinde“ – eingeladen, sie hat von dem im letzten Jahr eröffnetem Schuppen in irgendeiner Zeitung gelesen, und zwar nur das Beste. Der Kleine Fritz ist ein Ableger der französischen Brasserie Chez Fritz des Münchner Gastronomen Tom Breiter in Haidhausen. Der Kleine liegt in Schwabing in der Hohenzollernstraße, allerbeste Feier- und urbane Schickimicki-Gegend, einen Steinwurf von der Münchner Freiheit und der Leopoldstraße entfernt. Reservieren kann man nicht, man solle doch einfach vorbeikommen, lädt die Website des Etablissements freundlich ein. Wir sind für 19:00 Uhr dort verabredet, zum Glück war Caros Termin schon früher beendet, so dass sie schon seit 17:30 Uhr hier ist. Als ich das Lokal kurz vor Sieben betrete, stehen Wartende bis vor die Tür im kühlen Novemberregen. Ich zwänge mich durch die Menschenmassen aus anstehend Noch-Nicht-Gästen, sitzenden und stehenden Bereits-Gästen, gehenden Nicht-Mehr-Gästen und Servicepersonal in den hinteren Teil des Lokals, wo Caro auf der Bank sitzend Zeitung liest. Für das übliche Begrüßungsritual mit Umarmen, Küsschen, herzlich Drücken ist es schlichtweg zu eng, über den Tisch umarmt’s sich schlecht, hinter’m Tisch ist kein Platz für Zwei, selbst wenn ein Caro Tischerücken initiierte, um vor den Tisch zu kommen, so wäre auf dem Gang mit regem Kellner- und Gäste-Verkehr auch kein Platz zum Umarmen, wir würden zum Thrombus im Kneipengewusel, also lassen wir’s und lachen uns nur herzlich an. Das – überreichliche – Publikum empfinde ich größtenteils als jung, urban, gepflegt, hochwertig gekleidet, solvent. Mehr als die Hälfte der Gäste sind meist ausgesprochen hübsche junge Damen, so zwischen 25 und 35 Jahren, ein knappes Viertel sind junge Männer, das letzte Viertel der Gästeschar besteht aus alten Säcken wie Caro und mir; die großstädtische Jugend dominiert hier ganz eindeutig, it seems a place to be … for the timebeing.

Tageskarte entdecke ich – zu meiner Verwunderung – keine, recht ungewöhnlich für ein echtes Bistro; erst die Speisekarte bringt die Erklärung und zugleich die Ernüchterung. Im Petit Fritz werden fast ausschließlich Tartines angeboten, die französische Variante der Bruschetta oder des Smørrebrød, kurzum, es gibt Schnittchen oder Stullen, wie man auf gut Deutsch sagen würde. Scheiben von kurz geröstetem Körnerbrot mit diversen „fancy“ Belägen: gebackene, marinierte Rote Beete mit Käse oder geschmorte, gegrillte Aubergine mit Salzzitrone, oder einfach nur Tapanade, oder Blutwurst mit Zwiebel und Apfel, oder Roastbeef mit Sauce Tartare, oder geräucherter Saibling mit Meerrettich und Schmand, oder gebeizter Lachs mit Honig-Senf und Gurke, … uns so weiter: fancy Schnittchen halt. Wer keine Lust auf Schnittchen hat, kann lediglich auf frische Austern, Croque Madame oder Monsieur (aber das sind ja eigentlich auch nur Stullen), Steak/Pommes oder Muscheln/Pommes ausweichen; dazu noch drei kleine Beilagensalate und drei Desserts, das war’s schon mit der ganzen Speisekarte. Durchaus erfreulicher ist da die kleine Weinkarte mit rd. drei Dutzend Positionen, alles kleine, solide, erschwingliche französische Weine, das 01er Glas zwischen 5 und knapp 10 EURO, die Bouteille zwischen 30 und 70 EURO, selbst ein Fläschchen Champagner ist für 99 EURO zu haben.

Die Tartines werden im Petit Fritz auf Basis eines krümeligen Körnerbrotes zubereitet, das fast jeder Dorfbäcker besser hinbekommen dürfte. Der überbackene Camembert darauf ist bereits leicht seifig; das Roastbeef nicht rosa, sondern gräulich, und unter Sauce Tartare verstehe ich etwas anderes; der Hummer besteht aus winzigen, zerrupften Krebsstücklein, ertränkt in einer dubiosen Cocktailsauce mit Melonenbällchen, … das macht alles keinen Spaß. Caro versucht es dann noch sichtlich missgelaunt mit den Muscheln, die sind in einem ordentlichen – keinesfalls herausragenden – Sud gekocht, dafür sind sie sehr klein und teils sandig, die Pommes sind EU-Diktatur-konforme, blasse, matschige Kartoffelstäbchen, das Beste an ihnen ist die Tatsache, dass es so wenige sind; wir müssen mehrmals nachfragen, bis wir ein paar Scheibchen Baguette erhalten. Um irgendwie satt zu werden, wage ich ein Croque Monsieur, ein Riesen-Oschi zwischen zwei dicken Weißbrotscheiben mit viel geschmolzenem Käse überbacken; leider ist der Käse großflächig schwarz verbrannt.

Doch während ich hier missvergnügt rumgrantle, gibt der Erfolg dem Wirt eindeutig recht, sein Konzept geht auf. Dabei ist es doch genau betrachtet lediglich more of the same. Seit dem Earl of Sandwich packen die Briten irgendwas zwischen zwei Labberbrotschreiben und essen es mit den bloßen Pfoten, die Skandinavier haben ihr Smørrebrød, die Italiener Pizza; Bruschetta, Tramezini, die Amis Hotdogs, die Spanier Bocadillos, die Mexikaner ihre diversen Maisfladen, die Osteuropäer Blinis, die Reichen und Schönen Canapés, die Griechen Pita, die Chinesen Roujiamo, die Deutschen ihr Butterbrot oder Stulle oder Schnittchen oder belegtes Brötchen, die Türken mussten erst nach Deutschland kommen, um den Döner zu erfinden … und das sind beileibe noch längst nicht alle Varianten ein und der selben Grundidee: Brot wird mit irgendwas belegt oder gefüllt und als praktisch – meist von Hand – zu essendes Gericht serviert. Und da ist natürlich noch der grässlichste, abscheulichste Vertreter dieser Gattung: der weltweit verbreitete Burger. Prinzipiell ist ja nichts Schlechtes daran, Brot zu belegen oder zu füllen (mit Ausnahme des Hamburgers), dabei kommen sehr leckere, nahrhafte, oft sogar gesunde und meist wohlfeile Gerichte heraus. Und doch hat das in den seltensten Fällen etwas mit Esskultur oder anspruchsvoller Küche zu tun. Einen Camembert in Scheiben zu schneiden, auf eine Scheibe Brot zu legen, kurz in den Salamander zu schieben und zusammen mit einem Klecks Früchtesenf aus dem Bottich auf den Tisch zu bringen, das ist kein Hexenwerk, die Zubereitung eines Döners ist da komplexer. Den Gästen kommt diese Art des Essens entgegen, schnell, einfach, ohne viel Aufwand zu verzehren, auch ohne die Gefahr, sich mit seinen Tischmanieren zu blamieren, ungezwungen, und dazu noch relativ wohlfeil, und doch irgendwie fancy-trendy-in-schick. Ich nenne das die Dönerisierung der Esskultur. In Neuköln ist Döner völlig ok, aber im schicken Münchner Schwabing muss es schon was Besonderes sein, da sind Tartines genau das Richtige: zwar auch nur Stullen, aber irgendwie feiner, elitärer. Und dem Wirt kommt diese Art des Essens ebenfalls entgegen: für die Mise en Place benötigt man vielleicht noch einen ausgebildeten Koch (sofern nicht ohnehin Convenience aus dem Bottich verwendet wird), für das Finish dieses Zeugs über den Abend braucht’s kein (teures) Fachpersonal mehr, Butterbrote im Akkord belegen können auch Hilfskräfte.

P.

P.S.: Käme das Petit Fritz mit seinem Tartines-Gedöns im Gewand des legendären Trzesniewski-Konzepts („Die unaussprechlich guten Brötchen“) aus Wien an den Start, mit einem kühlen, schmucklosen Buffet für die Laufkundschaft an der Leopoldstraße, wahrscheinlich fände ich das sogar gut, gleichwohl eine Stulle für über 20 EURO mehr als grenzwertig ist (ein Trzesniewski-Brötchen, etwa halb so groß wie eine Petit Fritz Tartine, kostet seit Jahren konsequent 1,50 EURO).


Petit Fritz
PF GASTRONOMIE GMBH
Geschäftsführer Tom Breiter
Hohenzollernstraße 9
D – 80801 München
Tel.: +49 (89) 3 09 07 78 00
E-Mail: info@petitfritz.de
Web: www.petitfritz.de

Tartines von 4 EURO (mit Butter, eingelegtem Gemüse) bis 22,50 EURO (mit Hummer, Cocktailsauce, Forellenkaviar), Steak, Pommes, Bearnaise 31,50 EURO, Muscheln, Pommes 21,50 EURO, Desserts 8 EURO

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