Seit 17 Jahren betreibt Massimo Siniscalchi seine Gaststätte Pastissima eher versteckt und unauffällig in der Jesuitengasse im Augsburger Domviertel. Innen bietet das kleine Restaurant keine 50 Sitzplätze, dazu kommt im Sommer ein kleiner, recht hübscher Innenhof mit ein paar Tischen. Bereits die Inneneinrichtung des Pastissima verweigert sich den üblichen Italiener-Klischees zwischen Capri-Kitsch, Toscana-Tand und neuerdings Vorstands-Kantinen-Chic mit Chrom, Leder, klaren Linien. Vielmehr erinnert die Einrichtung eher an einen Fundus aus Sperrmüll, kunterbunt zusammengewürfelte Möbel im 60er und 70er Jahre Stil, kleine Tische und unbequeme Stühle, Kisten Holzscheite und allerlei Trödel als Deko, dazu Unmengen monströs-kitschiger Lampen (allesamt bei drei Besuchen hintereinander mit unübersehbaren Spinnweben – wenn in der Küche ähnlich gut geputzt wird, na Mahlzeit …) an Wand und Decke mit offen umherhängenden Stromkabeln. Wer’s mag, zumindest sicher kein Capri-Klischee-Kitsch …
Nicht nur durch die Einrichtung, vor allem aber durch die Speisekarte differenziert sich das Pastissima von anderen, „normalen“ Italienern. Einerseits, ja, es gibt Pasta, Pizza, Calamari, Insalata – ganz, wie man es von einem „normalen“ Italiener gewohnt ist; andererseits, es gibt keine Spaghetti Bolognese oder Lasagne, keine drei Seiten Pizza-Karte mit den grässlichsten Kreationen wie „Meeresfrüchte, Obstkompott, Curry, Mozzarella“ und keine bombastische Fischkarte, die eigentlich nur aus der Tiefkühltruhe stammen kann. Eine Kernkompetenz von Massimo Siniscalchi – ein Autodidakt im Kochen – ist die Beschränkung. Er beschränkt sich auf wenige, zum Teil auch ungewöhnlichere Gerichte, dazu eine sehr kleine wechselnde Tageskarte. Die „Pizza Pastissima“ ist – zumindest in Augsburg – fast legendär, eine rotzfreche Mischung aus Ziegenfrischkäse, frischen Feigen, Thymian, Waldhonig, schmeckt nicht jedem, ist aber mal was anderes; und die Tatsache, dass die „Pizza Pastissima“ bei zu großem Andrang auch mal „aus“ ist, spricht für die Frische der Zutaten. Aber ansonsten glänzt die relativ kleine Speisekarte durch viele Unzulänglichkeiten und Patzer. Die Spaghetti Carbonara mit wirklich al dente gekochten Nudeln, krossem Speck, nur Ei, keiner Sahne, ganz, wie es sein sollte – und versalzen. Die Minestrone heiß mit einer kräftigen Gemüsebrühe, knackigem Kohl und Sellerie, aber schlichtweg rohen Möhrenstiften und rohen geviertelten Rosenkohl-Röschen, und ohne Teigwaren – und stark versalzen. Die rohen Möhren und der rohe Rosenkohl begegneten mir zwei Gänge später nochmals, diesmal unter der totgebratenen und fasrigen Saltimbocca alla Romana als Beilagengemüse in einer jämmerlich süßen Marsallasauce liegend. Ansonsten erfreuten uns geschmacklich belanglose (aber immerhin gut geputzte) Tiefkühlgarnelen in ordentlichem Olivenöl mit einem Zweiglein Thymian, zu dicke und mächtig belegte, aber ordentlich gebackene Holzofen-Pizzen mit leicht griesligem Teig und weitgehend geschmacklosem Parmaschinken, wirklich breiige Gnocchi (man hätte gewünscht, sie wären nicht hausgemacht), ebenfalls alles andere als al dente gekochten hausgemachten Campanelle mit zähen gebratenen Streifen von der Kuh, der übliche 08/15-Italiener-Salat und eine Allerwelts-Panna-Cotta.
Keines der Gerichte war wirklich schlecht, aber auch keines wirklich gut. Im Pastissima wird eine reduzierte, nicht dem kulinarischen Mainstream folgende Küche geboten, die vorgibt, etwas Besonderes zu sein, ohne wirklich etwas Besonderes zu sein, aber das provinzielle Augsburger Publikum glaubt gerne daran, etwas tatsächlich Besonderes zu goutieren – sie wissen es halt nicht besser. Vielleicht ist es auch geschickte Strategie des Autodidakten Siniscalchi, sich mit seinen Kreationen keinem vergleichbaren Wettbewerb zu stellen: einfach mal Nudeln mit hausgemachter Tomaten- oder Bologneser Sauce anbieten, und jeder durchschnittliche Gast könnte vergleichen, wie das Pastissima hier im Vergleich mit dem kleinen Stamm-Italiener um die Ecke abschneidet. Aber diesem direkten Benchmark stellt sich Siniscalchi nicht, aus gutem Grunde wohl, aber versteht es, das auch noch als Value Preposition zu vermarkten. Ziemlich genialer Ansatz, gebe ich zu.
Die Preise im Pastissima liegen mit +/- 10€ für Vorspeisen, Salate, Nudeln und Pizzen, +/- 20€ für Fleisch- und Fischgerichte und +/- 5€ für Desserts etwas über dem üblichen Pizzeria-Niveau. Die Bedienungen sind flott, verlieren auch nicht den Überblick, wenn der Laden (wie meist) brummend voll ist, freundlich, zuvorkommend, korrekt. Wirklich ordentlich statt des üblichen Chianti-/Soave-Einerleis der offene rote und der weiße Hauswein, ein sehr ordentlicher Gavi und ein ebenso ordentlicher Barbera d’Alba, beide mit 4,50 € für 0,2 l wirklich fair bepreist für die Qualität. Die Weinkarte mit einem guten halben Dutzend Roten und Weißen Positionen ausschließlich aus Italien zwischen 25 und 50 € ist qualitativ und preislich bodenständig-reell.
Diese kuriose Melange beschert dem Pastissima seit Jahren regelmäßig ein volles Haus, meist ist es unmöglich, ohne Reservierung einen Platz zu ergattern. Es sei seinen Betreibern gegönnt, das Augsburger Publikum ist‘s allemal zufrieden, dafür reicht’s sicherlich. Mein Fall ist es nicht. Ich gehe dann doch viel lieber in’s … in’s … in’s … … … ach, ich vergas, es gibt ja keinen guten Italiener in Augsburg (und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem unsäglichen Mille Miglia oder der Osteria Albero Verde des Toni-genannten).