Alfons „Fonse“ Schuhbeck kocht seit über einem Jahr am Platzl in München wieder mit Stern und Hauben: Kulinarische Perlen werden an der geschäftsträchtigen Meile noch immer nicht vor die Säue geworfen
„Es war mir eine Ehre, hier gewesen sein zu dürfen.“ Der Mann, der das zu dem kühl-servilen Kellner an der Tür sagt, ist vielleicht fünfzig, in seinem Gefolge eine ebenso alte Dame in mittelpreisigem Pelz, er wahrscheinlich Oberarzt aus Donauwörth, oder mittelständischer Bauunternehmer aus Holzkirchen. Die Herrschaften stapfen hinaus in die Nacht, mitten aufs Platzl, dem Herzstück deutschen Touristennepps, nebenan – das Klischee existiert tatsächlich! – wanken trunkene Japaner aus dem Hofbräuhaus, gegenüber grölen aus aller Herren Länder Jugendliche in der Hard Rock Cafe Franchise-Systemgastronomie, um die Ecke im Mandarin Oriental steigt ab was keinen Rang aber einen schillernden Namen hat, um die andere Ecke, im Viejahreszeiten geht es seit Jahren bergab, und William Deck hält grantelnd und entgegen aller Unbill die klassische Bartradition in der Falkenturmstraße mit beachtenswertem Erfolg hoch.
An diesen vielleicht seltsamsten Ort Deutschlands hat es den „unersättlichen Edel-Gastronomen aus Waging am See“ (Focus) verschlagen. Vom glücklosen Alois Pogratz hat Alfons Schuhbeck die ehemaligen „Südtiroler Torggelstuben“ übernommen und führt sie nun seit gut einem Jahr als „Schuhbecks in den Südtiroler Stuben“. Auch den wohlwollendsten kulinarischen Pilgern in Waging war in letzter Zeit aufgefallen, dass es zunehmend stiller wurde, im Kurhausstüberl, right in the middle of nowhere zwischen München und Salzburg, ohne Übernachtungskapazitäten. (Winkler, just in der selben Ecke heimisch geworden, war da mit seiner „Residenz“ schlauer, aber sein Startkapital dürfte auch weniger bescheiden gewesen sein.) Daran änderten Michelin-Stern und die drei Gault Millau Hauben ebenso wenig wie die fast schon fließbandmäßige Produktion von Kochbüchern, die es immerhin regelmäßig bis in der einschlägigen Bestseller-Listen schaffen noch die unermüdliche Medien-Tingel-Tangel-Tour des „Bilderbuchbayern“ (Gault Millau). Hier offenbarte sich wieder einmal das Dilemma nicht nur deutscher Spitzengastronomie, die sich immer öfter nicht allein redlich nähren kann. Nicht etwa nur ein Lokal, sondern gleich ein knappes Dutzend Gesellschaften finden sich im Umfeld des Alfons Schuhbeck, manche davon mit sehr wechselvoller Geschichte. Darunter sind die elterlichen Betriebe in Waging ebenso wie eine Kochschulen-GmbH, ein Etablissement Namens Schubeck’s Check Inn am Flughafen Engelsbach, Catering- und Feinkostversandservices, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung für die Platzl-Aktivitäten und auch die Beteiligung and Wodarz’s Panem et Circenses. Dazu Dauerpräsenz auf dem bajuwarisch-öffentlich-rechtlichen Pflichtfernsehen, selbst vor Homeshopping-Sendern keine Berührungsängste, schließlich noch publikumswirksames Bekochen der erschlafften Münchner Luxusfussballer. Nun schließlich neben den Südtiroler Stuben Kochschule, Eisdiele, ein Gewürzladen soll folgen. All diese – in ihrer Menge bewundernswerten – Aktivitäten konnten in der Vergangenheit nicht verhindern, dass der „Kini der Gastronomie“ (NZZ) sich Nebeneinkünfte suchen musste, die sich nicht immer vollends im legalen Bereich bewegten, was ihm bis heute zwei Vorstrafen einbrachte. Anlagenbetrug ist das eine (aber gesellschaftlich zeihlich), aber original bayerischen Leberkäse im Kohlenpott produzieren lassen? Doch selbst darüber spricht man in der provinziellen Müchner Bussi-Gesellschaft nicht gerne und schon gar nicht offen, nur von den Zugereisten aus dem Arabella-Park kamen hier öfters mal bösere publizistische Hiebe. Unbeirrt von alle dem bescheinigte das Haus-und-Hof-Blatt des verbliebenen guten teutonischen Geschmacks den Südtiroler Stuben gerade „die höchste Promi-Dichte der Stadt“. (Der Feinschmecker)
Dabei hätte der „skandalgeschüttelte Küchenmeister“ (Süddeutsche) die besten Voraussetzungen: Gastwirtsfamilie, internationale Ausbildung in der ersten Häusern, darunter noch im alten Walterspiel (seufz) und – natürlich – beim ehemaligen Königmacher der deutschen Nachwuchsköche, bei Witzigmann im Aubergine, mit 34 den ersten Michelin-Stern. Während andere der alternden nouvelle cuisine hinterher hechelten, in cross over und ähnlichem Schnick-Schnack neue Konzepte suchten, blieb „der Medienprinz“ (essen & trinken) seinen heimischen Wurzeln treu. Legendär sind die bodenständigen Weißwurtsradeln (panierte Kalbswurtscheibchen), die Sülzchen nur aus guter Brühe (Respekt, wenn die Dinger wirklich ohne Gelatine gelieren) und seine Gangerl mit den selbstgemachten Nudeln (man schmeckt das Selbstgemachte durch, ebenso wie die Eier, das Mehl und die Plumpheit bei Nudeln nördlich der Alpen – aber, tatsächlich, hausgemacht). Und dass es nichts Besseres gibt als wie …, nun, das ist mittlerweile schon zwischen Allgemeinplatz und Plattitüde angelangt.
Gerade heute, wo der new ecconomy zunehmenden der monetäre Treibstoff ausgeht, hat der „weiß-blaue Edel-Gastronom“ (nochmals der Focus), „die Inkarnation der bayerischen Küche, zumindest für Japaner auf Durchreise“ (nochmals Der Feinschmecker) eine nahezu perfekte Positionierung. Wer nicht populären Küchenproleten wie Oliver oder dem schmuddeligen Zacherl hinterher laufen will, der findet bei Böfflamott statt Hummer, geschmolzenem Almkäse statt Sushi, Kalbfleischpflanzerl statt Kaviar eine neue kulinarische Heimat: bodenständig, gut, erdverbunden, bezahlbar.
Nun ja, halbwegs bezahlbar. Das dreigängige Abendmenü kostet in Schuhbecks Südtiroler Stuben 58 €, vier Gänge 69 € und fünf Gänge 79 €, die Mittagsangebote sind preiswerter. Hier zelebriert der „mehrfach prämierte Schmankerl-König“ (Die Welt) die große kulinarische Show, wenngleich die Begrüßung im engen, zugigen Durchgang zwischen Garderobe und Treppe zum Klo stattfindet. Aber danach wird’s deutlich besser. Halbwegs großzügige Bestuhlung, Nichtraucher und Suchtkranke leider nicht getrennt, edel sind Glas, Besteck und Geschirr, witzig die Tische an der Fensterfront zum Platzl: sehen und gesehen werden … Die Speisekarte ist klar in fünf Abschnitte gegliedert, Vorspeisen – Suppen und kleine Gerichte – Hauptgerichte – Käse – Dessert. Vieles davon ist bereits altbekannt aus Waging, aber auch Neues scheint dazu gekommen zu sein. Die Stücke von Rostbratwürstel im Sud als Amuse-geules sind – süß, und diese seltsame Süße, die mittlerweile zum Saison-Modetrend in verschiedenen gehobenen Kochstuben avisiert, zieht sich seit dem Umzug vom See durchgängig als Geschmacksmotiv durch. Die Kalbfleischpflanzerl präsentieren sich tadellos, vom angekündigten Champagner im Kartoffelsalat ist allerdings nichts zu schmecken (aber wozu auch?). Das Kleine Ragout von der Rinderschulter kräftig vom Fleischgeschmack, aber belanglos – und wieder süßlich – gewürzt. Der Waller schlichtweg zu weich, das Böfflamott mit Brezenknödeln ziemlich genial in einer kräftigen, aber leider homöopathisch dosierten Sauce, tadellos die rosa gebratene Entenbrust, die Beilagen allerdings im Teller-Ikebana-Stil, gut auch geschmolzener Almkäse und lauwarmer Ziegenkäse mit Trüffelhonig und Portweinzwiebeln, beachtlich der geeiste Kaiserschmarrn. Dass Mitte April allerdings bereits Spargel angeboten wird, das passt nicht so recht zum Image des erdverbundenen Gastronomen. Wochen später, beim nächsten Besuch, haben sich nur einige Positionen auf der Speisekarte geändert, das meiste erscheint altbekannt. Allgemein wird sich Schuhbeck hier schwerer tun als in Waging, wo die Jünger aller paar Monaten einmal anreisten, die Kundschaft nun mit immer wieder wechselnden Angeboten bei Laune zu halten.
Insgesamt ist tadellos das passende Attribut für Schuhbecks neue Küche am Platzl. Tadeln kann man nichts wirklich, doch wirklich loben auch nicht viel. Es ist halbwegs ordentliche, heimatverbundene Hochküche vom Fließband. Für spektakuläre kulinarische Strohfeuer steht der Fonse (dick ist er geworden …) ohnehin nicht, aber auch die subtilen Höhenflüge bleiben (noch) aus. Seine Brigade macht während dessen dem alten Treppenwitz alle Ehre: jede Stunde einen Gang. Vielleicht ist es dem regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllten Lokal geschuldet, dass die Bedienung insgesamt weit von dem entfernt ist, was man üblicher Weise in einem Ein-Sterne-Haus erwartet.
Was bleibt zu sagen? Kulinarisch tadellos ist die Küche von Alfons Schuhbeck am Platzl, etwa von der gesichtslosen Qualität, die man in jedem besseren Restaurant eines internationalen Luxushotels bekommt. Damit ist Schuhbeck jetzt allerdings vollends in die Sandwich-Position gerutscht: es gibt weitaus bessere bayerische Lokale, und es gibt weitaus bessere Gourmet-Tempel. Aber allein schon aufgrund der Lage, verbunden mit der Medienpopularität des Maître, wird der Laden geschäftlich garantiert ein Erfolg. Die Oberärzte aus Donauwörth werden am Hochzeitstag Gattin und Geld dorthin tragen, für kulinarisch unbeleckte internationale Geschäftsfreunde, denen man gehobene bayerische Küche präsentieren will, ist das Platzl jetzt eine sichere Bank, und der eine oder andere Tourist wird sein Geld sicherlich auch noch dort lassen. Aber kulinarisch ist gewiss noch sehr viel Raum nach oben. Man wird sehen, inwieweit der Michelin-Stern und die 17 Gault Millau Punkte nur aus alter Gewohnheit und Verbundenheit vergeben wurden, oder ob sie im nächsten Jahr tatsächlich noch tragen.
Wünschen wir dem Fonse finanziellen Erfolg mit gehobenem kulinarischem Mittelmaß an geschäftsträchtiger Meile. Wünschen wir uns, dass er diesen finanziellen Erfolg auch in kulinarische Qualität investiert. Wir wissen: er kann mehr, als er weiland am Platzl kredenzt, aber mehr am Platzl kredenzen, das wäre wahrscheinlich Perlen vor die Säue werfen. Fonse, mach Dein Geld am Platzl (wir gönnen es Dir), aber koche wo anders. Wie wäre es: am Platzl Schicki-Mickis, Amis und Oberärzte abzocken, und mit dem dort verdienten Geld ein schönes, kleines, gutes Zweitrestaurant, vielleicht im Glockenbach-Viertel (in der Kapuzinerstraße ist leider gerade eine Lokalität frei geworden) oder im nördlichen Umland aufmachen, und dort wieder richtig kreativ werden? Dann, ja dann wird es uns auch wieder eine Ehre sein, dagewesen sein zu dürfen …