Marginalie 63: Semmering Basis-Tunnel, Lotsenpunkt 14

Ich bin über den Semmering gefahren, nicht durch den Tunnel, sondern die alte Landstraße oben über den Pass, durch Semmering Kurort, ein recht seltsames Fleckchen Erde, aber das tut hier nichts zur Sache. Bei der Fahrt runter in’s Schwarza-Tal quält mich ein zutiefst menschliches Bedürfnis, dessen Befriedigung vor all den Touristen nicht statthaft wäre, und auch die kurvenreiche, enge Landstraße bietet keine Gelegenheit der Erleichterung. Schließlich, in einer langgezogenen Kurve ein ausgedehnter matschiger Platz, „Lotsenpunkt 14“ steht auf einem akkuraten, großen, gelben, von beiden Fahrtrichtungen lesbaren Schild davor, hier kommen wohl die Laster her, um dann zur nahen Baustelle des Semmering-Basistunnels gelotst zu werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinter dem Platz ein dreistöckiges Gebäude aus Wohncontainern, hier leben wohl Bauarbeiter in recht rustikalen Verhältnissen, am Rande des Platzes schließlich ein riesiger Stapel verrosteter Stahlträger, die wohl zur Abstützung irgendwelcher Löcher verwendet werden, hier, meine ich, kann ich mich geschützt vor neugierigen Blicken meiner Last entledigen und steuere meinen Jeep als zusätzlichen Blickschutz schräg vor die Träger. Als ich gerade Erleichterung verspüre, sagt eine Stimme aus dem Off in einem Idiom, von dem ich nicht weiß, ob man es noch als Deutsch mit starkem Akzent oder schon als gebrochenes Deutsch bezeichnen würde „Schönes Auto!“. Ich kann gerade noch meinen Schniedel einpacken, als die Off-Stimme um den Stahlträger-Berg herumkommt, ein vielleicht 40 jähriger Mann, deutlich größer als ich, hager und doch muskulös, mittellange, kohlrabenschwarze Haare, nackter, gebräunter Oberkörper, unglaublich lange Finger, eine Hose, die aussieht wie eine ganz kuriose Mischung von Anzugs- und Jogging-Hose, dazu nicht wirklich neue und auch nicht wirklich saubere Turnschuhe mit drei Streifen drauf. „Schönes Auto!“, wiederholt der Mann, lächelt freundlich und schaut sich interessiert meinen Wagen an. Auch wenn unsereins natürlich völlig frei von Vorurteilen ist und auch nicht in Klischees denkt, so fährt es mir doch unvermittelt durch den Kopf „So, jetzt krieg’ste Eine auf die Schnauze und die Karre mit allen deinen Sachen ist weg. Weg!“ Nichts dergleichen passiert. Der Fremde geht um den Wagen, am Ende der Runde fragt er mich höflich, fast schüchtern, ob er mal hineinschauen dürfe, warum nicht, ich öffne ihm die Fahrertüre, den Schlüssel habe ich zum Glück abgezogen. „Sowas hätte ich auch gerne, aber zu teuer, verdienen zwar gut hier, aber alles nach Hause schicken, Familie, Haus bauen, Kinder Schule, Eltern helfen, kein Geld für schönes Auto.“ Wo er denn herkäme, frage ich, aus Slowenien antwortet er, er sei slowenischer Mineur, der hier zum Bau des Semmering-Basistunnels nach Österreich gekommen sei. Als ich ihm sage, dass mein Ur-Ur-Großvater 1874 als slowenischer Mineur von einem Dorf bei Kobarid an der Soča (ich sage Soča, weder Isonzo noch Sontig, das mögen die Slowenen nämlich in der Regel gar nicht) nach  Böhmen geholt wurde, um dort am Spitzberg-Tunnel mitzuarbeiten, strahlt der Mann förmlich. „Sie sind also quasi ein Landsmann, …“ – „Gerade bin ich also Slowene honoris causa geworden.“, denke ich ziemlich perplex – „…mein Name ist Marjan, darf ich Sie zu einem Bier drüben bei uns vor den Containern einladen?“ Wir stampfen durch den Schlamm zu den Containern, die Versorgungsleitungen hängen offen außen an den Containern, irgendwo drischt ein auf einer Leiter stehender Mann mit einem Hammer aus Gründen, die sich meiner Kenntnis entziehen, laut auf eine der Blechwände ein – „Vielleicht will er ja ein Bild aufhängen.“, denke ich boshaft –, auf der anderen Seite gibt es einen ebenen Vorplatz aus verdichtetem Boden, hier haben sich die Bewohner offenbar eine Grillstelle aus ein paar Steinen und groben Baustahl-Stangen gebaut, dazu kunterbunt zusammengewürfelte Sitzgelegenheiten und Tische, ein paar Bierbänke, Stühle, alte Sessel, alles wahrscheinlich vom Sperrmüll oder so, jedenfalls funktional und irgendwie liebenswert. Hier sitzen andere Männern, alle von ähnlicher Statur wie Marjan, sie blicken mich misstrauisch an. „Das ist …“, hebt Marjan an, mich vorzustellen, um sogleich wieder damit abzubrechen und an mich gewandt zu fragen „Wie heißen Sie eigentlich?“ „Eberhard.“ „Das ist Herr Eberhard, sein Ur-Ur-Großvater war Tunnelbauer aus Slowenien.“ So langsam tauen die Männer auf, Marjan stellt mich jedem einzelnen vor, die meisten sind tatsächlich Slowenen, aber auch Österreicher, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Serben, … ein buntes Völkchen, und deshalb ist die Umgangssprache hier auch Deutsch, als lingua franka, die keiner gut spricht, aber der alle wenigstens etwas mächtig sind. Irgendjemand reicht mir ein kaltes Bier, irgendeine Billigmarke aus der Dose, eigentlich trinke ich gar nichts, wenn ich fahre, aber was soll’s. Offensichtlich bin ich als Gast willkommen, jeder erzählt mir seine Geschichte, von wo er stammt, wie er hier her kam, was er hier nach machen wird, die anderen haben diese Geschichten wohl schon hundert mal gehört, und so bin ich ein gern gesehenes kommunikatives Opfer. Irgendwie sind die Geschichten der Männer alle gleich, große Familien, Eltern Landwirte oder zumindest Nebenewerbs-Landwirte, kräftiger Sohn macht Ausbildung zum Bauarbeiter oder Mineur, manche haben daheim sogar Ingenieur studiert, nur einer, ein Kerl wie ein Bär, ist Magister der Philosophie, daheim dann keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit, schließlich diese Anzeige in der regionalen Zeitung, Bauarbeiter für den Semmering Basis-Tunnel gesucht, holprige Bewerbung, Vorstellung, eingestellt, aber alle nur als einfache Arbeiter, die Vorarbeiter und Ingenieure seien alles Österreicher und Deutsche, erzählen die Männer, aber gute Bezahlung und nicht zu schwere Arbeit – von daheim sind sie da oft andere Arbeitsbedingungen gewohnt – und über Jahre einen sicheren Job, zwar weit weg von der Familie, doch sie schicken fast alles Geld nachhause, für die Kinder, die Eltern, zum Hausbau, zum Landkauf – alle wollen später ein Stück Land bewirtschaften, nicht viel, aber so, dass es für die Familie reicht – als Altersvorsorge, daheim, so sagen sie, seien sie gemachte Männer, wenn sie bis zum Ende der Bauzeit des Tunnels, wahrscheinlich im Jahr 2026, durchhalten. Und es sei nicht immer so harmonisch in ihrer Container-Unterkunft zugegangen, erzählen die Männer, es habe Alkohol-Exzesse gegeben, Diebstähle, Raufereien, verdreckte Klos; aber in einer Art Selbstreinigungsprozess – ich mag mir gar nicht vorstellen, wie er ausgesehen haben mag, dieser ‚Selbstreinigungsprozess‘ – habe man die Säufer, Diebe, Schläger und Schmutzfinken entfernt, und heute sei man hier eine eingespielte und eingeschworene Männer-Gemeinschaft, und ich spüre und sehe, dass dem tatsächlich so ist. Auch ich muss meine Geschichte erzählen, viele Fragen beantworten, immer wieder, ob Scheinasylanten in Deutschland tatsächlich wie die Könige lebten ohne nur einen Finger zu rühren, und was man tun müsse, um in Deutschland Asylant zu werden. Irgendwann fällt mir auf, dass ich alle Duze, andererseits aber alle mich „Herr Eberhard“ nennen und mich Siezen. Als ich das abstellen will, habe ich das Gefühl, dass sich meine Gastgeber etwas zieren – ich weiß nicht, warum, und ich weiß auch nicht, wie man diese Zurückhaltung anders nennen könnte – aber letztendlich klappt es, wenngleich der eine oder andere dann und wann nochmals auf das „Herr Eberhard“ zurückfällt.

Irgendwann füllen zwei der Männer Holzkohle in den provisorischen Grill, gießen reichlich Benzin darüber und entflammen die Holzkohle mit einer riesigen, wahrscheinlich weder ungefährlichen noch gesunden Stichflamme. Später schleppen andere Männer Berge von offensichtlich selbst mariniertem Schweinefleisch in einfachen Plastikkübeln heran, ich sehe Kräuter, Knoblauch, Zwiebeln, Chilis, schwarze Punkte, die hoffentlich Pfeffer sind, Lorbeer in der dicken, öligen, rötlichen Marinade, das Fleisch sind wahrscheinlich Scheiben vom fetten Schweinenacken und Schweinebauch. Nochmals andere Männer stellen Ketchup, Majo, Salz- und Pfefferstreuer, Tabasco, Senf auf die Tische, dazu Berge von einem eigentümlichen Brot, runde Laiber, vielleicht ein dreiviertel oder ein ganzes Pfund schwer, grau-braune, nicht knusprige Krume, innen drin sehr weich und großporig, weder Weiß- noch Graubrot, sondern irgendwas dazwischen, schließlich kommen noch große Becher von verschiedenen Kartoffel-, Kraut-, Nudel-, Couscous-, Budapester-, Farmer- und sonst was für scheußlichen Fertig-Salaten vom Billig-Discounter auf den Tisch, aber sehr vertrauenserweckende, nicht EU-genormte Tomaten, später sehe ich, dass die wackeren Männer diese offenbar selber reichlich an der Sonnenseite ihrer Container-Behausung ziehen. Mir graust vor fettem Fleisch, wenn ich diese glibberige Masse in meinem Maule spüre, wird mir ganz anders, und Fertig-Salate aus dem Plastik-Kübel hasse ich sowieso. Also erkläre ich der Runde, dass ich mich nun aufmachen werde, da man mich in meinem gebuchten Gasthaus erwarte. Dieses Ansinnen wird kollektiv und lautstark zurückgewiesen, schließlich sei ich heute ihr Gast. Nochmals kommt mir der Gedanke von der geklauten Karre in den Sinn, außerdem mache ich mir langsam ernsthafte Sorgen um meine Fahrtüchtigkeit, aber man will ja nicht unhöflich sein und ich kann ja um das Fett herum essen und die Salate weglassen, also rufe ich mein Gasthaus an und künde ein late arrival an, und ich steige konsequent auf Wasser um. Zum  Grillen nehmen die Männer alte, verbogene, verbrannte, sicherlich schon oft genutzte Alu-Grillschalen (unsereins wirft die Dinger nach einmaligem Gebrauch weg), legen sie auf die Stahlstangen und geben die Fleischscheiben dicht an dicht in diese Schalen. Das Grillen dauert gefühlte Ewigkeiten. Gleich zwei Grillmeister sind damit beschäftigt, die Fleischstücke ständig zu beobachten, zu drücken, zu drehen, Schalen an den Rand zu schieben und andere wieder zurück auf die Glut zu ziehen, einzelne Fleischstücke auf andere zu legen, so dass sie nicht mehr so viel Hitze abbekommen, Fleischstücke von der einen in eine andere Schalen zu legen, mir ist nicht klar, was genau die beiden da tun, aber sie scheinen es sehr wohl zu wissen, und das ist ja schon mal gut. Irgendwann sagt einer der Grillmeister „Že končano …gleich fertig“, die Männer nehmen sich Plastikteller, Marjan reicht auch mir einen, nur Besteck sehe ich keines. Die Männer reißen sich große Fetzen von den Brotlaibern ab, meist gleich ein Viertel oder die Hälfte, öffnen die Kübel mit Fertig-Salaten, greifen mit den bloßen Händen einer um den anderen hinein – bei Krautsalat mag das ja noch angehen, aber bei Nudelsalat wird’s echt unappetitlich! – und schaufeln sich Salate auf die Teller, dazu Ketchup, Majo und Senf. Die Grillmeister beginnen sodann, die Früchte ihrer schweißtreibenden Arbeit zu verteilen, „Gost najprej“ ruft Marjan, und da ich sofort drei Stücke Fleisch auf meinen bis auf Brot und Senf leeren Plastikteller – auf die Teilnahme an der Finger-Salat-Orgie habe ich verzichtet – bekomme nehme ich an, das hieß irgendwie, dass ich bevorzugt bedient werden solle. Jetzt sitze ich also ohne Besteck ziemlich ratlos vor drei zerschrumpelten, phantastisch duftenden, lecker aussehenden Fleischscheiben. Abwarten ist in solchen Situationen immer gut, abwarten und schauen, was die anderen tun. Tja, und die anderen nehmen entweder ihre heiße Fleischscheibe mit spitzen Fingern in die Hand, tauchen sie in Ketchup, Majo, Senf, manche geben noch Pfeffer, Salz, Tabasco darüber, beißen beherzt ab und schieben Brot und Salate hinterher, oder sie reißen eine Tasche in ihr Brotstück, stopfen ein oder zwei Fleischscheiben hinein, würzen in besagter Weise, mache geben auch noch Krautsalat darüber und essen es ähnlich wie einen Monster-Döner. Besteck braucht hier wahrlich keiner. Und mit dem letzten Stück Brot wischt man sich sorgfältig die Finger ab und isst es, bevor man sich Nachschub holt. Vorsichtig – um nicht zu sagen zimperlich – nehme ich eine meiner Fleischscheiben und beiße erst pur hinein, immer gewahr, gleich glibberiges, wabbliges Fett im Maule zu verspüren, aber nichts dergleichen geschieht. Das ist einfach nur Fleisch, schieres, leckeres, saftiges, nach Kräutern, Knoblauch, Rauch schmeckendes Fleisch, das gesamte – reichliche – Fett haben die Grillmeister weggegrillt oder in puren Geschmack verwandelt, ich weiß es nicht. Solches extraordinär gutes Grillgut habe ich jedenfalls in meinem Leben noch nicht gegessen, dafür lasse ich jedes Kalbsfilet vom Grill oder anderes stehen. Das sind kulinarische Erfahrungen, die in keinem Reiseführer und in keinem Restaurant Guide stehen und die man auch nicht für Geld kaufen kann. Irgendwann wird dann die erste Flasche Schnaps – Selbstgebrannter von irgendeinem der Männer daheim, ohne Etikett und ohne Zoll-Banderole – aufgemacht, als ich unter Protest ablehne wird mir angeboten, ich könne doch in einem der leeren Container schlafen, Bettzeug sei da. Ich bin zwar nicht aus Zuckerwatte, aber Übernachtung im Baucontainer brauche ich dann doch nicht, auch noch wenn ein schönes Gasthaus auf mich wartet und ich es ohnehin zahlen muss, obwohl ich ganz ehrlich zugeben muss, der Sanitär-Container, den ich verschiedentlich aus zu tiefst menschlichen Gründen aufsuchen musste, war picobello sauber, geputzt, geruchsfrei, da kann sich so manches Restaurant eine Scheibe von abschneiden, so viel fast schon penible Reinlichkeit hätte ich dieser bunten, schlichten Männertruppe niemals zugetraut. Man könne mir auch ein Taxi rufen, legen die Männer nach, und als ich ausweichend entgegne, hier am Lotsenpunkt 14 gäbe es doch gewiss keine Taxis, antwortet mir einer aus der Gruppe mit einer Gegenfrage, nämlich wie ich glaubte, dass die Nutten hierher kämen, vielleicht mit dem Fahrrad. Ich bin perplex, ergebe mich aber in mein Schicksal, wenn die Nutten hier Taxis kriegen, werde ich das wohl auch schaffen. Der Rest des Abends verläuft recht orgiastisch, dieses phantastische Grillfleisch, Brot, Bier, Schnaps, nur von den Fertig-Salaten lasse ich – im wahrsten Sinne des Wortes – die Finger, wir reden, lachen, irgendwann werden die Witze auch zotig, nun gut, die schwarze Alice ist fern, ein Männerabend at it’s best. Bei Einbruch der Dunkelheit dränge ich auf Aufbruch, meine Gastgeber versuchen, mich zum Bleiben zu überreden, irgendwann greift einer dann zur Funke und ordert offensichtlich ein Taxi, das tatsächlich nach 30 Minuten unter dem Schild „Lotsenpunkt 14“ steht. Ich verabschiede mich von allen, ich glaube, das ist tatsächlich gegenseitig herzlich, meine Frage, ob ich finanziell etwas zu dem Abend beisteuern könne wird mit ehrlicher Empörung strikt zurückgewiesen, ich hole meine Tasche aus dem Wagen und schließe das Verdeck, wieder kommt die Idee eines geschickt inszenierten Diebstahls, naja, wenigstens kein Raub, ich steige in mein Taxi, die Männer winken mir nach, ich blicke dösend während der Fahrt auf das langsam im Dunkel verschwindende Alpenpanorama, zahle den Fahrer, nehme meine Tasche, checke im Gasthof ein, nehme noch einen Absacker, dusche lange und ausführlich, ich muss stinken wie ein Räucherofen und ein Schnapsfass, und gleichzeitig fettig sein wie eine Altölwanne und falle in tiefen, langen Schlaf.

Das Frühstück am nächsten Morgen nehme ich lustlos ein, irgendwie bin ich noch voll, packe meine Siebensachen, lasse mir ein Taxi rufen, zahle meine Rechnung, steige in das Taxi und fahre mit doch mulmigem Gefühl zu Lotsenpunkt 14. Verfickte Klischees, verdammte Vorurteile, natürlich steht meine Karre noch da, wo ich sie abgestellt habe, neben den Stahlträgern. Allerdings mit einem Unterschied: sie ist frisch gewaschen. Das ist mir jetzt echt peinlich. Da sind diese Leute so gastfreundlich zu mir, ich verdiene gewiss das zig-fache von den Männern, und die bewirten mich kostenlos, ohne jede Gegenleistung, ohne Vorteil für sich, ohne Hintergedanken, das allein ist schon befremdlich genug, aber dass einer von ihnen – ich tippe auf Marjan – auch noch kostenlos mein mitten im Schlamm stehendes Auto wäscht, das wird dann schon peinlich für mich. Ich stapfe zu den Containern rüber, keiner da, alles fest verschlossen. Auf einen Zettel schreibe ich „Vielen, vielen Dank, es war ein großartiger Abend, Eberhard“ und klemme ihn an eine der Türen. Eine meiner bis dato unerschütterlichen und nie widerlegten Lebensweisheiten war „There’s nothing like a free lunch.“ Nun gut, die Männer von Lotsenpunkt 14 haben diese Lebensweisheit aber sowas von gehörig widerlegt! Auf der Weiterfahrt überlege ich, ob ich zum örtlichen Getränkehändler gehen und den Männern von Lotsenpunkt 14 eine Palette Bier oder so schicken lassen sollte. Ich verwerfe den Gedanken bald wieder, ich glaube, damit würde ich meine Gastgeber im Nachhinein beleidigen. Sie haben das Wenige – aber teils Köstliche – das sie haben, gerne mit mir geteilt, und das auf Augenhöhe. Wenn ich ihnen jetzt eine Palette Bier schicke, dann würde ich sie quasi zahlen, die Augenhöhe wäre mit einem Schlag weg, ich hätte sie zu bezahlten Dienstleistern degradiert. Das wäre falsch. Also nehme ich von diesem phantastischen Abend eine Schuld mit, eine Schuld, die ich irgendwann, irgendwo, bei irgendwem einmal einlösen muss, indem ich ohne Hintergedanken und Vorteil zu einem Fremden gastfreundlich bin, … und diese Schuld damit weiter reiche, an meinen Gast.

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