Lavie & LePetit in Jever: Entwaffnend ehrlich

Summa summarum: uriges, sehr rustikales Provinz-Pub in bester Innenstadt-Lage von Jever, riesige, Convenience-schwangere Speisekarte mit über 100 Gerichten, was Tiefkühler, Kühlung und Bottiche an Tex-Mex-, Italien-, Spain- und American-Fertiggerichten oder Vorprodukten hergeben, aber Laden brummt, die Stimmung ist bestens, die Bedienungen sind freundlich und flott, das Jever ist frisch und gut gezapft und ausgesprochen süffig

Eigentlich, eigentlich kriege ich ja immer grüne Tupfen im Gesicht und massive Fluchtreflexe, wenn ich irgendwo Convenience auch nur wittere. Nicht, dass mich das Lavie & LePetit in Jever eines Besseren belehrt hätte, auch dort sind die Convenience-Gerichte für mich ungenießbar, aber das Lavie & LePetit bietet das Zeugs mit einer derartigen Chuzpe und in einer derartigen schieren Menge an, dass das schon fast wieder bewundernswert ist.

Gelegen in bester Innenstadt-Lage in Jever am Alten Markt, quasi vis-à-vis des Schlosses, gibt sich das Lavie & LePetit als ziemlich typisches Provinz-Pub, nur vorne eine kleine Fensterfront, dahinter ein langer, dunkler, holzvertäfelter, nicht allzu großer, schlauchförmiger Gastraum, Sitznischen, bewusst rustikale, alte Möbel, viele alte Bilder an den Wänden, Dartscheibe, Dekotinnef, wuchtiger Tresen, vor dem Haus ein großer Freisitz mit grob zusammengezimmerten Tischen und Sitzgelegenheiten, auf Schicki-Micky macht dieser Laden bestimmt nicht. Vielmehr definiert er sich selber als „LOUNGE – ERLBENISGASTRONOMIE – DISCOTHEK – COCKTAIL – SKY SPORTSBAR – TAPAS – FINGERFOODBAR“, ganz schön viel für ein so relativ kleines Etablissement, dazu erhebt man den Anspruch auf „die geilste Mucke in Friesland“ und „die Geilste Party im Norden“. So selbstbewusst gibt sich auch die Karte, ich zähle weit über 100 verschiedene Positionen nur an Speisen, eine Vielfalt, die keine Küche seriös selbstgemacht liefern kann. Brote, Salate, Nachos, Burritos, Tacos, Tapas, Baguettes, Sandwiches (darunter so exquisite Kreationen wie 4 Sandwich Toasts, Kochschinken, 200g Angus, Avaocadocreme, Tomate, Gurke, Gouda Käse, Cheddar Cheese, 4x Bacon, Spiegelei), Spareribs, Chili, der heutzutage unvermeidliche Flammenkuchen, natürlich jede Menge Burger (mein Nightmare-Favour ist der HOLY MACARONI: Baconsauce, Blattsalate, Tomate, Gurke, Speckwürfel, gegrillte Zwiebel, Macaroni, Angus Beef (200g), warme Käsesauce), das übliche, meist frittierte Fingerfood, Steaks, Desserts (u.a. Mars, Snickers, Bounty, Milky Way frittiert in einem hausgemachten Bierteig) und so manches andere. Ich meine, so eine Speisekarte spricht für sich selbst und bedarf keiner weiteren Kommentare. Die überbackenen Nachos, die gefüllten Tacos und die Spareribs, die wir der Not gehorchend (das ist eine ganz andere, lange Geschichte) probiert haben, erfüllten die Erwartungen perfekt; allein das Rumpsteak war ganz ok, gutes Fleisch, nur leider totgebraten, die Ofenkartoffel mit Sour Creme dazu nach meinem Geschmack wieder Convenience.

Aber, ABER: der Laden brummt, im Spätsommer sind nur noch wenige Touristen in Jever, doch die Einheimischen, jung wie alt, geben sich hier die Klinke in die Hand, Handwerker in Kluft verschlingen des Mittags Hamburger, Mädels sitzen zum Plausch beim Cappu in der Nachtmittagssonne, zur Happy Hour von 17:00 bis 20:00 Uhr (1/2 Liter jeden Cocktails für 8,00 EURO) stellt sich eine bunte Schar ein, ältere Herrschaften nehmen ein leichtes Abendessen aus Tapas und Hugo oder Aperol Spritz ein, Männerrunden granteln oder grölen beim Feierabendbier, ich mag mit gar nicht ausmalen, was hier jeden Samstag von 21:00 bis 03:00 Uhr los ist, wenn die Resident DJs Eddie Edition, DJ Lucky und Mr. Mix „Disco, Disco, Disco“ veranstalten.

Und die Bedienungen im Lavie & LePetit sind allesamt freundlich, flott, nett, aufmerksam, selbst wenn sie zuweilen im Laufschritt unterwegs sind. Das Lavie & LePetit ist sogar eines der wenigen Lokale, wo man den Friesengeist noch mit dem obligatorischen Sprüchlein serviert bekommt, weiland eine Selbstverständlichkeit, heute eine absolute Seltenheit.

Das Friesengeist-Sprüchlein: Friesengeist ist sowas wie die ostfriesische National-Spirituose, obwohl er erst in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts von dem ostfriesischen Gastwirt Johann Eschens erfunden wurde. Er besteht aus 56-prozentigem Kornschnaps, heimischen Kräutern, Fruchtauszügen und viel Zucker und ist gar nicht mal unlecker. Im Gegensatz zum Korn wird der Friesengeist traditionell nicht kalt, sondern lauwarm getrunken. Dazu wird der Geist bei Tisch im Schnapsglas angezündet, brennt eine kurze Weile, wird dadurch warm und verliert einige Volumenprozente, wird dann mit einem kleinen Kupferpfännchen gelöscht und lauwarm auf ex getrunken. Und hier kommt das Friesengeist-Sprüchlein in’s Spiel. Es lautet „Wie Irrlicht im Moor, flackert's empor, lösch aus, trink aus, genieße leise auf echte Friesenweise, den Friesen zur Ehr vom Friesengeist mehr.“ Dieses Sprüchlein soll die Servicekraft nach dem Entzünden des Schnapses laut bei Tisch aufsagen und das Feuer sodann sofort durch Auflegen des Kupferpfännchens wieder löschen. Jenseits des folkloristischen Habitus hat diese Prozedur einen ganz pragmatischen Grund: in der Zeitspanne, die man zum Aufsagen des Sprüchleins braucht, erreicht der brennende Geist exakt seine Trinktemperatur ohne – OHNE! – dass der Rand des Trinkglases so heiß wird, dass man sich beim Exen die Lippe verbrennt. Bei allem Pragmatismus und aller Folklore, es kann durchaus in‘s Peinliche oder Lächerliche abgleiten, wenn ein gestandener ostfriesischer Kellner oder eine Kellnerin mit starkem osteuropäischem Akzent vor zwei Touristen aus Bayern in Sandalen mit Socken diesen Spruch aufsagt.

Lavie & LePetit Jever
Alexander Hasberg
Alter Markt 2
D – 26441 Jever
Tel.: +49 (44 61) 7 47 92 87
E-Mail: info@lavie-jever.de
Online: https://lavie-jever.de/

Hauptgerichte von 9,90 € (Sandwich mit Hackfleisch, Käse, Gemüse, Ketchup, dazu Pommes) bis 74,90 € (Tomahawk Steak 1000g mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 21,90 € bis 103,30 €

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