Summa summarum: unprätentiöses, unaufgeregtes, einfaches und doch gemütliches bürgerliches Restaurant mit einer handwerklich perfekt gemachten, traditionellen, schlichten, typisch schwäbischen Küche (fast) ohne Kniefall vor einem vermeintlichen Zeitgeist in einem hübschen, alten Städtchen in der schwäbischen Provinz
Es gibt Lokalitäten, da kommt zuerst einmal die Story, da erzählen SEO-optimierte Hochglanz-Webpages Mären von bio und zero miles, von Ausnahmekoch, bei weist’e nicht wem gelernt und weist’e nicht von wem mit weist’e nicht was alles ausgezeichnet, oder auch die from zero to hero Ochsentour-Geschichte der sich stets redlich mühenden Küchen-Koryphäe, von innovativ-kreativ oder Fusion und kulinarischem Weltbürgertum oder auch bodenständig-traditionsbewusst in der 99. Generation im Familienbesitz und diese ganzen altbekannten, immer wieder wie einen sauer gewordenen Eintopf aufgewärmten und verfütterten Standard-Narrative, dankbar aufgenommen von einer Food-Mafia-Journaille, die die unkritische Reproduktion dieser Geschichten dann als eigene Recherche ausgibt, ungleich dankbarer aufgenommen von einer solventen Gästeschar, die zwar von gutem Essen reichlich wenig Ahnung hat, aber bei solch schönen Geschichten muss die Küche ja gut und ihr Geld allemal wert sein, vermeint die versammelte Schwarmdummheit. Man kennt all dies; und meist entspringt es der Feder (bzw. Tastatur) irgendeines Kommunikations-Fuzzies, dem Gastronomie, Kochkunst und vor allem die Wahrheit reichlich schnurz-piep-egal sind, aber der gleißende, blendende Narrative quasi als creatio ex nihilo konstruieren und verbreiten kann.
Dem entgegen es gibt jedoch auch Lokalitäten, die sind einfach nur, die kochen einfach nur, die bewirten einfach nur Gäste. Die meiste dieser unvermarkteten Lokalitäten sind schlichtweg Kneipen, die es weder nötig noch das Geld dafür haben, die Welt mit irgendwelchen Marketing-Mären zu kontaminieren, sie laufen irgendwie mit Stamm- und Laufpublikum unter dem Radar der kollektiven medialen Wahrnehmung und kommen irgendwie klar damit. Es sei ihnen gegönnt. Lieber einen EURO in frisches Frittierfett investiert als in einen verlogenen Marketing- oder Webauftritt, der lediglich neue Kunden anzieht, die unzufrieden (oder geblendet) wieder gehen. Aber unter diesen unvermarkteten Lokalitäten gibt es bis heute Solitäre, die tatsächlich herausragend kochen, ohne, dass irgendwer viel Aufhebens darüber machte. Generell zieht es die Spesen-gepimperte Food-Journaille eher in die Hochgastronomie (wenn der Verlag denn schon mal zahlt, dann auch für was richtig Feines, und welche spätere Werbeeinnahmen sollte man in einer Gesamt-Kosten-Nutzen-Rechnung nach einem positiven Artikel schon von einem Frittenbudenbesitzer erwarten?), und wenn nicht Hochgastronomie, so zumindest irgendwas Zeitgeistiges, Nobel-Burger sind da schon wieder out (kein Wunder, ein überflüssiges futtertechnisches Strohfeuer), Bowl ist eines der aktuellen Trendschweine, das durch’s kollektive kulinarische Dorf getrieben wird, vor allem im Epizentrum der Schwachsinnigkeit und Dekadenz an der Spree.
Lange, verärgerte, pauschalkritische Vorrede, dabei will ich doch auf das Gasthaus Lamm in Wangen im Allgäu hinaus, einer dieser Solitäre, wo ohne viel Aufhebens einfach nur gut gekocht wird. Die Altstadt von Wangen ist hübsch, sehr hübsch, und allemal einen Tagesausflug wert (mehr als einen Tag sight seeing gibt das Städtchen allerdings nicht her, danach ist man durch). Frühstück, besser eine Vesper sollte man unbedingt im Fidelisbäck einnehmen (sofern man einen Platz bekommt). Übernachten kann man halbwegs nett in der Blauen Traube oder in der Mohrenpost, allerding würde ich in keinem der beiden Häuser heute mehr essen wollen (vor 25 Jahren war das noch ganz anders, aber nichts währt ewig), die Alte Post könnte noch hübsch sein, befindet sich aber aus meiner Sicht irgendwo zwischen Agonie und Todeskampf. Die eindeutig erste kulinarische Wahl in Wangen ist für mich seit Jahren das Lamm. Von außen ist es ein unscheinbares Gasthaus mitten in der Altstadt, gelbe Fassade, links und rechts vom Eingang zwei Fenster mit Blumenkästen, im Sommer Tische vor dem Haus auf der Straße, innen drinnen zwei Gasträume tief in’s Haus hinein, halbwegs Tageslicht bekommen nur die Fensterplätze, so dass auch am Tage die robusten, wuchtigen Lampen aus Gusseisen und weißem Glas brennen, rote, robuste Fliese am Boden, Wirtshausmöbel ebenfalls robust und wuchtig, freiliegende Holzbalken an der Decke, teilweise holzverkleidete Wände, daran ein Kreuz, außer ein paar Pokalen und alten Bierkrügen in zwei Vitrinen kein Deko-Kitsch, aber kleine, artige Blumen auf jedem Tisch, früher gab es rot-weiß karierte Oberdecken auf den Tischen, heute sind sie gänzlich blank: das Alles ist urig-gemütlich, so geht Wirtshaus, das ganz sich selber genügt, das nicht mehr sein will und vor allem, das nicht weniger ist. Das Publikum in dem gut besuchten, aber nicht überfüllten Restaurant ist ganz entspannt im Hier und Jetzt, von der Sportvereins-Runde und jungen Pärchen über Familien und Stammtische bis zu Omma und Oppa hocken hier alle einträchtig an den Tischen, herausgeputzte Gecken gibt es ebenso wenig wie übermäßig angereiste Stadtfräcke (wie ich einer bin), vom Studenten und Lehrling über den Arbeiter, Handwerker, Notar bis zum Lehrer und Rentner dürften hier sehr breiter Querschnitt der Bevölkerung vertreten sein. Die Bedienungen sind flott, freundlich, nicht nur tadellos, sondern vielmehr lobenswert. Es gibt süffige Härle-Biere aus dem benachbarten Leutkirch und eine kleine, eher bescheidene Weinkarte vorwiegend mit Weinen vom Bodensee, aus Franken und Baden, ein paar Italiener. Der Chef, Franz Christberger, kocht selber. Seine Speisekarte könnte schwäbischer nicht sein. Alles ist nicht haus- sondern selbstgemacht, ein kleiner, aber feiner Unterschied. Da finden sich Gaisburger Marsch, Flädle- oder Leberspätzlesuppe, Maultaschen, Krautkrapfen, Geschlagene (so nennt man im Schwäbischen feine helle Bratwürste ohne Pelle, man bezeichnet sie auch als Leichenfinger), Saure Linsen mit Saiten, Kässpätzle, Saure Kutteln mit Bratkartoffeln, Zwiebelostbraten, allerlei Kurzgebratenes vom Schnitzel über die Lende bis zum Schweinsbäckle, gesottener Tafelspitz, ein paar Fischlein (leider nicht frisch vom nahen Bodensee), dazu wohlfeile Brotzeiten wie Wurstsalat, der gefürchtete Lumpensalat (Schwarzwurst mit Romadur und Zwiebeln) oder gebackener Camembert, schließlich eine kleine, feine Dessertkarte mit Kreztada (die badische Version des Kaiserschmarrens), Nonnenfürzle oder Apfelküchle. Lediglich der Allgäu Wok (kurz gebratene Rinderstreifen mit Zwiebeln, Tomate, Champignon, Essiggurke, Spätzle), die Putenflädle (gebratene Putenstreifen, Eissalat, Tomate, Zaziki) und die Cevapcici passen nicht so recht in dieses traditionell schwäbische kulinarische Idyll, aber wenigstens gibt es keinen Schwaben-Burger.
Was da dann auf den Tisch kommt, ist richtig gute, mit Können und Liebe zubereitete regionale Hausmannkost ohne Schnörkel und Tand, eine authentische Fundgrube für jeden Food-Ethnologen und ein Schlaraffenland für jeden Liebhaber echter schwäbischer Küche, jedoch (zum Glück) gänzlich ungeeignet für jedwede Trendsetter, Moden-Hinterherhechler und Angeber.
Der Gaisburger Marsch vorweg besticht durch knackige, auf den Punkt gegarte Kartoffel- und Möhrenwürfelchen, selbst der Porree ist nicht matschig-zerkocht, die Siedefleisch-Fetzen akribisch filetiert ohne ein Fitzelchen Fett, die Spätzle selbstgemacht, nur die Brühe könnte etwas kräftiger sein (was vielleicht auch meinem Geschmacksverstärker-geschädigten Gaumen liegen mag, natürlich wäre es heute ein Leichtes, eine richtig kräftig schmeckende Brühe mit den entsprechenden Mittelchen aus den Küchen des Teufels hinzupfuschen). Danach Saure Linsen mit Saiten (so nennt man im Schwäbischen Frankfurter bzw. Wiener Würstchen) und Spätzle: die Linsen – ich tippe auf echte Alb-Linsen – noch leicht knackig, tadellose Einbrenne, für meinen Geschmack etwas zu wenig Salz, Lorbeer und Essig, tadellose Saite und frische Spätzle, wohl aus einer dieser elektrischen Spätzlemaschinen, aber es muss ja nichts schlechtes sein, wenn der Koch hier Zeit und Muskelkraft spart, solange die Spätzle nur gut sind. Und bei dem Durchsatz an Spätzle in dem Lokal während eines ganzen Abends bräuchte es wahrscheinlich als Alternative wenigstens ein, zwei Beiköche, die nichts anderes tun, als Spätzle vom Brett zu schaben, und auch die wollen über die Speisepreise bezahlt sein. Die Maultaschen hervorragend, jede leicht anders geformt (also wohl auch selbst von Hand gemacht), darauf frisch sautierte, leicht gebräunte Zwiebelringe, ein herrlich schlorziger Schwäbischer Kartoffelsalat, ein wenig Brühe, keine – wie sonst so oft, leider – braune Instant-Bratensauce: alles hervorragend. Wenn man bedenkt, welch manueller Arbeitsaufwand allein im Kartoffel kochen, pellen, schnippeln, im Füllung und Nudelteig herstellen, Maultaschen füllen, formen und abkochen, im Zwiebeln pellen, schneiden, frisch sautieren steckt, so kann es dieses scheinbar so einfache Gericht vom Arbeitsaufwand her mit jedem Nobelfresschen aufnehmen, in der Zeit, in der man abgeschmälzte Maultaschen mit Kartoffelsalat herstellt, kann man 10 dry-aged Kobe-Filetsteaks und 30 Tiger-Prawns über den Grill ziehen, hübsch anrichten und ausdekorieren. Einfach und doch hervorragend die Nonnenfürzle zu Dessert: heiße, außen knusprige, innen fluffige kleine Brandteigkrapfen, frisch in gutem Fett ausgebacken, mit Zucker und Zimt bestreut, dazu ein wenig sämiges Zwetschgenkompott, eine Kugel gutes Vanilleeis vom Bauern und ein dicker Sahnetupfer, da werden Kindheitserinnerungen wach.
Das Essen im Lamm in Wangen macht richtig Spaß.
Gasthaus Lamm
Franz Christberger
Bindstraße 60
88239 Wangen im Allgäu
Telefon: +49 (75 22) 66 75
Telefax: +49 (75 22) 35 07
E-Mail: franz.christberger@lamm-wangen.de
Online: www.lamm-wangen.de
Hauptgerichte von 9,80 € (Käseomelette mit Salat) bis 23,80 € (Zwiebelrostbraten, Spätzle, Salat), Drei-Gänge-Menue von 18,60 € bis 39,10 €