Kulinarischer Irrwisch: „Der Schwälmer“ oder so ähnlich …

„Krabbencocktail Toast und Butter 1-5-8-10“, „Cevappcici mit Curryreis und Salat angarniert 7-9“, „Weckewerk in Butter gebraten mit Röstzwiebeln, Kartoffelpüree und gemischter Salat 4-5-7“, „Putengeschnetzeltes ‚Indische Art‘ mit Früchten Wildreis und gemischter Salatteller 1-7“, „Nordseescholle ‚Finkenwerder Art‘ mit Bratkartoffeln und Salat 4“, „Maultaschen mit Käsesauce und gem. Salatteller 1-4-7“: welcher kulinarische Irrwisch beim Zusammenstellen der Speisekarte hier am Werk gewesen sein mag, mag man sich hier wahrlich fragen. Dies – und all die anderen Grausamkeiten auf dieser Speisekarte – klingt nach allen Köstlichkeiten, die Tiefkühltruhe, Konservendose und Convenience-Lieferanten nur aufbieten können. Und das in einer Dorfwirtschaft mitten in der tiefsten Schwalm, „Der Schwälmer“ oder so ähnlich nennt sich dieser Hort kulinarischer Kotzlichkeiten. Was mich immer wieder verwundert ist die Tatsache, dass da Leute drinnen sitzen, die das wirklich essen, offensichtlich keine durchreisenden Touristenbusse, sondern Eingeborene, die doch wissen sollten, wo es in der Gegend richtiges Essen gibt. Aber nein, sie futtern sich tatsächlich freiwillig einmal durch die Convenience-Liste. Vielleicht liegt es ja an mir. Oder da steht tatsächlich jemand schwitzend, in der Küche, formt und brutzelt frische Cevappcici (Aber warum dann Curryreis, wo im ehemaligen Jugoslawien gibt es Curryreis? Djuwetsch ist das traditionelle lokale Reisgericht.), schuppt eine der frisch gelieferten Schollen, nimmt sie fachgerecht aus, wirft sie in schäumende Butter, schippelt gekochte Kartoffeln und macht die Bratkartoffeln dazu, während er parallel frische Kartoffeln für den Kartoffelbrei zum Weckewerk kocht und den Nudelteig für die Maultaschen walkt … Haha, und in der Hölle schneit’s.

 

P.S. Als gebürtiger Nordhesse (nein Luc, nicht niederträchtiger Niedersachse) muss ich hier noch eine ganz besondere Anmerkung machen: Weckewerk ist eine nordhessische Spezialität, um nicht zu sagen Kuriosität, (oder Resteverwertung), die beim Schweine-Schlachten aus gekochten Schwarten, Gehacktem, Fleisch- oder Wurstbrühe, zuweilen auch gekochten Fleischstücken, Blut,  Innereien und – zum Strecken – altbackenen Brötchen sowie Salz, Pfeffer, Majoran, regional auch mit Zwiebeln, Kümmel, Nelkenpfeffer und Knoblauch hergestellt wird. Das alles wird bis zur Unkenntlichkeit (und das ist gut so, um einen gewissen rot-schwulen Flughafen-Verbaseler zu bemühen) durch den Fleischwolf gedreht und ergibt Weckewerk, eine braun-graue, grieslige, fette, etwas an Stuhl erinnernde, aber sehr kräftig nach Fleisch schmeckende Masse, welche entweder frisch beim Schlachtefest serviert oder in Dosen und Därmen haltbar gemacht wird. Dazu gibt es traditionell Salzkartoffeln und saure Gurken, zuweilen auch Sauerkraut oder Rote Bete. Jetzt noch die unentbehrliche nordhessische Anekdote (Apropos nordhessische Anekdote: wer weiß heute noch, dass die Gebrüder Grimm die meisten ihrer Volksmärchen in Nordhessen an den Herden alter Bäuerinnen gesammelt haben, und dass das Dornröschen-Schloss einen echten historischen Hintergrund hat und in Nordhessen im Reinhardswald steht?): Weckewerk „nach Bürgermeisterart“ ist sehr dunkel in der Pfanne gebräuntes, eigentlich schon angebranntes Weckewerk, und das heißt so, weil der ehemalige Oberbürgermeister von Kassel, Philipp Scheidemann Weckewerk fast angebrannt gemocht haben soll. Aber, um auf den eigentlichen Grund dieses post scriptums zurückzukommen: „Weckewerk in Butter gebraten“, das ist so etwas wie „Strohrum mit reinem Alkohol verlängert“ oder „Butter in Pflanzenöl frittiert“. Ich musste Weckewerk in meiner Jugend essen (die Zeiten waren hart damals), und Weckewerk mit Butter zu vermischen, das ist selbst für den abgedrehtesten Fett-Junky zu viel.

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2 Comments

  1. Reinhard Daab

    Lieber Hr. Opl,

    im Klopfen von Sprüchen gehören Sie sicher zu den Großen, jedoch wenn schon, dann sollten Sie zumindest wissen, dass es an Schollen nichts zu schuppen gibt!

    „schuppt eine der frisch gelieferten Schollen“

    Weiterhin stellt sich die Frage, weshalb Sie eine derartig billige Abfüllstation mit solcher Kritik bedenken.

    Viele Grüße
    R. Daab

  2. Lieber Herr Daab,
    mit der Zubereitung von Meeresgetier habe ich es nicht so, daher Danke für den Hinweis, dass man Schollen nicht schuppt, wusste ich tatsächlich nicht, aber mir ging es vor allem um den Stabreim. Und warum ich diese – wie Sie so treffend schreiben – „billige Abfüllstation“ erwähne ist allein die Hoffnung, dass der Ein oder Andere in Zukunft beim Lesen einer – ähnlichen, vielleicht auch nicht ganz so schlimmen – Speisekarte das Nachdenken anfängt und ein anderes Lokal wählt. Aber allein der kulinarische Abgrund, der sich alldorten auftut, sollte einer Würdigung wert sein.
    Weiterhin viel Spaß beim Lesen des Geklopften,
    Beste Grüße
    E. Opl

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