Irgendjemand muss die Klatsche ja abkriegen… oder suspekte saure Linsen

Alles scheint, wie es sein muss: die Gaststube ist sauber, alter Kachelofen, grobschlächtige massive Brauereimöbel, gefliester Boden, viel Holzverkleidung, lange Theke, offene Küchendurchreiche, Sprossenfenster, alles etwas düster, aber warm und heimelig, karierte Tischdecken, eine für ihr Körpergewicht überraschend flinke, freundliche Bedienung mit breitestem schwäbischem Akzent, eine durch und durch schwäbische Speisekarte mit Flädlesuppe, Brotsuppe, Zwiebelrostbraten, Filettöpfchen, Rahmschnitzel, Wurstsalat, die Crevetten und die hausgemachten Nudeln mögen als Speiseopfer an die kulinarische Internationale gewertet werden, Meckatzer- und Farny-Biere vom Fass, durchweg moderate Preise, mal schweigsame, mal lauthals in ihrem unverkennbaren Idiom plappernde Grüppchen von Eingeborenen samt erfreulich vielen Kinder beim Spachteln was das Zeugs hält an den Tischen, etwaige Reste werden wie selbstverständlich –ganz Schwaben halt – für daheim eingepackt, so – denkt sich der Durchreisende – muss Schwäbisches Dorfgasthaus, hier bei Silvia Dölker und Tobias Kretzschmar im Landhotel Zum Hasen im Bad Saulgauer Ortsteil Renhardsweiler.

So weit, so gut. Die Portion Saure Linsen mit hausgemachten Spätzle und Saitenwürstchen kostet keine 10 EURO und könnte in der Stadt einen Asketen-Stammtisch mehrere Tage lang ernähren. Die Spätzle sind tatsächlich selbst gemacht, kernig-fluffig, leicht in Butter geschwenkt, die Saitenwürstchen richtig gut, ganz leicht geräuchert, knackig, ok, der Speck fehlt, aber ich werde auch so satt. Für die Sauren Linsen wurden die kleinen Berg- bzw. Alblinsen hergenommen, und hier fange ich schon an, mit mir zu hadern. Wahrscheinlich sind die Alblinsen – früher aus wohlfeilem heimischem Anbau, heute kosten sie ein Vielfaches der gemeinen Tellerlinsen aus den USA, Kanada oder der Türkei aus industrieller Massenproduktion – sogar tatsächlich die traditionelle Linsensorte, aus der dieses Gericht weiland – von unseren Groß- und Urgroßmüttern – gekocht wurde; dennoch kenne ich aus meiner Jugend Saure Linsen, dieses typische Armeleute-Essen, nur aus Tellerlinsen, Alblinsen gab es früher sowieso kaum zu kaufen. Dann fehlt das Gemüse – Brunoise von Möhren, Knollensellerie, Petersilienwurzel – bei den Sauren Linsen, das ist einfach nur eine sämige bis schleimige Linsenmasse, auch von der Bindung durch eine Einbrenne, gar einer Einbrenne mit Speck und Zwiebelchen ist nichts zu sehen oder zu schmecken. Um ehrlich zu sein, dass könnte auch eine Dose vorgekochter Linsen sein, deren Dosenflüssigkeit kurz mit Mondamin oder so gebunden, aufgekocht und dann gewürzt wurde. Und schließlich, das ist der Gipfel des Aufregers überhaupt: das Zeugs wurde mit einem gehörigen Schuss Balsamico-Essig-Creme-Imitat-Industrie-Verschnitt süß-sauer abgeschmeckt. Man mag heutzutage darüber streiten, ob echte Saure Linsen mit Alb- oder mit Tellerlinsen zubereitet werden, dass es vor 25, 50, 100 Jahren keinen Balsamico-Essig (oder industrielles Balsamico-Essig-Imitat) in Schwaben gab, das steht ja nun außer Frage. Und dass Saure Linsen säuerlich zu schmecken haben, und nicht etwa süß-sauer, das ist zumindest für mich auch Fakt.

Was da in den letzten Jahren immer mehr scheinbar urige, ursprüngliche schwäbische Wirte als Saure Linsen anbieten – Alblinsen, keine Brunoise, keine Mehlschwitze, süß-sauer abgeschmeckt, schleimig in der Konsistenz, immer wieder überraschend homogen in Geschmack, Geruch, Textur – das lässt einen ganz schlimmen Verdacht im mir aufkommen. Auf den einschlägigen Convenience-Anbieter-Seiten habe ich noch keine Fertig-Saure-Linsen im 10-Liter-Bottich oder in vorgefertigten Einzelportionen im Dutzend gefunden. Aber vielleicht hat ja jemand einen Tipp, wo man den Dreck finden und käuflich erwerben kann, damit man mal eine Vergleichs-Verkostung vornehmen könnte …

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3 Comments

  1. Reinhard Daab

    Lieber Hr. Opl,

    ich versuche Sie zu verstehen, aber schauen Sie einmal bei Google Maps nach, da werden Sie feststellen, dass die meisten alles sehr gut finden. Und nun?

  2. Klar, und wir alle gehen da essen, wo’s die höchsten tripadvisor-Bewertungen gibt, von diesen ausgewiesenen, unbestechlichen Fachleuten in Sachen guter Geschmack. Erinnert ein wenig an den alten 68er Sponti-Spruch: „Leute, fresst Scheiße! Eine Milliarde Schmeißfliegen können sich nicht irren!“

  3. Reinhard Daab

    Wahrscheinlich sind die Alblinsen – früher aus wohlfeilem heimischem Anbau, heute kosten sie ein Vielfaches.

    Ich hatte mir mal solch eine 500 gr. Packung der sog. Alb-Leisa gekauft, die Packung kostet 6,50€. Früher hatte ich immer sehr gerne die Puy-Linsen genommen. Bei diesen Linsen-Sorten hat man den großen Vorteil der recht kurzen Garzeiten, außerdem schmecken sie besser. Natürlich gab es früher in Deutschland keinen Aceto Balsamico di Modena, aber besser als irgendein ordinärer normaler Essig ist er allemal! Obwohl man bei Balsamico auch auf Qualität achten muß, denn es gibt sehr billiges Zeug, was mit dem eigentlichen Produkt nichts mehr zu tun hat.

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