Hafencity Gin: nicht schlecht, aber völlig ungeeignet für einen Martini-Cocktail

Ich bin ein wenig spät dran, seit 2017 gibt es den Hafencity Gin aus Hamburg. Ich habe heute die Bottle 69 aus dem 28. Batch. Die Geschichte (jeder Gin braucht heute eine Geschichte, sonst hat er keine Chance, die meisten kaufen eh nur ein image, eine value preposition, ein Statussymbol, keinen guten Geschmack) ist erfrischend ehrlich. Artdirektor macht Destillateur-Workshop, ist enthusiasmiert von den Möglichkeiten des Destillierens, kauft sich eine kleine Destille und fängt das Rumprobieren an; irgendwann findet er das Ergebnis gut, stellt es seinen Freunden in einer Bar Namens 20457 vor, die sind begeistert, Artdirektor macht sich auf die Suche nach einer geeigneten professionellen Brennerei, erlebt viele Fehlschläge, findet schließlich eine kleine Obstbrennerei auf dem Lande mit Holstein-Blase, die seine Vorstellungen hinbekommt, kalt mazeriert und vierfach gebrannt, 41 Volumenprozente, Respekt, so viel Arbeit machen sich Newcomer selten bei Gin (da ist die Story wichtiger), dann die üblichen Geschichten vom heimischen Wohnzimmer und handbeklebten Flaschen, aber der Gin macht seinen Weg. Die – nennen wir es – Idee dieses Gins ist „Tor zur Welt“, Hamburger Hafencity, jener uralte, neu belebte Stadtteil, den die Politiker, Stadtplaner, Investoren, Reichen, Kreativen, Hippen, Touristen, Kulturpilger komplett gentrifiziert haben (und sich dabei gut fühlen), und über dieses Tor zur Welt kamen weiland halt auch Gewürzte aus fremden Ländern in’s Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Also bestimmen exotische Gewürze den Charakter des Hafencity-Gins: Kafirlimettenblätter, Orangenschale, Koriandersamen, Marokkanische Minze, Muskatnuss, Kubenpfeffer, Ingwer, dazu heimische Kamille und Engelswurz und die üblichen „geheimen Botanicals“. Was dabei herauskommt, kann sich sehen bzw. schmecken lassen, der Wachholder bleibt hier zwar geschmacklich gänzlich auf der Strecke, aber ansonsten ein milder, sehr aromenreicher Gin, quasi eine Geschmacksexplosion im Maule, ausgesprochen mild, facettenreich, mit einer deutlich pfefferigen Note, insgesamt geht er – obwohl London Dry (ich persönlich würde ihn eher als New Western klassifizieren) – für mich schon mehr in Richtung Likör. Für einen Martini Cocktail ist dieser Hafencity Gin vollkommen ungeeignet, da verpufft das Zusammenspiel der Aromen einfach in der Kälte. Pur, ungekühlt, als Shortdrink kann er es hingegen mit so manchem Whisky oder Obstbrand aufnehmen, das macht Spaß. Für 70 EURO den Liter bewegt sich der Gin noch im erträglichen mittleren Preissegment. Also, Chapeau, Herr René Wolf. Diversifikation tut Not für den wirtschaftlichen Erfolg, also gibt’s den Gin auch als Navy Strength und aus dem Barrique, die werde ich bestimmt mal probieren.

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