Essen in USA (10/19): Keens Steakhouse

Hotel, Dusche, Nickerchen, Caro brezelt sich auf, ich begnüge mich mit einer frischen Unterhose und viel Parfum, Vorglühen in der Dachbar des Archers (erwähnte ich bereits, dass die wirklich nett ist?), kurz vor Neun die Fünf Minuten zu Fuß von der 38ten in die 36te, zu Keens Steakhouse. Eigentlich geht man als guter Tourist von Stand in Gallaghers Steakhouse (228 West 52nd Street) um authentische New Yorker Küche und authentisches New Yorker White Upper Class Leben zu erleben. Aber in den letzten Jahrzehnten ist es immer überlaufener, voller, un-authentischer geworden, ich habe den Eindruck, Einheimische trifft man dort kaum noch, aber es dürfte keinen New Yorker Reiseführer geben, in dem das Gallaghers nicht als Inbegriff der New Yorker Gastronomie genannt wird. Deshalb haben Caro und ich uns entschlossen, diesmal etwas anderes auszuprobieren, eben Keens Steakhouse, älter als das Gallahers, hoffentlich nicht so Touri-überlaufen und außerdem quasi um die Ecke vom Archers. Vor dem Eingang zu Keens Steakhouse eine beachtliche Schlange Wartender ohne Reservierung (diese Deppen), wir gehen mutigen Schrittes an der Reihe der Anstehenden vorbei, ich sage der Türsteherin meinen Namen, sie blättert kurz in ihrer Liste, dann lächelt sie, ein entzückendes Lächeln übrigens, winkt eine ihrer im Inneren des Lokales wartenden Kolleginnen herbei, die nimmt sich ebenfalls sanft lächelnd unserer an und geleitet uns zu unserem Tisch. Es ist wie in den schlimmsten Pariser Bistros, das Tischlein muss beiseite gezogen werden, bevor sich die – wirklich nicht füllige – Caro auf das Bänklein an der Wand quetschen kann, ich werde auf dem Stuhl zum Raum platziert. Die Tische sind ordentlich – ordentlich, nicht nobel – eingedeckt, doppelte weiße Leinentischtücher mit dicken Bügelfalten, Leinenserviette, Vor- und Hauptspeisenbesteck aus einfachem Metall, Steakmesser mit zerschlissenem Holzgriff, Brotteller ohne Brotmesser, ein plumpes, dickwandiges Allerwelts-Weinglas aus primitivem Pressglas, bar jeglicher Eleganz, dickes, plumpes Porzellan, so mag sich der imperiale Turbo-Kapitalist Luxus und Stil vorstellen, in Europa reichte das allerhöchstens für ein besseres Provinz-Gasthaus. Es ist schummerig hier, fast düster, die Frau am Nachbartisch nutzt die Taschenlampe ihrer Funke, um die Speisekarte zu entziffern, kann ich gut nachvollziehen. Die holzvertäfelten Wände sind überladen mit alten Photos und Bildern, denn das Keens hat eine große Geschichte, „große Geschichte“ für die Verhältnisse in den alten Kolonien. Es wurde wahrscheinlich 1895 von einem Albert Keen gegründet, so genau weiß das heute keiner mehr, aber das ist die Jahreszahl, auf die man sich halt geeinigt hat, manche bezeichnen es auch als New Yorks ältestes Restaurant, 1895, das ist das Jahr, in der das Gasthaus zum Riesen in Miltenberg am Main sein 474 jähriges Bestehen gefeiert  hat, und unsere Apotheke in Augsburg daheim um die Ecke wurde war 38 Jahre alt, nur mal so zum Vergleich. Ursprünglich war das Keens ein Herrenclub im alten Theaterdistrikt, für die bessere Gesellschaft und für das Schauspielervolk, es bedurfte der Mätresse eines Königs, Lady Lillie Langtry, um im Jahre 1905 auch Weibspersonen den Zutritt zum Keens vor Gericht zu erstreiten. In den guten alten Zeiten, als die verhärmten Asketen noch nicht ihre Diktatur über’s Land ausbreiteten, wurde im Keens noch kräftig geraucht, und zwar filigrane niederländische Tonpfeifen mit langen Stielen. Damit die fragilen Stücke beim Transport nicht zu Bruch gingen, war es Stammgästen gestattet, ihre Ton-Pfeifen im Keens zu lagern, und so hat der Schuppen heute eine der größten Ansammlungen gebrauchter, einfacher Niederländischer Tonpfeifen weltweit, es sollen über 50.000 Stück sein, und viele davon hängen drohend und unheimlich über den Gästen an den Decken des Restaurants, eine um die andere, bloße erschlagende Masse, bar jeglicher Kunstsinnigkeit, einfach Menge demonstrierend, Theodore Roosevelt, Albert Einstein, Buffalo Bill oder Douglas MacArthur zählten zu den illustren Gästen und Rauchern hier, Liza Minelli oder Stephen King wurden werbeträchtig zu Ehrengästen ernannt. Auch heute sieht das Publikum geldig aus, der blue colour worker und der Pauschaltourist fehlen hier ebenso wie das Studentenpärchen und Hispano-Familie, auch wenn 2019 historische, heute als rassistisch einstufbare Bilder von Schwarzen mit viel Medien-Tam-Tam aus dem Keens entfernt wurden, ist das Publikum fast durchweg white upper middle class, wahrscheinlich aus den sicheren Appartement-Häusern am Central Park, dem Bank of America Tower und den Country Clubs von Pennsylvania und Florida, die einen im Business Outfit, die anderen im schrillen Hawaii-Hemd (aber immerhin mit langen Hosen), aber die obligatorischen Uhren verraten bei allen, dass sie nicht zu unteren Bevölkerungsschichten gehören, obwohl man dies angesichts Benehmen und Tischmanieren durchaus zuweilen annehmen könnte. Oben hatte ich geschrieben, das Interieur des Keens reichte in Europa allerhöchstens für ein besseres Provinz-Gasthaus, und das trifft ebenfalls auf den Service zu. Stets und immer freundlich, hilfsbereit, lächelnd, dieses Lächeln, mit dem sie Dir auch ein Messer zwischen die Rippen rammen, dazu unausgebildet, unprofessionell, unbeholfen, aber stets freundlich lächelnd.

Das Essen schließlich, das reichte in Europa nicht für ein besseres Provinzgasthaus, das reichte maximal für ein mittelmäßiges Provinzgasthaus. Vorweg serviert das Haus Gemüsesticks – halbierte Möhren und Sellerie-Stangen – mit einer weißen Sauce zum Dippen, wir tippen auf Industrie-Majo. Dazu gibt es erbärmliche Backlinge und wenigsten 75 Gramm eiskalte Butter. In der  Bloody Mary schwimmen Zwiebelstücke, nur das Glas purer Vodka, das ist tadellos. Die Zwiebelsuppe ist ein übervoller Teller einer dicklichen, braunen, vor allem salzigen Flüssigkeit mit viel matschigen Zwiebelstücklein darinnen, in der Mitte ein Scheiblein Baguette mit ein wenig Schnittlauch und einem Scheiblein sehr mäßigen zerlaufenen Käse. Caro blickt böse, wir probieren beide einen Löffel und schieben den Teller beiseite. Mein Shrimps Cocktail besteht aus fünf gekochten, geschälten Shrimps ohne Kopf und Darm, aber mit Schwanzflosse, einfach in ein Schälchen süßlichen Industrie-Ketchup – keine Spur von Cocktail-Sauce – gesteckt und mit ein paar Zitronenscheibchen garniert. Ich blicke böse, wir probieren beide einen Bissen und schieben das Schälchen beiseite. Das Keens ist berühmt für seine legendären Hammelkottelets, also bestelle ich Hammelkottelet für geschmeidige US$ 62 (ohne Beilagen). Das Fleisch hammelt entgegen meinen Befürchtungen überhaupt nicht, das muss man zugeben, aber ansonsten ist es totgebraten und schlichtweg hart. Die Hashbrowns dazu sind eine fettige, breiige, homogene, lauwarme Kartoffelmasse, der Mangold zerkochtes, penetrant saures, kaltes Gemüse. Ich blicke böse, wir probieren beide einen Bissen und schieben den Teller beiseite. Caros Prime New York Sirloin ist ganz ok, auch wieder nicht medium, die Rotweinsauce und die Béarnaise dazu fast kalt und hoffentlich nicht selbst gemacht (dieser Murx wäre das ultimative Unfähigkeits-Zeugnis für jeden auch nur halbwegs ernsthaften Koch), die handgeschnittenen Pommes erträglich, aber nicht wirklich gut. Wir begnügen uns beide mit Caros Steak, um wenigstens irgendwas zu essen. Dabei blicken wir beide böse, sehr böse. Der einzige Lichtblick bei diesem Trauerspiel in der Düsternis ist ein 2015er Vermillion, ein Rotwein aus Sonoma und den Sierra Foothills, vor allem Grenache und Mourvèdre, dazu etwas Syrah, Petite Sirah (in Frankreich heißt die Rebsorte Durif) und Counoise (der Châteauneuf-du-Pape Traube). Der Wein ist unglaublich komplex, verschiedene dunkle Beeren, Pflaume, Zimt, Rauch, Erde, schwere 14,6%. Der Vermillion ist die Zweitmarke von Helen Keplinger, die unter den kalifornischen Winzern Kult-Status besitzt, für die einen ist sie legendär, für die anderen fast schon mystisch. Eine gewisse Mystik jedenfalls besitzen ihre Weine, die selbst für viel Geld und sehr gute Worte ohne außerordentliche Beziehungen kaum zu bekommen sind, man entnimmt nur hin und wieder der einschlägigen Fachpresse, dass irgendwelche glücklichen Weintester und Journalisten ein paar Flaschen kosten durften und danach restlos und unisono in’s Schwärmen gerieten. Ich jedenfalls könnte mich nicht erinnern, Keplinger Weine jemals im stationären Handel oder auf einer Weinkarte gesehen zu haben. Umso mehr erfreut diese relativ wohlfeile und nichts destotrotz brillante Zweitmarke, die im Keens für knapp US$ 150 zu haben ist. Wir bestellen dann auch gleich noch eine zweite Flasche und lassen sie etwas länger atmen. Als wir mit Caros Steak fertig sind, kommt angesichts der vorangegangenen massenhaften Retouren von jedem servierten Teller die Oberkellnerin an unseren Tisch, um sich zu erkundigen, was denn nicht gestimmt habe. Nach den eher bemühten sonstigen Servicekräften ist die Dame richtig professionell. Sie legt nicht diese beleidigt-aggressive Attitüde an den Tag, die man sonst als Gast zuweilen erlebt, wenn es an dem Essen massiv etwas auszusetzen gab. Sie fragt höflich, hört unserer recht detaillierten Kritik der einzelnen Speisen zu und tut dann das einzig Richtige, was man als Gastwirt in der Situation machen kann: „The customer is always right.“ (sofern es sich nicht um einen chronischen und inkompetenten Nörgler handelt). Sie entschuldigt sich für die Pannen und weist die neben ihr stehende Bedienung an, alles bis auf den Wein, den Vodka und das Steak mit Beilagen von der Rechnung zu nehmen. Nicht, dass es uns darum gegangen wäre, ein paar hundert Dollar bei der Rechnung einzusparen, wir hätten beide das Geld lieber gezahlt und dafür gut gegessen, aber wir haben ja tatsächlich kaum etwas von dem servierten Zeugs angerührt, von daher just fair.

Der einzige Lichtblick bei diesem Trauerspiel in der Düsternis ist ein 2015er Vermillion, ein Rotwein aus Sonoma und den Sierra Foothills, vor allem Grenache und Mourvèdre, dazu etwas Syrah, Petite Sirah (in Frankreich heißt die Rebsorte Durif) und Counoise (der Châteauneuf-du-Pape Traube). Der Wein ist unglaublich komplex, verschiedene dunkle Beeren, Pflaume, Zimt, Rauch, Erde, schwere 14,6%. Der Vermillion ist die Zweitmarke von Helen Keplinger, die unter den kalifornischen Winzern Kult-Status besitzt, für die einen ist sie legendär, für die anderen fast schon mystisch. Eine gewisse Mystik jedenfalls besitzen ihre Weine, die selbst für viel Geld und sehr gute Worte ohne außerordentliche Beziehungen kaum zu bekommen sind, man entnimmt nur hin und wieder der einschlägigen Fachpresse, dass irgendwelche glücklichen Weintester und Journalisten ein paar Flaschen kosten durften und danach restlos und unisono in’s Schwärmen gerieten. Ich jedenfalls könnte mich nicht erinnern, Keplinger Weine jemals im stationären Handel oder auf einer Weinkarte gesehen zu haben. Umso mehr erfreut diese relativ wohlfeile und nichtsdestotrotz brillante Zweitmarke, die im Keens für knapp US$ 150 zu haben ist. Wir bestellen dann auch gleich noch eine zweite Flasche und lassen sie etwas länger atmen. Als wir mit Caros Steak fertig sind, kommt angesichts der vorangegangenen massenhaften Retouren von jedem servierten Teller die Oberkellnerin an unseren Tisch, um sich zu erkundigen, was denn nicht gestimmt habe. Nach den eher bemühten sonstigen Servicekräften ist die Dame richtig professionell. Sie legt nicht diese beleidigt-aggressive Attitüde an den Tag, die man sonst als Gast zuweilen erlebt, wenn es an dem Essen massiv etwas auszusetzen gab. Sie fragt höflich, hört unserer recht detaillierten Kritik der einzelnen Speisen zu und tut dann das einzig Richtige, was man als Gastwirt in der Situation machen kann: „The customer is always right.“ (sofern es sich nicht um einen chronischen und inkompetenten Nörgler handelt). Sie entschuldigt sich für die Pannen und weist die neben ihr stehende Bedienung an, alles bis auf den Wein, den Vodka und das Steak mit Beilagen von der Rechnung zu nehmen. Nicht, dass es uns darum gegangen wäre, ein paar hundert Dollar bei der Rechnung einzusparen, wir hätten beide das Geld lieber gezahlt und dafür gut gegessen, aber wir haben ja tatsächlich kaum etwas von dem servierten Zeugs angerührt, von daher just fair.


Keens Steakhouse
2 West 36th Street
New York, NY 10018
USA
Tel.: +1 (2 12) 9 47 36 3
Fax: +1 (2 12) 7 14 11 03
E-Mail: banquets@keens.com
Online: www.keens.com

Hauptgerichte (Dinner) US$ 54,50 (Hühnchen mit 2 Beilagen) bis US$ 99 (Hummer und Filet Mignon mit 2 Beilagen), Drei-Gänge-Menue US$ 76 bis US$ 141

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top