Caro, Diedder und der Mist

„Ich habe Mist gebaut!“ Caro wirkt zerknirscht. Wir sitzen auf der Terrasse des Helvetia über dem Sihl in Zürich in der zweiten Frühlingssonne. „Was ist los?“ „Sag ich doch, ich habe Mist gebaut.“ „Welchen Mist?“ „Dieter“ lautet die lapidare und zugleich nebulöse Antwort. Caro trinkt ganz entgegen ihre Art Spritz, ich trinke Martinis aus heimischem Turicum Gin, hoffnungslos überbewertet, viel zu teuer, aber ganz nett. „Wer in Dreiteufelsnamen ist Dieter?“ „Dieter ist Barkeeper in einer Bar in Frankfurt, meiner ehemaligen Stammkneipe sozusagen.“ „Warum ehemalig?“ „Diese Bar ist zu klein für Dieter und mich gleichzeitig, deshalb ehemalig, ich geh‘ da nicht mehr hin, nie mehr, zumindest so lange Dieter da noch arbeitet.“ „Hat Dieter Dich geärgert, oder was?“ „Den Kopf hat er mir verdreht, ärgern tue ich mich selber, dass ich so blöde war und mir den Kopf habe verdrehen lassen.“ Ich pruste vor Lachen in meinen Martini, so dass das teure Zeugs auf den Tisch spritzt. „Du hast Dich verliebt“ frage ich fassungslos, „und Du hast mich betrogen?“ Caro blickt ernst: „Erstens weißt Du, dass ich Dich nie betrügen könnte, das zwischen uns ist was Anderes, was Einmaliges, was für immer, da kommt kein anderer Mann, kein anderer Mensch dazwischen, das weißt Du selber.“ Sie schweigt, denkt nach, winkt der Kellnerin, ordert einen großen Plantation X.O. 20th Anniversary, einen Rum von Ferrand, der zuerst im tropischen Klima von Barbados in Bourbon-Fässern gelagert wird und dann nochmal in gebrauchten Limousin-Eichenfässer in der Champagne, double aging nennt man das. Caro schweigt noch immer, ich zünde mir eine Zigarre an, schaue sie fragend an. Die Kellnerin bringt den Rum, Caro begutachtet die Menge im Glas, lächelt spöttisch, ordert einen fünffachen Rum bei der Kellnerin, die sich fürbass erstaunt trollt um zu tun, wie ihr geheißen, Caro leert das Glas mit einem Schluck – das ist die Caro, die ich kenne, nicht die Spritz-Schlürferin – und fährt fort: „Und Zweitens habe ich mich nicht verliebt, nicht in diesen Kerl, den Kopf hat er mir verdreht, ich hatte Schmetterlinge im Bauch, ehrlich gesagt auch, vielleicht vor allem ein Stockwerk tiefer, ich habe mich benommen wie ein Backfisch, wie ein dummer, blutjunger Backfisch, wie ein Idiot.“ So viel Selbstkritik bin ich von Caro gar nicht gewohnt, normaler Weise perlen solche Sachen an ihr ab wie an Teflon, oder sie steckt sie ärgerlich, aber klaglos weg. So habe ich sie selten erlebt. „Mal ganz ruhig, von Anfang an, magst Du mir erzählen, was genau los war?“ Caro seufzt. „Es fing an wie eine ganz normale girl meets boy Geschichte, ich war öfters nach dem Job in der Bar, saß am Tresen, las Zeitung, trank irgendwas, wollte nur meine Ruhe. Meistens stand Dieter hinter der Theke, groß, durchaus gutaussehend, 15 Jahre jünger als ich, muskulös, fast Typ Adonis, nicht so ein aus dem Leim gegangener Bacchus wie Du …“ „Danke!“ falle ich ihr schnippisch in’s Wort. „… seine billigen Schuhe, seine schlechtsitzenden C&A-Klamotten und die gefälschte Uhr habe ich zwar wahrgenommen, aber das fand ich sogar eher anziehend, endlich mal nicht so ein aufgebrezelter Business-Fuzzie mit Rolex, Designeranzug, Maßschuhen, mit denen ich normaler Weise zu tun habe, sondern ein Mensch aus dem gemeinen Volk, das fand ich gut. Irgendwann später am Abend, als kaum mehr was los war, kamen wir mal in’s Reden, das Übliche Bar-Bla-Bla, was ich denn mache, wo er denn wohne, wo ich denn herstamme, ob er Familie habe, was ich von der Impfflicht hielte, was seine Hobbys seien, welchen Wagen ich führe …“ Caro unterbricht ihre Erzählung, als die Kellnerin den fünffachen Plantation X.O. 20th Anniversary bringt, 200 Milliliter besten Rums, allein dieses Glas wird später mit knapp 100 Fränkli auf der Rechnung aufschlagen, zum Glück bin ich eingeladen. Als sich die Kellnerin wieder entfernt hat, fährt Caro fort: „Das war alles nur smalltalk, was wir gemacht haben, Belanglosigkeiten, aber sowas tut auch manchmal gut, wenn man den ganzen Tag mit Gehirnakrobatik und klug Daherreden verbracht hat, um sein Geld zu verdienen. Außerdem hatte ich endlich mal das Gefühl, dass sich jemand nur für mich als Mensch, als Person, als Frau interessiert und nicht für meine juristische Expertise, für meine connections, für mein Geld. Das tat gut, verdammt gut.“ „Und für was interessiere ich mich bei Dir?“ frage ich leicht pikiert. „Du bist da raus, du bist ganz was Besonderes für mich, das weißt Du, diese Kategorien zählen bei Dir nicht.“ „Gnmpf.“ „Irgendwann hatten wir uns verquatscht, das war schon beim zweiten oder dritten Mal, dass wir so geredet hatten, geredet ist zu viel gesagt, es kam nie über oberflächliche, belangloses Geplauder hinaus, aber es muss ja nicht immer rocket science sein. Es war Geschäftsschluss, nur noch zwei andere Gäste, er räumte penibel seine Bar auf, während wir redeten. Mir imponierte, wie akribisch er das tat, keine intellektuellen Hochleistungen, aber präzise Handarbeit, alles an seinen Platz, das Messer akkurat am Rand des Schneidebretts, jedes Glas von Hand nachpoliert und exakt im Regal positioniert, die Flaschen mit den Etiketten nach vorne, Spüle und Arbeitsfläche blitzeblank, das hatte ich nie so bei einem Mann gesehen. Er kassierte die letzten beiden Gäste ab, als er mir meine Rechnung gab, fragte er, ob ich Lust hätte, auf einen Drink und eine Currywurst mitzukommen, es gäbe da ein Bistro mitten in der Stadt, abgefahrener Laden, der bis in die frühen Morgenstunden aufhabe, dort träfen sich die Restaurant-Mitarbeiter nach Dienstschluss, Köche, Kellner, Barkeeper, um sich mal bedienen zu lassen, um fachzusimpeln und um über ihre Jobs, Gäste, Chefs, Arbeitsbedingungen abzukotzen, um zu saufen und manchmal, auch um was zu essen. Erinnerts Du Dich an das Employees Only in West Village in New York, wo wir ich glaube vor fünf Jahren waren, ich dachte, das sei sowas ähnliches. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, aber ich bin mit, mitten in der Nacht, mit einem fremden Mann in ein fremdes Lokal gefahren. Der Laden liegt an der Kurt-Schumacher-Straße, zwar mitten in der Stadt, aber bestimmt keine gute Gegend, er heißt Coventry Pub, eigentlich mehr ein an die Häuserwände geklebter Schuppen mit Schnellimbiss, zum Trottoire raus gibt es eine Ausgabe-Theke und ein paar Stehtische, dahinter eine traditionelle alte Frittenbuden-Küche, noch ohne Dönerspieß, sondern wie früher, mit großen, stets blubbernden Fritteusen. Innendrinnen ist es größer als vermutet, richtige Pub-Atmosphäre, riesen Theke mit beachtlicher Spirituosen-Auswahl, Guinness vom Fass, Frittenfett-Gestank, aber trotzdem irgendwie gemütlich.“ Fast gerät Caro in’s Schwärmen. „Als wir reinkamen war der Laden gut voll. Dieter wurde mit lauten ‚Hallo Dieter, komm setz Dich zu uns‘ – Rufen begrüßt, man kennt ihn dort offenbar gut. Wir setzten uns an einen Tisch zu irgendwelchen Leuten, die ich natürlich nicht kannte, ein Koch und ein Jungkoch aus dem Frankfurter Hof, ein Kellner und eine Kellnerin ich weiß nicht von wo, solche Leute. Wir tranken Guinness und Schnaps, aßen Currywurst mit Pommes, die war übrigens gut, und die Leute redeten über ihre Jobs, und das nicht allzu positiv, der Jungkoch zeigte einen frischen Verband von einer Verbrennung, die er sich an dem Tag in der Küche zugezogen hatte, der alte Koch bedauerte ihn nicht, sondern schimpfte ihn nochmals, wie blöd er doch gewesen sei, ein ruppiger Umgangston. Natürlich wurde Dieter gefragt, wer ich denn sei, er stellte mich als eine Freundin vor. Sonst sprach er in dieser redseligen Runde nicht viel, ließ die anderen reden, mal schien er zuzuhören, dann wieder starrte er abwesend in seine Funke. Die Leute hatten selbstverständlich gemerkt, dass ich nicht aus dem Gastro-Gewerbe bin und löcherten mich mit Fragen, denen ich so gut wie möglich auszuweichen versuchte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass irgendwann auch ein Koks-Dealer reinkam und von Tisch zu Tisch ging, viele scheinen verstohlen und sehr diskret was gekauft zu haben, Dieter zum Glück nicht. Aber es war ein interessanter und lustiger Abend. Es war halb sechs, als wir aufgebrochen sind. Ich hatte ordentlich einen im Timpen. Als ich mir vor der Tür ein Taxi suchen wollte, sagte Dieter, ich könne auch noch mit zu ihm kommen, wer wohne gleich um die Ecke, aber natürlich nur, wenn ich wolle.“ „Und Du bist gewiss mitgegangen.“ sage ich im lakonischsten Tonfall, zu dem ich fähig bin. Ich hatte mir schon sowas gedacht, irgendwie lief Caros ganze Geschichte auf diesen Climax – haha, Climax – raus. „Und ich bin mitgegangen. Zweizimmerwohnung, längst nicht so ordentlich und sauber wie seine Bar, Pressspanmöbel, Fußballposter an der Wand, riesen Fernseher und Spielkonsole, typischer Junggesellenhaushalt, würde ich sagen. To make a long story short, das willst Du ja sicherlich hören, wir sind uns näher gekommen, viel näher, und es war gut, saugut, davon versteht der Diedder was. Und er hat von der Natur von allem, was man dazu braucht, reichlich mitbekommen. Vor- und Nachspiel, Zärtlichkeit, Ertasten, Küssen, Streicheln, Koseworte, keine Spur davon, das war einfach nur … Lassen wir das, Du weißt, was ich meine.“ Ich will die Bilder irgendwie nicht in meinen Kopf lassen und frage mich stattdessen, warum Caro den Kerl plötzlich ‚Diedder‘ statt ‚Dieter‘ nennt. „Und danach war einfach nur Leere und Erschöpfung, kein wohliges Gefühl, kein Hingezogensein, keine zärtlichen Gefühle, nur Leere und Erschöpfung. Ich bin dann schnell gegangen, man könnte auch sagen, geflüchtet. Zuhause habe ich erstmal eine Stunde lang geduscht.“ „Und wegen so einem One-Night-Stand machst Du so ein Drama?“ frage ich. „Wenn’s das nur wäre, es kommt ja noch schlimmer.“ „Oha!“ Mir wird flau im Magen. „Irgendwie kam bei mir sowas wie der basic instinct raus. Einfache Verhältnisse, keine Gehirnakrobatik, phänomenaler … Du weißt schon was, keine Gefühlsschnörkeleien, alles auf den Punkt. Das hatte ich noch nie. Ich bin wieder in die Bar zu Dieter gegangen, er war höflich wie immer, aber ganz cool, keine Vertraulichkeiten, kein Augenzwinkern, keine Peinlichkeiten. An diesem Abend nahm ich ihn mit zu mir. Sein Gesicht hättest Du sehen sollen, als er mein Penthouse sah, aber er hat sich schnell wieder gefangen, benahm sich sehr schnell so, als wäre er da zuhause. In der Nacht das nämliche Spiel, im Morgengrauen die nämliche Leere. Dann wollte ich es wissen und lud ich ihn über ein verlängertes Wochenende in mein Haus auf Teneriffa ein, ich wollte wissen, wie das mit ihm so ist, wenn man sich den ganzen Tag auf der Pelle hockt. Meinen Flieger bestieg er, als würde er regelmäßig mit Privatjets reisen. Ich merkte sehr schnell, dass sich Kommunikation mit ihm jenseits des Smalltalks sehr schwierig gestaltete, er erzählte kaum was aus seinem Leben, er hat mich nicht ein einziges Mal gefragt, was genau ich mache, über irgendwelche Dinge wirklich diskutieren konnte man auch nicht mit ihm, er sagte immer zu allem gleich ja und amen, Widerspruch oder eine andere Position habe ich nie von ihm gehört. In meinem Haus in Costa Adeje lag er die meiste Zeit am Pool und daddelte mit seiner Funke. Ich weiß nicht, ob er Spielchen gemacht hat oder mit anderen Frauen geschrieben. Wenn wir essen gegangen sind – ich habe natürlich gezahlt – war er stets ganz bescheiden, hat fast immer das billigste Gericht gewählt und es danach über den grünen Klee gelobt, egal, was er war. Am liebsten war es ihm sowieso, wenn wir – wenn ich – zuhause gekocht habe, bloß nicht raus. Er hat auch nicht viel getrunken, zu einem gepflegten Rausch der Kerl nicht in der Lage, vielleicht auch besser für einen Barkeeper. Wenn ich was unternehmen wollte, hat er abgewunken, er blieb lieber am Pool. Noch nicht mal zum Strand runter wollte er, Wasser hätte er doch auch am Pool. Wenn ich in’s Nachtleben gehen wollte, meinte er nur, Kneipe hätte er zur Genüge im Job, er bliebe lieber daheim. Eine Partie Schach oder auch nur Back Gammon oder Rummy Cup, kein Interesse. Einmal sind wir tatsächlich auf den Teide gefahren, bei der Fahrt hat er meist mit seinem Handy gedaddelt, gesprochen haben wir kaum, wenn ich ihm was gezeigt habe, hat er nur desinteressiert genickt, rausgeschaut hat er auch so gut wie nicht. An der Talstation der Seilbahn wollte ich bis zum Krater hochfahren, das brauche er nicht, er könne den Krater ja auch von unten sehen, wenn ich unbedingt hoch wolle, so würde er im Auto warten. Ich bin ja nun wirklich nicht das motorische Energiebündel in Person, aber Dieters motorisches Phlegma übertrifft wirklich alles, was ich bisher erlebt habe. Und sein kommunikatives und intellektuelles Phlegma sind auch nicht von schlechten Eltern. Aber allzeit bereit, wenn es um Du weißt schon was ging …“ „La-la-la-la-la-la“ denke ich mir ganz dolle und versuche dabei, mir mental die Ohren zuzuhalten. Ich kann’s mir einfach nichtmehr verkneifen, auch wenn ich gleich eine sowas von gewatscht bekomme und sage „Du weißt schon, was der Volksmund von ‚dumm‘ und ‚gut‘ sagt?“ Zu meinem großen Erstaunen antwortet Caro „Genau, wo der Volksmund Recht hat, hat er Recht.“ „Bin ich zumindest auch ein wenig dumm?“ frage ich zaghaft, doch ziemlich gekränkt. „Blödmann!“ „Und hat die Geschichte eine Fortsetzung, oder wie ist sie ausgegangen? Hast Du ihn vergiftet und im Keller verscharrt, oder datest Du ihn noch immer und brauchst einen gedungenen Mörder?“ „Als wir zurück in Frankfurt waren, habe ich ihn an der Maschine verabschiedet, ganz normal. Da ist mir noch aufgefallen, dass wir nie einen Zungenkuss hatten …“ und wieder dieses „La-la-la-la-la-la“ in meinem Kopf „… dass er die Zähne beim Küssen immer ganz fest geschlossen hält. Weißt Du, was das bei einem Mann bedeutet? Wie dem auch sei, ich bin nachhause gefahren, habe eine Flasche Rum geleert, ihm noch eine Bla-bla-gute-Nacht-SMS geschrieben, alles überschlafen und am nächsten Morgen per E-Mail Schluss gemacht, nicht vorwurfsvoll – was ich ursprünglich eigentlich wollte – sondern ganz smooth, so in dem Ton ‚Danke für die tolle Zeit, aber Unterschiede einfach zu groß, wünsche Dir alles nur erdenkliche Gute …‘“ „Und nun?“ frage ich? „Du wirst mich wahrscheinlich auslachen. Seit zwei Wochen war ich nicht mehr daheim, besuche lange vernachlässigte Mandanten, lebe in wechselnden Hotels. Meine Wohnung in Frankfurt lasse ich von einem Sicherheitsdienst einfach so überwachen, ein anders Team überwacht Dieter, Tag und Nacht, kostet ein Schweinegeld.“ „Aber paranoid sind wir nicht, Frau Anwältin?“ „Wahrscheinlich doch. Denn Diedder… „ jetzt wieder mit zwei D – „… lebt sein ganz normales Leben weiter, als wäre nichts gewesen, als hätte ich nie existiert. Wenn er mir wenigstens eine Herz-Schmerz- oder von mir aus auch eine wütende Droh-Email geschrieben hätte, meinen AB vollgesülzt oder -gebrüllt hätte, nix, nada, nothing, der Kerl ist einfach zur Tagesordnung übergegangen. Einerseits erleichtert mich das, es ist einfach vorbei; andererseits beunruhigt mich das, ist da noch was im Busche, hängt da noch ein Damoklesschwert über mir, das ich nur nicht sehe; dritterseits kränkt mich das, ein wenig Leiden seinerseits dürfte er ja schon.“

„Ich mag Dich sehr, Caro.“ sage ich. „Ich weiß, ich Dich auch.“ sagt sie.

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