Bellini

„Und was genau soll das sein?“ fragt Caro den Barkeeper in einem sehr scharfen Ton, in dem zumindest ich nicht von ihr angeredet werden möchte, denn berufsbedingt ist Caro zuweilen durchaus des extrem scharfen Tones mächtig. Wir sitzen nicht etwa in einer Kaschemme im Vergnügungsviertel, wir sitzen in der Bar eines zwar nicht gerade respektablen, so doch Fünf-Sterne-Tagungshotels, sprich ein Stahlbeton-Hochhausbau in bester Hamburger Innenstadtlage, in den Architekten im Auftrage einer imperialistischen Hotelkette solange Facilities – mannshohe Spiegel, Safes und vermaledeite Kapselkaffeemaschinen auf den Zimmern, Tagungsräume, Schwimmbad, Businesscenter, Fitnesscenter, Ein-Sterne-Hotelrestaurant und eben Bar – eingebaut haben, bis die Dehoga-Kriterien für 5 Sterne mit S erfüllt waren und man sich offiziell in die Reihe der örtlichen Luxushotels einreihen durfte. Man muss zugeben, die Tagungsfascilitäten sind durchaus praktisch und gelungen, verschiebbare Wände zur variablen Erzeugung unterschiedlich großer Räume, und das auch noch gut schallisoliert (ein altes Problem dieser variablen Wände), gute Beamer-, Verdunklungs-, Beleuchtungs- und Tontechnik, effektive, leise und nicht unangenehm pustende Klima- und Belüftungsanlage, ausreichende, ausreichend große Gänge und Foyers, saubere, nah gelegene Toiletten in hinlänglicher Anzahl für die Stoßzeiten in den Tagungs-Pausen, leicht erreichbare, für moderne Autos angemessen große Tiefgaragenplätze, Lifte direkt ins Tagungs-Foyer, funktionierendes, personell und technisch gut ausgestattetes Businesscenter, guter Funkempfang, da seien die dicken, chronisch versifften Teppichböden, die unbequemen, hässlichen, aber praktisch stapelbaren Stühle und die zusammenklappbaren Pressspantische fast schon verziehen, man muss neidlos zugeben, für Tagungen und Meetings sind dies Fascilitäten durchaus praktisch, weder schön noch angenehm, aber praktisch, man ist ja schließlich zum Arbeiten hier, nicht zum Genießen oder auch nur Wohlfühlen. Die Hotelrestaurants sind ebenso wie die Zimmer herzlose 08/15 Einrichtungen, sauber, funktional, praktisch, aber ohne Ambiente, Individualität, Stil, Herzblut, ebenso – um auf den Eingang zurückzukommen – die Hotelbar. Man hätte ja wenigsten erwarten können, dass hier des Abends ein ausgebildeter Barkeeper am Werke ist, aber denkste, das ist höchstens ein Hilfskellner oder ein jobbender Student, aber nie und nimmer ein ausgebildeter Barkeeper. Caro hatte unter der Woche eine Tagung in besagtem Hotel, ich war hochgefahren, um sie abzuholen und gleich noch ein gemeinsames Wochenende vor Ort dranzuhängen. Ganz schlechte Idee, zumindest was die Wahl des Hotels anbelangt. Und die Hotelbar reißt’s auch nicht raus, sondern macht es eher noch schlimmer.

Es ist später Frühling, also gibt es weiße Weinbergpfirsiche, also ist in jeder besseren Bar Bellini-Zeit, also bestellt Caro wohlgemut einen Bellini … auch ganz schlechte Idee. Der Eleve in zu großer weißer Jacke hinter der Bar nickt scheinbar professionell-wissend, greift dann ohne Scheu und Scham zu einem von einem gelben Heftstreifen zusammengehalten zerfledderten Bündel von beschriebenen Papierblättern in Klarsichtfolien unter der Theke – offensichtlich das Rezeptbuch des Etablissements – blättert ganz offen kurz darin, scheint zu finden, was er sucht – wohl ein Bellini-Rezept –, liest und geht an’s Werk. Er nimmt einen Shaker, gibt Eis hinein, dann wohl einen dickflüssigen Fruchtsaft oder ein dünnflüssiges Fruchtpüree aus einer nicht wirklich vertrauenserweckenden, ungekühlten, unleserlich handbeschriebenen Plastikflasche, dazu reichlich billigen Peachtree-Likör aus der typischen weißen Flasche, setzt das Shaker-Glas auf den Metallbecher, haut einmal mit dem Handballen darauf (wie professionell und wie schick!), schüttelt das ganze über seiner Schulter mit Bewegungen, die an männliche Masturbation erinnern, kickt das Glas wieder mit dem Handballen leicht zur Seite und öffnet den Shaker, hält seinen Rüssel tief hinein (hoffentlich tropft die Nase nicht), nimmt mit Hilfe eines Strohhalms eine Probe der Mixtur, befindet sie wohl für gut, nimmt eine angefangene Prosecco Frizzante Flasche (Frizzante ist der ganz billige Prosecco, bei dem die Kohlensäure nicht durch Gärung entsteht, sondern künstlich hineingepresst wird, weswegen der Frizzante auch nicht der Sektsteuer unterliegt), öffnet sie mit einem lauten Plopp, gießt was von der Plörre in den Mixbecher, rührt nochmals um, setzt ein Barsieb auf, gießt das ganze fromunvollendet in eine ungekühlte Sektschale und stellt es vor Caro auf den Tresen.

„Nochmals, was genau soll das sein?“ fragt Caro in einem ebenfalls nochmals schärferen Ton. „Na, ein Bellini, wie Sie ihn bestellt haben, frisch für Sie gemixt.“ gibt der Barkeeper-Eleve in seiner zu großen weißen Jacke keck zur Antwort. Caro sagt nichts, sondern mustert den jungen Mann nur durch die zusammengekniffenen Schlitze ihrer Augen, nimmt das Glas, steht vom Barhocker auf und gießt den Inhalt des Glases in hohem Bogen über den Tresen in das dahinter befindliche Spülbecken der Bar. Danach stellt sie das leere Glas zurück auf den Tresen, setzt sie sich wieder, grinst den jungen, jetzt mit einer Mischung aus Verwunderung und Ängstlichkeit blickenden jungen Mann an und bestellt kolumbianischen Rum, eines ihrer Standardgetränke in solch ärgerlichen Situationen. „Geben Sie mir 100 ml vom Dictador XO, zweite Reihe von oben, fünfte bauchige, silberne Flasche von rechts.“ Sie weiß, dass der junge, hilflose Mann ja doch nicht verstünde, was sie will. „Und Gnade Ihnen Gott, wenn Sie mit dem Rum etwas anderes machen als Flasche auf, Tumbler nehmen, eingießen, Flasche zu, mir das Glas geben!“, fügt Caro mehr ernst- als spaßhaft hinzu. „Rum wird bei uns aber nur in 2 cl oder in 4 cl ausgeschenkt.“ entgegnet der junge Mann zaghaft. „Dann geben Sie mir halt zweimal 4 cl und einmal 2 cl, oder von mir aus auch fünfmal 2 cl, Hergottnocheinmal!“ Der Eleve schwitzt in seiner zu großen, weißen Jacke und tut jetzt klugerweise exakt, wenngleich mit unruhiger Hand, wie ihm geheißen.

Es dauerte wenigstens 250 ml Dictador Solera XO Perpetual, bis Caro sich an diesem Abend wieder halbwegs beruhigt hatte. Dabei ist ein Bellini doch eigentlich einfach, wenn man überhaupt weiß, was das ist. Erfunden wurde der Drink unbestrittener Maßen in den dreißiger oder vierziger Jahren vom Gründer der legendären Harry’s Bar in Venedig, Giuseppe Cipriani. Er besteht ganz einfach aus zerquetschten weißen Weinbergpfirsichen und Prosecco, evtl. noch mit etwas Läuterzucker nachgesüßt, wenn die Pfirsiche selber nicht süß genug sind. Arrigio Cipriani, Sohn von Giuseppe und weiland selber Senior-Chef in Harry’s Bar, beschreibt in seinem – durchaus lesenswerten – Büchlein „Harry’s Bar. The Life and Times of the Legendary Venice Landmark“ (Arcade Publishing, New York, 1996), dass sie früher eigens einen kräftigen Mann angestellt hatten, der im Frühling und Sommer nichts anderes tat, als Weinbergpfirsiche zu entkernen und durch ein Passiersieb zu treiben, um einen nicht enden wollenden Nachschub von frischem Weinbergpfirsichpüree für den Bellini herzustellen. Keinesfalls sollte man die Pfirsiche in einen elektrischen Cutter werfen, das gibt nur eine unansehnliche braune Masse, pragmatisch wie ich bin, habe ich das selber natürlich probiert: klappt definitiv nicht, hier ist noch echte Handarbeit gefragt … gewesen. Heute, auch das gesteht Arrigio ehrlich ein, bezieht man ganzjährlich tiefgefrorenes Weinbergpfirsichpüree aus Frankreich, angeblich von hoher Qualität, mit dem man seinen Gästen nun ganzjährlich Bellini anbieten kann. Schade eigentlich. Cornelia hat ihr original Bellini in Harry’s Bar weiland ebenso wenig geschmeckt wie mir mein Martini Cocktail. (Aber das war eine andere Zeit in einer anderen Welt in einem ganz anderen Leben.) Heute braucht man jedoch auch gar nicht mehr in Harry’s Bar nach Venedig, um original Bellini trinken zu können, den gibt’s mittlerweile unter dem Markennamen „BELLINI CIPRIANI Ponte“ in einer hellblauen Schraubverschluss-Flasche für gut 10 EURO bei Amazon & Co., und er enthält „Wein, Wasser, Fruchtmark von weißen Pfirsichen (20%),konzentrierter Pfirsichsaft, Traubenmostkonzetrat. Antioxidans: Ascorbinsäure, Konservierungsstoff: Kaliumsorbat, Stabilisator: Xanthan und Pekline, Farbstoffe: Karmin und Beta-Carotin, Kohlenstoffdioxid zugesatzt.“ (Quelle: www.billigerweinkaufen.de). Auf nämlicher Webpage kann man auch noch lesen, dass der Hartgas-Junkie Ernest Hemingway den 55-Promill-Kümmerling Bellini zu seinem Favoriten erkoren hätte und deswegen regelmäßiger Gast in Harry‘s Bar gewesen sei. Ein wenig Lügen ist im Marketing sicherlich Pflicht, aber was zu dick aufgetragen ist, ist zu dick aufgetragen.

Also nochmals, ein richtiger Belli. Das Rezept ist etwas schweißtreibend, aber simpel. Zutaten sind weiße Weinbergpfirsiche, die es von Mai bis September gibt und Prosecco Spumante (ein ordentlicher Crémant, Rieslingsekt oder Champagner schaden aber auch nichts), bei Bedarf noch etwas Läuterzucker (oder Puderzucker, falls gerade kein Läuterzucker in der Hausbar vorhanden ist). Außerdem gebe ich noch ein paar Tropfen Zitronensaft in das fertige Püree, um eine zu rasche Braunfärbung zu verhindern. Man rechnet 1 Teil Pfirsichpüree auf 3 Teile Schaumwein, ein Weinbergpfirsich reicht für ca. zwei Sektgläser Bellini.

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Zutaten:
Für 4 Sektgläser:

  • 2 Weinbergpfirsiche
  • 1 Spritzer Zitronensaft
  • Evtl. etwas Puder- oder Läuterzucker
  • 400 ml Prosecco Spumante (oder Crémant, Rieslingsekt oder Champagner)

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Zubereitung:

  • Weinbergpfirsiche waschen, abtrocknen, entkernen, grob in ca. Walnuss-große Stücke zerschneiden und von Hand mit dem Stößel durch ein feines Spitzsieb treiben
  • Weinbergpfirsichpüree mit einem Spritzer frisch gepresstem Zitronensaft vermischen
  • Ist das Püree nicht süß genug, mit etwas Läuter- oder Puderzucker nachsüßen
  • Püree im Kühlschrank sehr kalt werden lassen (ca. 5°)
  • Schaumwein ebenfalls auf ca. 5° kühlen
  • Sektgläser im Tiefkühler bei -20° bis -30° frosten
  • Schaumwein öffnen, Pfirsichpüree aus der Kühle nehmen, Sektgläser aus dem Froster nehmen
  • In jedes Glas ca. 30 ml kaltes Pfirsichpüree geben, mit ca. 90 ml Schaumwein auffüllen (Vorsicht, wie der Name schon sagt, es schäumt beim eingießen)
  • Kurz und vorsichtig umrühren, sofort servieren, kein Schnickschnack wie Schirmchen, Kirsche, Strohhalm, …

 

Junger Mann, so einfach wäre das gewesen … Caro wäre zufrieden gewesen, und Sie hätten Ihr Hemd nicht komplett durchgeschwitzt.

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