Authentische Schweizer Gastfreundschaft: Das Piz Tambo in Splügen

Via Mala
Via Mala

Die Via Mala assoziiert der gemeine deutsche Bildungsbürger irgendwie mit Mario Adorf, vielleicht noch – handelt es sich um einen gebildeten Bildungsbürger – mit John Knittel. Ansonsten ist die Strecke zwischen Chur und Lugano – bzw. Como, nimmt man den fast vergessenen Splügenpass und nicht den San Bernadino – Durchgangsgebiet, rasch durchmessene, unwirtliche Alpenregion, lästiges Hindernis zwischen hart arbeitenden deutschen Wirtschaftswunder-Landen und Sommerfrische-Leichtigkeit-des-Lebens-Mittelmeer. Nicht als Hindernis empfinden diese Gegend – zumal wenn sie nicht die Autobahn Nummer 13, sondern die alte Via Mala bzw. die ungleich ältere Via Spluga nehmen – die Heerscharen von durchgeknallten Organspendern auf ihren nur mangelhaft geräuschgedrosselten zweirädrigen Höllenmaschinen, die die engen kurvigen Alpenstraßen entlangrasen und diese komischen Menschen auf ihren Fahrrädern, die ihre ausgemergelten, verschwitzten Körper sinnlos über den nächsten Alpenpass strampeln, dabei den Verkehr behindern und hinten wieder runterrollen; liebenswerter dann schon die wackeren Wanderer, die sich mit ihren Stockenten-Stöcken per Pedes abseits der Straßen durch’s Gebirge quälen, oder ganz einfach die Reservisten der Schweizer Armee, die in der Gegend gemeinsam ihre alljährlichen Schießübungen machen, um die feste Alpenfestung auch fürderhin wacker gegen jedweden anstürmenden Unbill zu verteidigen, ungeachtet der Tatsache, dass sich weder Cyber- noch Atomangriffe mit Schießgewehren abwehren lassen, aber übt weiter, wackere Eidgenossen. Dann gibt es hier natürlich noch echte Eingeborene, Bauern, Händler, Gastwirte, Beamte, die tatsächlich hier wohnen und die fest hierhin gehören. Soweit also zu den Personae Dramatis im Hinteren Rheintal, Pedalen-Masochisten, die sich den Abend mit in Wasser gedünstetem Gemüse und einem Kräutertee auf der Passhöhe versüßen werden, perverse PS-Fetischisten auf dem Weg zum Organspenden, schießwütige Eidgenossen, orientierungslose Orientalen auf Abwegen, die die A13 zum Sankt Bernhard verfehlt haben, wacker von Alpe zu Aple watschelnde Wandersleut, Maut-müde Teutonen auf dem Weg zu Sommerfrische und Spaghetti – und tatsächlich Eingeborene.

Splügen
Splügen
Splügen
Splügen

Für all diese Personengruppen bietet Splügen in unwirtlicher Gegend in fast 1.500 Meereshöhe einiges an Infrastruktur. Neben Gemeindeverwaltung, Kontonalbank, Post und Kaufladen gibt es das Hotel Alte Herberge Weißes Kreuz und das Hotel Bodenhaus (beide balgen sich um den Ruf des Ersten Hauses am Platze), das rustikalere Pratigiana und das Suretta sowie – etwas versteckt in einer Seitengasse liegend, als wolle es gar nicht von Fremden gefunden werden, das Hotel Piz Tambo, das seit 1988 von der Splügnerin Christina Zinsli mit viel Herzblut und Liebe geführt wird. Der Gasthof – Hotel ist eigentlich zu viel gesagt – ist ein altes, typisch Schweizer Berghaus mit dicken Mauern, niedrigen Decken, kleinen Fenstern und Türen, wie man halt zweckmäßig baut, wenn’s monatelang bitterkalt und voller Schnee ist. Ein kleiner Innenhof bietet ein paar Parkplätze, vorwärts einparken geht noch, am nächsten Morgen rückwärts ausparken, das ist immer aufregend. Vor dem Haus stehen Tische im Hof auf dem Asphalt, Blick auf die geparkten Autos, die wunderschönen Berghäuser und die grandiosen Alpen – da braucht es keine weiteren Verschönerungs-Accessoires, und die geparkten Autos übersieht man alsbald, zuerst wegen des großartigen Umgebungs-Panoramas, später wegen der Anblicke auf den Speisetellern.

Das Piz Tambo bietet 14 kleine, einfache, aber zweckmäßige Zimmer, ein alter, winziger, beunruhigend quietschender Lift bringt den müden Reisenden nach oben. Die Bäder sind sehr klein, einige Matratzen müssten dringend erneuert werden (aua, mein Rücken), Möbel massiv, wahrscheinlich aus den 60/70ern, alt, aber nicht verkommen, TV und Radio auf dem Zimmer, freies W-Lan im ganzen Hause, Nachts rauscht der Gebirgsbach, ansonsten auch bei offenem Fenster totale Ruhe, kleines, aber ordentliches Frühstück ohne Schnickschnack, mit guten einheimischen Produkten und dünnem Kaffee. Eine rustikale Unterkunft mit – für Schweizer Verhältnisse – wohlfeilen Preise.

Hotel Piz Tambo in Splügen
Hotel Piz Tambo in Splügen

Noch erfreulicher das hauseigene Restaurant. Wenn Sie als durchreisender Übernachtungsgast dort auch speisen wollen, unbedingt gleich bei der Zimmerbuchung auch einen Restauranttisch reservieren. Nicht etwa, weil das Restaurant so etepetete stylisch sternemäßig angesagt wäre, sondern einfach weil es klein und gut ist und nur eine begrenzte Kapazität an Tischen hat (im Sommer ist’s etwas besser, wenn man auch draußen sitzen kann). Das Restaurant Piz Tambo wird nicht nur von eigenen Hotelgästen frequentiert, sondern auch von den Gästen der umliegenden Häuser und vor allem, von Einheimischen; es gibt einen großen stets reservierten Stammtisch und auch sonst werden viele Gäste auf tiefsten Schwitzerdütsdch mit Handschlag und Vornamen begrüßt – so etwas ist immer ein sehr gutes Zeichen: durchreisende Touristen kann man minderwertig abspeisen und hochpreisig abkassieren, die kommen i.d.R. sowieso nicht wieder, aber Einheimische, die wissen, wo’s dauerhaft gut und reell ist. Und gut und reell ist das Restaurant Piz Tambo mit seiner mittelgroßen, niedrigen, etwas düsteren, aber heimeligen, blitzsauberen, gemütlichen Gaststube sicherlich. Geboten wird eine relativ kleine Auswahl an echter Schweizer Kost, Rösti, Geschnetzeltes, Capuns, ein Teller mit gemischten heimischen Salumerie, Gerstensuppe, … authentische Schweizer Küche, Pommes findet man ebenso wenig wie Schnitzel oder Hamburger (und das ist gut so). Das Brot ist etwas labbrig (das könnte besser sein), der Hauswein ist ein roter Schweizer Säuerling und die Dessertkarte geht mit Variationen Fertig-Eiscreme dann doch leider in Richtung Convenience. Aber der Rest stimmt, ich verstehe die Einheimischen, die hierher zum Essen kommen, und wenn wir in Richtung Como/Lugano fahren, wir nehmen fast immer die Via Mala statt der Autobahn und planen auf jeden Fall eine Nacht im Piz Tambo in Splügen ein.

Capuns
Capuns

Sicherlich weit entfernt von jeder Hoch-Küche, ebenso weit entfernt von jeder Verfeinerung, nochmals weiter entfernt von jeder Leichtigkeit, und doch unbedingt wert, probiert und genossen zu werden, sind im Piz Tambo die Capuns, eine Graubündner Spezialität, die man ansonsten nur sehr selten auf Speisekarten findet. Die Blätter des Schnittmangolds werden Bündner  Volksmund Capunsblätter genannt, und Capuns das sind vielleicht daumengroße Stückchen eines festen Spätzleteigs mit Kräutern und kleingeschnittenem Speck, Hartwurst oder Bündner Fleisch, die wie ein Päckchen in Mangoldblätter eingewickelt werden, sodann in einem Milch-Wasser-Gemisch gekocht und dann noch mit Käse – typischer Weise mit Sbrinz – bestreut oder gratiniert serviert werden.

Rösti mit Speck und Ei
Rösti mit Speck und Ei

Ebenso typisch und gut sind im Piz Tambo die Rösti, z.B. ganz einfach mit gebratenen Speckscheiben (allein der Speck ist qualitativ weit von fast allem entfernt, was man irgendwo in Supermärkten kaufen kann) und einem Spiegelei: vielleicht kein Sommergericht nach einem Tag im Büro, aber nach einem Tag mit viel Bewegung an der frischen Luft genau das Richtige.

 

 

 

 

Hotel Restaurant Piz Tambo
Christina Zinsli
7435 Splügen
Schweiz
Tel. +41 (81) 6 50 95 95
Fax +41 (81) 6 50 95 80
e-Mail info@piz-tambo.ch
Internet www.piz-tambo.ch

 

DZ / Frühstück 60 CHF (pro Zimmer)

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One comment

  1. Markus J. Krug

    Die Spluegener Katze schaut so wehrhaft aus wie ihre Menschen. Es ist gut, dass dieselbigen auch im Atomzeitalter weiter an ihrer immerwaehrenden Neutralitaet festhalten und diese mit der Waffe in der Hand verteidigen. Ueber Atomangriffe des ohne Not mit Einkreisungspolitik bedrohten Dritten Roms zerbricht sich besser der groessere Nachbar im Norden den Kopf, der phantasie- und verantwortungslos genug ist, sich unverdrossen ueberseeischen raumfremden Maechten als atomare Abschussrampe anzudienen.

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