Summa summarum: authentisches, liebenswertes fränkisches Lokal mitten in Nürnberg und doch abseits der Touristen-Pfade mit bodenständiger, traditioneller, grober, nichtsdestotrotz guter, ehrlicher Küche ohne Convenience, Schnickschnack und Burger.
Fast habe ich den Eindruck, Caro ist etwas nervös, beinahe schon aufgeregt. Diese Frau, die sonst mit der Ruhe und Selbstverständlichkeit nach New York oder in die Innere Mongolei reist, mit der andere Leute zum Aldi einkaufen gehen, wirkt fahrig auf dem ganz banalen Weg nach Nürnberg. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie hier einen Teil ihrer Jugend verbracht hat und sie noch immer wenn nicht schon Jeden, so doch Viele kennt und wenn schon nicht Alle, so doch Viele auch sie noch kennen. „Das ist immer noch irgendwie wie nach Hause kommen.“ sagt sie. Wir fahren schweigend durch den langsam in Schnee übergehenden Nieselregen die B2 hoch. Nürnberg ist hässlich, vielleicht ist hässlich auch das falsche Wort, vielleicht könnte man auch von verstecktem, sich nicht sogleich erschließendem Charme sprechen. Die Vororte sind trist, AEG, Grundig, Quelle haben tiefe Wunden gerissen, nur mühsam werden die Industriebrachen langsam wieder zum Leben erweckt, nicht immer mit Erfolg. Die Befestigungstürme und die Stadtmauer um die eigentliche Innenstadt sind beeindruckend, aber auch alles nur nachgebaut, nachdem die alliierten neuen Freunde sie und alles andere in Schutt und Asche gelegt hatten, bis auf das alte Grandhotel, in dem sich Nazis und Amis quasi die Klinke in die Hand gegeben hatten, das hatten sie wohlweißlich ganz gelassen, und heute wohne ich mit Caro dort, wenn wir in Nürnberg sind. Kolonnen von Asiaten und Imperial-Amerikanern schieben sich im kalten Nieselregen die Idiotenrennmeile vom Bahnhof zur Pegnitz und zum Marktplatz runter und auf der anderen Seite zur Burg wieder hoch. Alteingesessene Nürnberger Gastronomen- und Kaufmanns- Dynastien bieten ihnen am Wegesrand ihre Waren und Dienste an, allen voran natürlich McKotz, aber auch Dunkin Donuts, Starbucks, Burger King, Pizza Hut, dazu Vapiano, Maredo, verschiedenste Spießschaber, Spaß-Burger-Braterei-Ketten von Burgerista bis Hans-im-Glück, der ganze kulinarische Dreck halt, daneben erlesene Kaufmannswaren von H&M, EMP, Benetton, Ernesting’s, KiK, Pimkie, Deichmann, New Yorker, Zara, Anson’s, Mustang, bei denen man nie weiß, ob und wie viele Kinder in der dritten und vierten Welt sich die Finger für den Schund blutig gearbeitet haben und welche Umweltsünden zum Behufe der Profitoptimierung bei der Rohstoffgewinnung hier begangen wurden, aber Hauptsache es ist billig, und Lieschen Müller kann fünfmal im Jahr ein neues Paar Schuhe kaufen und gleich wieder wegwerfen. Dazu historisierende, sich als organisch gewachsen und authentisch einheimisch gebende, tatsächlich aber auch nur aus der Retorte mit viel Plastik nachgebaute Handwerkermärkte, Buden und Stände mit überteuertem Kitsch und Tand. Solches Zeugs halt säumt – wie fast überall in touristisch erschlossenen Gebieten – die hiesige Idiotenrennmeile, und angesichts dessen bin ich wieder mal missvergnügt, wie immer in solcher Umgebung.
Unvermittelt reißt mich Caros Frage aus dieser allerschönsten Missmut: „Was willst Du zum Abendessen?“ „Am liebsten irgendwas authentisches Fränkischs ohne allzu viel Touristen, keinen Sterne-Schnickschnack, Essigbrätlein und Sosein habe ich heute keine Lust, da finden in den letzten Jahren irgendwie alle Geschäftsessen in Nürnberg statt, und Rottner ist wieder so weit draußen, ich habe keinen Bock, noch groß rumzufahren, und in Großreuth kriegt man irgendwie nie Taxis.“ „Danke, dass wir darüber gesprochen haben.“ sagt Caro mit einem Unterton, der irgendwo zwischen zynisch und gefährlich schwingt, „Aber ich glaube, da habe ich das Passende für meinen kleinen Dauer-Grantler.“ Ohne meine Antwort abzuwarten, auch ohne Chance, mich gegen diesen „Dauer-Grantler“ zu wehren greift sie zur Funke und wählt offensichtlich aus dem Kopf eine Nummer. „Hier ist Caro“ – sie meldet sich tatsächlich nur mit ihrem Vornamen, sie muss am anderen Ende der Leitung also sehr bekannt sein – „ist der Michael da?“ Kurze Pause. „Hallo Michael, hier ist Caro. Ich bin spontan in der Stadt.“ Unvermittelt wird ihre Stimme schmeichlerisch, zart, hart an der Grenze des Erotischen, Caro ist Weltmeisterin darin, mit ihrer Stimme und dem Tonfall zu spielen und beide als – gefährliche – Waffe einzusetzen. „Du, Michael, hast Du heute noch zwei Plätze für uns? … Ja, am liebsten jetzt gleich. … Bis 20:30 sind wir dicke wieder weg. … Kein Problem, Deine Gäste sind doch alle nett, natürlich kannst Du uns irgendwo dazu setzen. … Wir laufen jetzt sofort los, wir sind im Grand am Bahnhof. In einer halben Stunde sind wir locker da. … Bis gleich, ich freu‘ mich.“ Caro beendet das Telephonat und sagt wieder zu mir gewandt: „Auf geht’s, das wird Dir gefallen.“ „Wollen wir nicht ein Taxi nehmen? Es regnet.“ „Es nieselt maximal. Bist Du aus Zucker? Wer essen will, der soll auch laufen. Außerdem schmeckt’s dann doppelt so gut.“ Während ich mit Schal und Mantel besagte Idiotenrennmeile an Caros Seite langstapfe denke ich mir, dass diese Frau zuweilen grausam ist, aber es ist Caro, da kann man nichts machen. Eskortiert von ebenfalls besagten Scharen von Asiaten und Imperial-Amerikanern gehen wir über die Fleischerbrücke, vorbei am Hauptmarkt und vor der Sebalduskirche links ins Gassengewirr. Schlagartig hören hier die Läden mit Tand und Schund für die Touristen auf, stattdessen säumen Galerien, ein Buchbinder, echte Designer-Geschäfte zuweilen den Weg, hier setzt man nicht auf schnell wieder verschwundene Laufkundschaft, hier setzt man offensichtlich wieder auf Stil und Qualität, hier wird die Stadt ruhiger – aber keinesfalls totenstill – und authentischer. Albrecht-Dürer-Straße Ecke Agnesgasse erreichen wir unser Ziel, die Albrecht-Dürer-Stuben, in einem 25 Meter hohen, viergeschossigen Eckhaus mit freiliegendem Fachwerk aus dem 15. Jahrhundert, das den Bombenterror offensichtlich unbeschadet überstanden hat. Während sich die Lokale entlang der Idiotenrennmeile offen und einladend mit großen Schildern und Eingangstüren zur Straße hin anbieten – prostituieren wäre vielleicht der treffendere Ausdruck – geben sich die Albrecht-Dürer-Stuben eher verschlossen, der Zugang will verdient sein. Schlichte Rundfenster mit den Blick nach Innen verwehrenden Butzenscheiben im Sandstein-gemauerten Erdgeschoss, eine kleine, unprätentiöse Speisekarte an der Wand, eine ebenfalls kleine Pforte, eher Eingang zu einem Wohn- denn zu einem Gasthaus, die den Besucher erst einmal in einen zugigen, engen, ungemütlichen Flur führt, rechts eine Tür zur Gaststube, hinten die Küche, eine Treppe nach oben, allein die großen Bilderrahmen mit sorgsam gestickten Lebensweisheiten („Fleiss bringt Segen“ oder „Die Speisen mit Liebe und Sorgfalt koch / So einfach sie sind, dann schmecken sie doch.“ … so’n Zeugs halt) vermitteln einen ersten Eindruck von Heimeligkeit und Gastlichkeit, hier stranden die Spontan-Gäste ohne Reservierung. Manche gehen gleich wieder, andere warten stoisch frierend in ihren Mänteln, bis doch noch ein Tisch frei wird. Caro vorweg schlängeln wir durch die reichlichen Wartenden im Flur, zielstrebig zur Tür der Gaststube, ich spüre förmlich, wie der eine oder andere böse Blick Caro am Rücken trifft (und dort unnahbar abprallt), wir betreten die Gaststube, dort eilt mit einem Tablett voller Getränke gerade Pia Höllerzeder, die Wirtin, vorbei, in einem dieser 08/15-bajuwarisierenden Dirndln nach oberbayrischem Stil, das aber so ganz und gar nichts mit den – ungleich aufwändigeren und beeindruckenderen – echten fränkischen Trachten gemein hat und für meinen Teil eine weitere Teilkapitulation Frankens vor Bayern dokumentiert. Was soll’s, die Frauen begrüßen sich fast herzlich, Pia stellt das Tablett beiseite, beide reden kurz, dann führt sie uns zu einem der hinteren Tische, Caros Namen steht dort auf einem weißen Teller geschrieben, ein älterer Herr, ein pensionierter Nürnberger Notar, wie wir im Laufe des Abends beim hier anscheinend obligatorischen Tischgespräch erfahren werden, verspeist an einer Ecke der Tafel bereits genussvoll, konzentriert, fast andächtig eine formidable halbe Ente, wir grüßen, werden artig zurückgegrüßt und setzen uns.
Alles hier in der Gaststube ist irgendwie authentisch, mit der Zeit gewachsen, mit Patina. Steinfußboden, dunkle Holz-Kastendecke, rustikale Tische, Bänke, Stühle, bunte, grobe Tischwäsche, Papierservietten, einfaches Gastronomie-Besteck –Gläser und -Geschirr, ein großer alter Kachelofen, kein Quadratzentimeter der Wand, der nicht mit alten Bildern und gestickten Lebensweisheiten bedeckt wäre, liebevolle und durchaus geschmackvolle jahreszeitliche Tischdekoration, diffuses Licht: ein Ort zum Wohlfühlen. Auch wenn es angeblich Speisekarten in Englisch gibt, ich bin wahrscheinlich der einzige Nicht-Franke im ganzen Gastraum, hierher, abseits der Touristenpfade verirrt sich kaum ein Fremder, und all die Fremden, die diesen Ort gefunden haben und dann in ihren Blogs, Internetforen und Bewertungsseiten lobend über diesen wunderbaren Ort schreiben und ihn für Fremde noch bekannter machen, gehören eigentlich gehauen. (Aua!)
Die Speisekarte ist übersichtlich und – Gott sei Dank – frei von Convenience-Scheiß, Touristen-Anbieder-Burgern und Surf-and-Turf-Spinnereien: natürlich Fränkische Kartoffelsuppe (mit viiiiiiel Majoran), Bratwürste in jeder Form und Schäufele mit Kloss, dazu Rehragout, Steak, Hausmacher-Sülze mit Röstkartoffeln, ein paar Fischlein und für die Fraktion, die den Tieren lieber das Essen wegisst statt sie zu essen gibt’s hausgemachte Nudeln mit Gemüse oder mit Pilzsoße oder Salate. Nicht nur von der Papierform her ist das alles solide Fränkische Hausmannskost; dazu gibt es eine ordentliche Auswahl an Fränkischen Weinen – ich hatte einen (na gut, mehrere) Randersackerer Pfülben Riesling vom Richard Schmitt, Caro ein paar Gläser vom Sommerhäuser Ölspiel Spätburgunder vom Christoph Steinmann in Sommerhausen – und Schnäpsen, dazu Landwehr-Bräu von der Privatbrauerei Wörner in Reichelshofen bei Rothenburg o.d. Tauber. Das passt alles sehr gut. Während wir auf das Essen warten, erzählt mir Caro ihre Geschichte mit dem Laden. Als Student in Nürnberg hatte ihr Vater nicht sonderlich viel Geld, keine Fettlebe, meist Schmalhans als Küchenmeister, aber einmal pro Woche leistete er sich einen kalten Schweinbraten für 1,25 DM und eine Halbe Bier für 45 Pfennig in der Albrecht-Dürer-Stube, damals noch unter der Ägide von Josef Höllerzeder sen., der das Haus 1951 gekauft und eine Gaststätte daraus gemacht hatte. Und wenn ein hungriger Student weiland die Wirtin traurig anblickte, dann gab es noch umsonst eine weitere Scheibe Braten, und der Wirt zapfte brummig noch ein Gratis-Bier, heute nach wie vor eine nette Geste, aber in den fünfziger Jahren war das auch wirtschaftlich ein echtes Geschenk. Und solche Geschenke verbinden natürlich, solange Caro denken kann, speiste und speist die – zwischenzeitlich Dank des erfolgreichen Studiums zu reichlich Geld gekommene – Familie immer wieder in der Albrecht-Dürer-Stube, Familienfeiern wurden und werden hier im großen wie im kleinen Stil gefeiert, ihr Vater hatte seinen Stammtisch hier, mit dem jetzigen Wirt, Michael Höllerzeder, ging Caro zur Schule. Koch gelernt hat Michael Höllerzeder im Restaurant Bammes in Nürnberg-Buch, es folgten Stationen bei Dieter Müller auf Schloss Lehrbach, das Ritz Carlton Buckhead in Atlanta, der Lantana Collony Club auf den Bermudas, Manfred Burr in der Entenstubn sowie auf Schloss Reichenschwand, die ganz normale Ochsentour eines jungen Kochs also. Als er 2003 die Albrecht-Dürer-Stube von seinem Vater übernahm, traf er vielleicht die wichtigste und richtigste Entscheidung seines Berufslebens: er ließ alles weitgehend so, wie es schon immer war, er spielte nicht den gut kehrenden neuen Besen, obwohl er aus seinen Wanderjahren sicherlich genügend neue Ideen mitgebracht hatte. Aber Michael Höllerzeder machte stattdessen etwas viel Besseres und Größeres: er achtete und warte die Tradition und führte sie fort. Chapeau dafür, Michael Höllerzeder.
Der Erfolg gibt den Wirtsleuten Recht: die Albrecht-Dürer-Stube ist fast immer rappel-voll, ohne Reservierung (oder Beziehungen) geht hier fast gar nichts. Die Bedienungen sind auch bei vollem Haus schnell und freundlich, die Atmosphäre ist heimelig-gemütlich-authentisch. Die Speisen sind – sind wir ehrlich – derb und erdverbunden, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Das Schäufele ist resch und zart, der Kartoffelkloß hausgemacht, auf Wunsch bekommt man kostenlos einen Zweiten, die Bratensoße dazu ist wirklich zum Niederknien und frei von küchentechnischen Tricksereien, einfach so, wie sie aus dem Fleisch beim Schmoren tropft, eine echte, natürliche Bratensoße, das Blaukraut schlorzig, leicht süßlich, aber nicht matschig, sondern mit leichtem Biss. Ebenso perfekt die fleischige Ente, resche Haut, zartes Fleisch dazu nochmals ein perfektes kurzes Bratensößchen, diesmal aus der Ente getropft. (Es gibt mehr als genug Restaurants, in denen es eine fertige Braune Sauce gibt, wahrscheinlich wie weiland die universal eingesetzte Sauce Espagnole, jedoch heute aus dem großen Pulversack, nur noch mit Wasser angerührt und dann einheitlich über Steak, Braten, Ente und Lendchen gekippt: widerlich! Achten Sie mal auf die Saucen, wenn Sie in einem mittelmäßigen Restaurant zwei verschiedene Gerichte mit braunen Saucen essen – oft werden beide identisch sein, obwohl zu völlig verschiedenen Speisen, weil eben aus der Tüte!) Vorab ein Salat von gekochten Selleriescheiben und Feldsalat mit sehr gutem Essig-Öl-Dressing und die – obligatorische – Fränkische Kartoffelsuppe. Und zum Dessert zum einen eine gute, hausgemachte Bayrische Creme, nur was das Vanilleeis dazu sollte, habe ich nicht so recht verstanden und zum anderen ein Ziegenkäse im Kräutermantel mit Balsamicoreduktion, der wiederum schlichtweg zum Niederknien war, hier passt jede Geschmacks-Nuance zusammen. Das ist traditionelle fränkische Hausmannskost in handwerklich perfekter Vollendung in ausgesprochen angenehmer Atmosphäre, hier werde ich jetzt öfters hingehen, sofern ich ohne Caro überhaupt einen Platz bekomme. Aber verraten werde ich diesen Geheimtipp niemanden.
Restaurant Albrecht-Dürer-Stube
Michael Höllerzeder
Albrecht-Dürer-Straße 6 / Ecke Agnesgasse
90403 Nürnberg
Tel.: +49 (9 11) 22 72 09
Fax:+49 (9 11) 2 37 74 77
Email: info@albrecht-duerer-stube.de
Online: www.albrecht-duerer-stube.de, www.albrecht-dürer-stube.de
Hauptgerichte von 6 € (Sülze mit Röstkartoffeln) bis 15,50 € (Lammrücken-Filet mit Gemüse), Drei-Gänge-Menue von 13,20 € bis 28 €
Das sagen die Anderen:
Guide Michelin: n.a.
Gault Millau: n.a
Gusto: n.a.
Schlemmer Atlas: 1 von 5 Kochlöffeln
Feinschmecker: n.a.
Varta: n.a.
Holidaycheck: 5,8 von 6 Sternen (bei 2 Bewertungen)
Yelp: 4,5 von 5 Sternen (bei 58 Bewertungen)
Tripadvisor: 4,5 von 5 Punkten (bei 612 Bewertungen)
Google: 4,5 von 5 Sternen (bei 132 Bewertungen)