Summa summarum: domestizierter Pseudo-Italiener, der alle teutonischen Klischees angeblich typisch italienischer Gerichte von A wie Antipasti über P wie Pasta und Pizze bis Z wie Zuppa Romana industriell-mechanistisch reproduziert, ohne eigenen Küchenstil, ohne geschmackliche Highlights, ohne exzeptionelle Rohstoffe, das meiste mit dem Ruch der Convenience, halt so, wie sich Klein-Herrmann eben Bella Italia vorstellt, aber dafür mit echt italienischem Servicepersonal und regelmäßig brechend voll. Der notorisch grantelnde Rezensent ahnt, warum: hier treffen vielleicht schlechter Geschmack und schlechte Küche zusammen, und Minus mal Minus macht ja nun bekanntermaßen Plus.
Ein kalter Februar-Samstagabend in Augsburg, Caro und ich sind schon kurz nach Fünf aus dem Haus, da uns massiv hungert. Wir wollen in mein Lieblingslokal, die Ecke, an der Tür finden wir einen Zettel, man mache Betriebsferien; auf ihre Homepage, wo ich vor keiner Stunde noch sicherheitshalber nachgeschaut hatte, konnten die das nicht schreiben. Gnumpf. Es ist noch keine Sechs, vielleicht schaffen wir es ja, in Nikos Werkstatt Enothek ohne Reservierung einen Platz zu ergattern, also tapfer durch die Altstadt und die Kälte zum Hinteren Lech gestapft. Gelächter: die Leute stehen vor dem kleinen Griechen, der eigentlich nur Mezze serviert, bis auf die Straße Schlange, keine Chance, hier ohne Reservierung reinzukommen. Ein Besuch bei Niko will dieser Tage langfristig und generalstabsmäßig geplant sein. Wir wollen jetzt Essen und nicht Spazieren, außerdem ist es kalt, ein paar Häuser weiter ist das Teatro, als das Restaurant noch in der Komödie untergebracht war, war es gar nicht mal schlecht und durchaus ambitioniert. Also Nudeln statt Skrei oder Fava.
Schon um Sechse ist es brechend voll im Teatro. Nach einiger Zeit dummen Rumstehens schallt es uns entgegen: „Buonasera signora, signore!“ Und dann weiter auf Deutsch mit typisch italienischem Zungenschlag: „Haben Sie reserviert?“ Nein, haben wir nicht, vor fünf Minuten wussten wir ja noch nicht einmal, dass wir hier landen würden. Ohne Reservierung bleibt uns nur ein winziger Katzentisch am Schanktresen. Nun denn, wir haben Hunger, sei’s drum. Über die Einrichtung verlieren wir jetzt mal kein Wort, „gemütlich“, „stylisch“, „authentisch“, „rustikal“, „nobel“ gehen allesamt anders, aber vielleicht klappt eine Beschreibung ex negativo: „ungezwungen“, „unambitioniert“, „ungemütlich“. Das Service- und Küchenpersonal scheint tatsächlich Großteils italienisch zu sein (nicht vietnamesisch oder türkisch – das ist jetzt in keiner Weise rassistisch gemeint, nur habe ich den Eindruck, dass in letzter Zeit immer mehr alteingesessene italienische Lokale von Vietnamesen oder Türken gekapert oder neu gegründet werden; ich sage da nur „Schuster bleib‘ bei deinem Leisten“, diese Art von kulinarischer Internationale mag ich nun gar nicht, Pizzen sollten von Italienern gebacken werden, nicht von Vietnamesen, nicht von Deutschen, von Türken vielleicht als Pide, und schon gar nicht von Amis), die lingua franka des Personals untereinander scheint eine Art „Deunisch“ zu sein. Die Speisekarte zu beschreiben, lohnt auch nicht weiter, drei eng beschriebene DIN A4 Blätter mit allen möglichen Kombinationen von Nudelformen und -saucen, die üblichen kurzgebratenen Fleischgerichte von Schwein, Rind, Kalb, Lamm und zusätzlich noch Truthahn (!?), ein paar Fische, die ich alle schon mal in der Tiefkühle gesehen habe, gut zwei Dutzend Pizzen, Klischee-Desserts, keine Tageskarte, über die Weinkarte decken wir den Mantel des gnädigen Schweigens. Es gibt Carbonara mit Sahne und Spaghetti Bolognese, beides untrügliche Zeichen, dass es sich um alles andere als einen „echten“ Italiener handelt (Sahne hat niemals etwas in einer Carbonara verloren, und Ragout Bolognese wird niemals mit Spaghetti, sondern immer nur mit Tagliatelle serviert). Sei’s nochmals drum. Und doch, in Abwandlung von Boëthius: „Si esurisset, beatus mansisses.“
„Wenn das Essen hier das hält, was die Speisekarte verspricht, dann Gnade Dir Gott!“ zischt Caro bereits reichlich angepisst, und das, obwohl Caro eigentlich hart im Nehmen ist. Wenn Caro droht, „Gnade Dir Gott“, dann bin ich immer sehr verunsichert. Besseren Falls zerrt sie einen vor den Kadi, was als Top-Anwältin und ehemalige Staatsanwältin und Richterin ja ihr täglich Brot ist, und Prozesse verliert sie ausgesprochen selten. Schlimmeren Falls semmelt sie einem eine rein, und das kann weh tun, da ist sie nicht zimperlich. Schlimmsten Falls jedoch ist sie gram und setzt mich auf Liebesentzug, damit kann ich nun gar nicht umgehen.
Was dann kommt, übertrifft die schlimmsten Erwartungen bei weitem. Die Bruschette sind vier geröstete, zum Teil verbrannte Baguettescheiben, zwei durchgeweicht von absolut geschmacklosen Tomatenstücklein mit grünen Punkten, wahrscheinlich soll das Basilikum sein, zwei mit einmal in der Pfanne geschwenkten – von sautiert kann hier nicht die Rede sein – wabbligen, ebenfalls geschmacklosen Champignon-Fragmenten. Der kleine gemischte Salat ist – wie so oft – extrem Eisbergsalat-lastig, dicke, ungeschälte Gurkenscheiben, wieder geschmacklose Tomatenschnitze, ein paar Alibi-Möhren- und Zwiebel-Stücklein, etwas Rucola, der angebliche Balsamico dazu ebenso wie das Olivenöl als Dressing unter aller Kanone. Die Zuppa di Fagioli entpuppt sich als wässrigen Dosentomatenbrühe mit geviertelten Cherrytomaten, fast rohen Zwiebelwürfeln und einem Löffelchen Kidney-Bohnen aus der Dose; bei Artusi lauten die Rezepte für italienische Bohnensuppe irgendwie anders. Die Lasagne besteht aus gekochten, dicken Nudelteigblättern mit einem tomatisierten Hack-Pamp dazwischen, kurz erwärmt und überbacken mit übelschmeckendem Käse, keine Spur von Béchamel, dazu in der Mitte noch kalt. Die Pizza nämlich, jeder Kritik unwürdig. Als der Schankkellner direkt vor unseren Augen eine große Pappschachtel aus der Kühle holt und daraus industriell gefertigte und vorkonfektionierte Tiramisu-Stücklein auf Desserttellern verteilt, verzichten wir dankend auf den Nachtisch.
Sagen wir mal so: der restliche Abend mit Caro verlief nicht allzu harmonisch. Danke, Al Teatro.
Al Teatro Ristorante Augsburg
Bei St. Ursula 1
D – 86150 Augsburg
Tel.: +49 (8 21) 2 46 42 31
Facebook: https://www.facebook.com/alteatro.augsburg/
Hauptgerichte von 5,50 € (Spaghetti Pomodoro) bis 24,90 (Rinderfilet mit div. Saucen), Drei-Gänge-Menue von 14 € bis 46,70 €; Pizzen von 8,50 € bis 13,90 €