Heiko Antoniewicz: Gewürze – Das Kochbuch

Zuerst einmal ist es opulentes Buch, das der Dorling Kindersley Verlag hier vorlegt, schweres Papier, natürlich 4c hochglanz, gekonntes, anspruchsvolles Layout, jedes Kapitel in einer anderen, eigenen, stimmigen Farbgestaltung, keine eng bedruckten Seiten, optisch klare Strukturierung der Texte und Rezepte, nicht nur wunderschöne, sondern auch sehr hilfreiche Bilder jedes Gerichts und jedes vorgestellten Gewürzes von der italienisch-deutsch-schweizerischen Photographin Vivi D’Angelo. So macht Buch schon vor dem eigentlichen Inhalt ganz einfach haptisch-optisch Spaß, es wäre eine Schande, dieses Buch auf dem Kindle zu lesen.

Nach seinen beiden Aromen-Kochbüchern (Flavour Pairing: Das Spiel der Aromen, 2013; Aromen – Das Kochbuch: Kreativ kombinieren für neue Geschmackserlebnisse. Genial kochen mit Foodpairing, 2021) liefert der Autor Heiko Antoniewicz, seines Zeichens gelernter Koch und heute freier Berater in Sachen Kochen, nun ein Werk speziell über Gewürze. Auch wenn er nicht durch Fernseh-Kochshows tingelt, ein oder gleich mehrere Sterne-Restaurants betreibt oder sich vor jede laufende Kamera wirft ist Antoniewicz kein Unbekannter. Es gibt wohl wenige kulinarische Trend-Themen der letzten Jahrzehnte, zu denen er kein Buch geschrieben hätte: Absinth (2003), Fingerfood (2007, 2013), Molekularküche (2008), Brot (2010), Fermentation (2015, 2021), Lebensmittelveredlung (2017), Vegetarismus (2017), Sous-vide (2018), kulinarische Aschen (2020), BBQ (2022). Außerdem stammt von Antoniewicz das – meines Wissens – erste deutschsprachige, ehrenrette, klug erklärende Buch zum Thema Umami, den fünften Geschmack, jenseits des dummen Geschmacksverstärker- und Glutamat-Geschreis. Just dieses letzte Buch ist nicht bei der Random House Tochter Dorling Kindersley erschienen, sondern bei dem engagiert Wiesbadener Kleinverlag Tre Torri, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die meisten Bücher von Antoniewicz werden bei Matthaes, einem hochpreisigen Imprint von Dorling Kindersley für die Zielgruppe Profi-Köche verlegt.

„Gewürze“ ist nun das erste Werk von Heiko Antoniewicz, das unter dem (wohlfeileren) Imprint Dorling Kindersley direkt erscheint und sich nicht nur an Profis, sondern an einen größeren Leserkreis richtet. In der Einleitung erzählt er im Plauderton über Gewürzregale in Studentenbuden und Weltreisen mit kulinarischen Entdeckungen auf exotischen Märkten und in fremden Restaurants. Er beschreibt damit klug kulinarische Grenzüberschreitungen, das Verlassen der eigenen gustatorischen Komfortzone, die geprägt und limitiert ist von der eigenen kulinarischen Tradition.  Die eine oder andere Plattitüde dabei („Gewürzmischungen sind eine Mischung verschiedener Gewürze.“) seien verziehen. Danach stellt der Autor kenntnisreich und gefällig insgesamt 66 Gewürze vor, von Anis bis Zimt sowieso, aber auch unbekanntere Gewürze wie Likama Hloa oder Cascara. Von jedem einzelnen Gewürz gibt es ein Photo und es wird erklärt, von welcher Pflanze und aus welcher Region es stammt, wie es gewonnen und verarbeitet wird, wie und in welchen Qualitäten es in den Handel kommt, welchen Geschmack und Charakter es hat, wie es verwendet wird und zu welchen Lebensmitteln es u.a. besonders gut passt. Es ist erfrischend sachlich, dass Antoniewicz hier bewusst auf Anekdoten wie angeblich aphrodisierende Wirkungen oder historische Episoden verzichtet und sich auf das Wesentliche konzentriert.  Er teilt die Gewürze in vier Klassen ein: „Waldbaden: herb, harzig, bitter, frisch, eukalyptisch, kräuterig, röstig“ (z.B. Birkenrinde, Dill, Orangenblüte), „Sprung ins kalte Wasser: salzig, erfrischend, kühl, klar, sauer, fruchtig“ (z.B. Tamarinde, Waldmeister, Kapern), „Hitze der Nacht: scharf, schwer, indisch, rauchig“ (z.B. Habanero-Chili, Piment, Schwarzkümmel) sowie „Windspiel: leicht, süß, sanft, zart, blumig, elegant“ (z.B. Süßholz, Kerbel, Zitrusfrüchte). Für acht ausgewählte Gewürze beschreibt Antoniewicz zusätzlich ein Gewürzpairing, d.h., zu welchen anderen Gewürzen und Lebensmitteln sie besonders gut passen.

Ergänzt wird diese Gewürzkunde durch insgesamt 75 passende Rezepte zur – oft ungewöhnlichen – Verwendung dieser Gewürze. Die Rezepte sind klar geschrieben und hervorragend gelayoutet, sozusagen „idiotensicher“. Die meisten dieser Rezepte sind durchaus bodenständig und auch für den Laien problemlos nachkochbar, etwa Rinderhüfte mit Artischockenböden, nur, dass die Rinderhüfte mit Drachenblut-Salz und die Artischocken mit Zitronenthymian gewürzt werden. Oder ein Bohneneintopf mit getrockneten Sellerieblättern, Djah Oftadeh und Chili. Aber es finden sich auch exotische Rezepte wie Linsendaal oder anspruchsvollere Gerichte wie Vanille-Schellfisch mit Espressosahne. Ergänzt werden diese Rezepte durch ein Glossar von Grundrezepten wie Vinaigrettes oder Fonds. Hier fällt allerdings negativ auf, dass der Autor unkommentiert etwa „Sojasauce“ oder „Balsamico“ als Zutat vorschreibt, ohne mit einem Wort auf die immensen Qualitäts- (und Preis-) Unterschiede bei diesen starken Basis-Würzzubereitungen einzugehen.

Zu jedem Rezept gibt es immer ein hervorragendes Photo des fertigen Gerichts, das zum einen eine Vorstellung davon gibt, wie der Teller aussehen sollte, wenn man es nachkocht und das zum anderen einfach Appetit macht. Die Photographin Vivi D’Angelo verzichtet dabei auf jegliche überflüssige Dekoration, keine alten Kaffeemühlen, neblige Toskana-Landschaften, verträumte junge Frauen in weißen Gewändern oder sonstigen optischen Tand. In jedem der Rezepte geht es immer um eine neue, gezielte Verwendung der vorgestellten Gewürze, für den Leser ist das ist ein Verlassen der eigenen kulinarischen Komfortzone, eine gustatorische Grenzüberschreitung zum Nachkochen.

Heiko Antoniewicz: Gewürze – Das Kochbuch ist eine ganz andere Liga als die diversen Gewürzkochbücher des – Verzeihung, ich weiß, don’t kick a man, when he’s down – gefallenen „Gewürzpapstes“ Schuhbeck mit ihren penetranten Anpreisungen der eignen, überteuerten Gewürzmischungen; an der einen oder anderen Stelle kann es sich Antoniewicz allerdings auch nicht verkneifen, seine eigenen Gewürze en passant zu erwähnen.


Heiko Antoniewicz: „Gewürze – Das Kochbuch. DAS Kochbuch rund um Gewürze mit mehr als 75 Rezepten vom Spitzenkoch“, Photos von Vivi D’Angelo, Verlag Dorling Kindersley, München 2023, ISBN 978-3-8310-4500-6, 34,95 €

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