Zum Schwejk in Karlsbad: Pauschaltouristenabfütterungsanstalt mit verstecktem Potential

Summa summarum: Pauschaltouristenabfütterungsanstalt mit vielen grausamen Gerichten, aber traditionelle, grobschlächtige, nichtsdestotrotz wohlschmeckende, derbe, kräftige, ursprüngliche Schmorgerichte und Knödel, das können die im Schwejk.

 

Gelegen mitten an der Idiotenrennmeile von Karlsbad an der Tepl, voll mit Luxus-Ramsch-Läden, anscheinend vor allem für Russen, Tinnef-Souvenir-Ramsch-Läden für die weniger Bemittelten, Hotels, öffentlichen Mineralwasserbrunnen, Fast-Food-Kiosken und Schönheitskliniken, wo sich tagtäglich zehntausende von Pauschaltouristen  die Ärsche dicht an dicht aneinander reiben und jeden Schund käuflich erstehen, dessen sie habhaft werden können, eine etwas zerrupfte, lebensgroße Puppe der tschechischen National-Ikone Schwejk in Uniform in einem Rollstuhl als Blick- und Publikumsfang vor dem Haus, das Touristenvolk posiert gerne neben der Schwejk-Puppe für Erinnerungsphotos, dahinter ein Freisitz in einer schmucklosen Häusernische mit Klapptischen, Stühlen und zerschlissenen Sitzauflagen, irgendwo dazwischen der Eingang in dieses unselige, besonders bei Russischen Gästen beliebte „Bier-Spa“, wo man alleine oder in Gesellschaft in großen hölzernen Bottichen voller lauwarmen Bieres baden kann,  das Lokal Zum Schwejk selber verwinkelt, rustikal, Steinfußboden, schmucklose Wirtshausmöbel, blanke Tische, an den Wänden hier und da ein paar tschechische / böhmische / kuk Erinnerungsstücke, eine Speisekarte in wenigstens einem Dutzend unterschiedlicher Sprachen, von denen Koreanisch beileibe nicht die Exotischste ist, und für die ganz Tumben dann auch noch eine Speisekarte in Bildern, Photos der angebotenen Speisen, auf die man dann nur noch zu zeigen braucht, eine bunte Gästeschar aus aller Herren Länder, meist in großen Pulks nach Nationalitäten zusammengepfercht, zuweilen auch geleitet (oder getrieben, je nachdem, wie man’s sieht) von einem unerbittlichen Reiseleiter oder Busfahrer (der gewiss sein Schärflein von den Restaurantbesitzern erhält für jede Fuhre Zahlvieh, die er hier ablädt), der die Speisekarte erklärt, Sammelbestellungen aufgibt, wo notwendig dolmetscht und der immer auf die Zeit drängt, weil heute muss es noch weiter bis nach Prag gehen, andererseits die durchweg männlichen tschechischen Bedienungen in leicht abgehalfterter schwarzer Kellnermontur, professionell, schnell, abgebrüht, emotionslos, funktionierend, verbindlich, ein Lächeln nur in Ausnahmefällen, selbst den Ketchup über der gebratenen Ente ohne ein Wimperzucken dickhäutig ertragend, verdammt gute Teamplayer perfekt aufeinander eingespielt, die den Landen am Laufen halten und aus ihm wahrscheinlich eine Goldgrube machen.

Jede Faser meines kulinarischen Ichs schreit „Renn! Renn soweit und so schnell Dich Deine Füße tragen!“ angesichts dieses gastronomischen Tableaus. „Wenn Du in Karlsbad bist“, hatte Pavel, der Barkeeper aus der Black Angel’s Bar in Prag, schon vor Jahren eindringlich zu mir gesagt, „dann geh in den Schwejk. Lass Dich nicht vom Äußeren abschrecken, geh hin und iss eine Svícková mit Böhmischen Knödeln, trink ein Pilsener Urquell vom Fass, und dann sag mir, ob ich Dir schlecht geraten habe.“ Pavel kann sehr gute Martinis mixen, also vertraue ich ihm. Ich setze mich an einen der Tische vor dem Haus, sofort reicht mir einer der Kellner die dicke, abgegriffene babylonische Speisekarte und fragt – er hat mich wohl schon als Deutschen identifiziert – routiniert auf Deutsch mit tschechischem Akzent: „Trinken? Bier?“ „Was haben Sie vom Fass, Pilsener oder Budweiser?“ frage ich zurück, denn – obwohl beide Biere sehr gut sind – mag ich lieber Budweiser. „Pilsener, wir haben nur Pilsener, ist viel besser!“ knurrt der Kellner in einem Tonfall zurück, der es geraten scheinen lässt, jetzt unbedingt und ausschließlich und sofort Pilsener Urquell zu bestellen, was ich dann auch tue und keine drei Minuten später, als der frisch gezapfte, süffige, richtig gekühlte, mit der richtigen Mengte Kohlensäure versehene Humpen Pilsener Bieres unter einer weißen Schaumkrone vor mir steht auch nicht bereue. Wie mir von Pavel geheißen, bestelle ich eine Svícková mit Böhmischen Knödeln, denn ich liebe Svícková mit Böhmischen Knödeln. Für alle mit der Tschechischen / Böhmischen Küche nicht so vertrauten: Svícková ist ein Rinderfilet oder ein Falsches Filet, das angebraten wird, sodann werden Zwiebeln, Möhren, Petersilienwurzeln und Knollensellerie leicht geröstet, mit wenig Brühe abgelöscht, das Fleisch darauf gelegt, mit Pfefferkörnern, Pimentkörnern, Wacholderbeeren, Lorbeerblättern, gemahlenem Ingwer, Thymian und Salz gewürzt, alles muss dann unter ständigem Begießen und Wenden – je nach Fleisch – ein bis zwei Stunden im geschlossenen Topf bei geringer Hitze geschmort werden; wenn das Fleisch weich ist, fischt man Pfeffer, Piment, Wacholder und Lorbeer wieder aus der Sauce, gießt reichlich Sahne an, püriert alles mit einem Schneidestab und schmeckt zum Schluss mit etwas Zitronensaft ab. Die aufgeschnittenen Fleischscheiben werden mit Sauce überzogen und mit Böhmischen Hefeklößen, einem Klecks Preiselbeerkompott und Sprühsahne auf einer Zitronenscheibe serviert; ich vergesse regelmäßig, das – aus meiner Sicht völlig überflüssige, aber originale – Kompott, die Zitronenschale und die Sprühsahne abzubestellen und entsorge alles sofort beim Servieren. Der Rest ist delikat … wenn er richtig zubereitet ist, und – bei Gottfried – im Schwejk in Karlsbad sind Svícková und Hefeklöße delikat. Um das Ganze in die richtige Relation zu stellen: nicht etwa delikat wie ein perfekt geräucherter Balik-Lachs oder so, sondern delikat wie ein Braten bei Oma am Sonntag auf dem Lande, früher, als man noch klein war und vom Spielen im Garten richtig Hunger hatte. Überhaupt sind alle Gerichte, die man lange in einem großen Topf schmoren oder kochen muss, sehr, sehr gut im Schwejk: ein tadelloses Gulasch mit Fleischbrocken ohne allzu viel Fett und Sehnen in einer sämigen, Zwiebel-gebundenen, dunklen, kräftigen Sauce, ein geräucherter Schweinehalsbraten mit Sauerkraut, die Hühnersuppe,  aber auch die Schweinshaxe oder die halbe Ente – alles natürlich mit Knödeln (Böhmisch, Kartoffel, Semmel, Speck): hier hat man im Schwejk einfach den Durchsatz, um jeden Tag ich weiß nicht wie viele Schweinebeine, Enten, Schweinehälse und Falsche Filets zuzubereiten und frisch zu verkaufen, hier werden nicht Einzelportionen – seien sie hausgemacht, seien sie zugekauft – aufgetaut und erwärmt, hier wird aus dem vollen Schmortopf frisch geschöpft, solche Gerichte gehen eben in der Qualität nur, wenn man ein paar hundert Portionen am Tag verkauft. Natürlich gibt es auch hier eine andere Seite der Medaille: das ganze individuell kurzgebratene Zeugs, die trockenen Putensteaks mit Convenience-Sahnetunke und Pfirsich, die Schnitzel mit TK-Gemüse, die vorgefertigten gebackenen Camemberts, die aufgetauten Fischlein, die miserabel geputzten Salate mit Eimer-Dressing, das Fertig-Eis mit TK-Himbeeren und Sprühsahne … das alles braucht kein Mensch, das ist gerade noch gut genug, um an die Pauschaltouristen verfüttert zu werden. Aber ich bleibe dabei, auch wenn ich dafür gescholten werde: traditionelle, grobschlächtige, nichtsdestotrotz wohlschmeckende, derbe, kräftige, ursprüngliche Schmorgerichte und Knödel, das können die im Schwejk.

Jedes Mal, wenn ich in Karlsbad bin, muss ich in den Schwejk. Hier verändert sich offenbar nichts, noch nicht einmal die Preise steigen. Wenn man ein paar Tage hintereinander jeden Mittag sein Mittagessen hier einnimmt, dazu liest, schreibt, Pilsener und Becherovka (der Karlsbader Schnaps) trinkt, in die Sonne blinzelt, dann werden die mürrischen Kellner auch irgendwann handzahm. Gespräche entwickeln sich, Bier und Schnaps werden automatisch nachgeschenkt, wenn die Gläser leer sind, man erlebt die Menschen hinter den Bedienungs-Maschinen, „Vždy tyto Araby se svými přáními!“ schimpft einer mal wieder leise auf Tschechisch auf dem Weg zum Schanktresen, man selber wechselt ein ganz klein wenig, für kurze Zeit, die Fronten vom Durchreisenden zum Bleibenden, und sei es nur für eine Woche, die anderen werden nach einer Stunde schon wieder weg sein. Es ist eigentümlich … und lecker.

 

Wirtshaus ZUM SCHWEJK
Familie Řezníček
Stará Louka 352/10
360 01 Karlsbad
Tschechische Republik
Tel.: +4 20 (3 53) 23 22 76
Fax: +4 20 (3 53) 58 55 01
E-Mail:  svejk.kv@seznam.cz
Internet: www.svejk-kv.cz/de

Hauptgerichte von 9,00 € (Truthahnsteak mit Pommes) bis 19,70 € (Lammhaxe mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 14,30 € bis 34,90€

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One comment

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    mittlerweile ist klar, Sie sind einer, der die rustikalen Dinge liebt. Na ja, wer solch eine Schweinehaxe verdrücken kann, an dem ist ebenfalls was dran. Die Schweinehaxe sieht sehr gut aus, das Fleisch hat eine rote Farbe, daher darf man annehmen, dass es zuvor gepökelt wurde?

    Macht nix, schmegge musses, gell!

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