Seit Jahrzehnten bin ich ein bekennender und begeisterter Fan der Brennerei Ziegler aus Freudenberg am Main, einem elenden Kaff in Churfranken. Scheinbar ein kleiner, alter Familienbetrieb, mit 18 Mitarbeitern und 6 Millionen EURO Umsatz sympathische Manufakturgröße, offene Brennanlage neben dem kleinen Verkaufsraum, grundsolide, exzellente Produkte, nur regionale, heimische Zutaten und Produktion, Doppelbrennverfahren, lediglich der Mittellauf wird verwendet, mit Paul Maier und Max Kirchner zwei nicht nur ausgewiesen kompetente, sondern auch sehr nette Destillateure, der Ziegler Wildkirsch Nr.1 ein legendäres, kultiges Premium-Produkt, konsequente Hochpreispolitik, keine Rabattschlachten, kaum Werbung, ausschließlich im sehr gut sortierten Spirituosenfachhandel und gehobenen Restaurants erhältlich, … so – stellt man sich vor – geht Genusshandwerk. Die Wirklichkeit ist mittlerweile anders, auch wenn die Obstbrände von Ziegler nach wie vor exzellent sind. 1865 gründeten Josef und Matthäus Ziegler die Brennerei, 1991/92 verscherbelt Thomas Ziegler das Familienunternehmen an den Leibbrand-Clan, der gerade seine Verbrauchermärkte – u.a. HL, Penny, toom, miniMal – mit über 13 Milliarden DM Umsatz an die REWE-Gruppe verkauft hatte und wohl angenehmere Investments als Billigbutter und Baubedarf mit dem Verkaufserlös suchte. Das Engagement der Leibbrands dauerte allerdings nicht lange, 1998 übernahm die Hawesko Holding Aktiengesellschaft das Unternehmen. Hawesko, das steht für Hanseatisches Wein- und Sekt-Kontor, ein Hamburger Großhandelsunternehmen für den Alkoholika mit rd. 1.000 Mitarbeitern und einer halben Milliarde EURO Umsatz. Zu Hawesko gehören u.a. Jaques‘ Weindepot, Wein Wolf, Vinos und eben Ziegler, insgesamt listet der Spritkonzern 30 Unternehmen im Konsolidierungskreis seines Jahresabschlusses (2017) auf. Das 1964 gegründete Unternehmen wurde 2015 im Rahmen einer feindlichen Übernahme mehrheitlich (72,6%) von der TOCOS Beteiligung GmbH geschluckt, die wiederum einem Detlev Meyer gehört, der sein Vermögen u.a. mit den Textilmarken Street One und Cecil gemacht hat, deren Verkauf ihm lt. manager magazin +/- 1 Milliarde EUOR beschert haben dürfte. „Investor Detlev Meyer ist das Phantom von Hawesko“ titelte die Lokalpresse geradezu ängstlich angesichts der Übernahme (Hamburger Abendblatt 24.01.2015), auch wenn das manager magazin Meyer bescheinigt, dass er „als bescheiden, als guter Kaufmann und Unternehmer“ gelte, den nicht das große Geld locke und der auch mit Schickeria nichts anfangen könne. (manager magazin 21.01.2015) Er wolle Hawesko nach einer Übernahme weder von der Börse nehmen noch verkaufen, sondern als Mittelständler das Unternehmen aufbauen und dazu die Dividendenausschüttung an die Aktionäre halbieren, zitiert Die Welt Meyer (17.11.2014).
Seit Ziegler zu Hawesko gehört, besonders aber seit Hawesko Detlev Meyer gehört, hat sich vieles geändert in Freundenberg, dem elenden Kaff in Churfranken, auch wenn äußerlich noch immer der Anschein der kleinen regionalen Spirituosen-Manufaktur auf dem Lande gewahrt wird. 2010 präsentierte Ziegler seinen eigenen Single Malt Whisky, Aureum geheißen, Luc liebt ihn, mich reißt er nicht vom Hocker, aber sei’s drum, seit dem Slyrs-Hype muss ja offensichtlich jede Deutsche Brennerei, die was auf sich hält, plötzlich auch Whisky machen. Es folgte eine Grave Digger – Version des Aureum in Zusammenarbeit mit der gleichnamigen Deutschen Schwermetallmusiktruppe, weitere Sondereditionen kamen und kommen hernach, gerne auch schon mal für deutlich über 200 EURO der Liter. Dann malte man die typischen Ziegler-Flaschen neon-bunt an, füllte nach meinem Geschmack mäßige Schnäpse rein und nannte das Ganze KVLT, „puren … Genuss gepaart mit einem jungen, fröhlichen Lebensgefühl“ für 100 bis 240 EURO den Liter, es folgten Jahrgangsraritäten von Obstbränden in wertigen Flaschen für 1.000 EURO der Liter. 2015 sprang Ziegler recht spät auf den Gin-Hype auf und brachte mit G=in3 einen eigenen Gin für 180 EURO den Liter auf den Markt, auch den halte ich – so sehr ich die Freundenberger Brennkunst sonst nach wie vor schätze – für mehr als mäßig, es folgten weitere Gin-Versionen mit Tee oder Apfel. Dieser Tage wurden die ersten beiden eigenen Rums von Ziegler fertig, ARUAK und amRum, jeweils für knapp 200 EURO der Liter. Darum herum erweitert sich das Produktangebot ständig, Essige, XXL-Design-Abfüllungen, Gläser, Seidentücher, Aschenbecher, Geschenkboxen, limitierte Sonderabfüllungen, jetzt noch ein Blau-Weißer Oktoberfest-Schnaps. Most likely much more to come.
Wegen just jener beiden erwähnten Rums war ich jüngst an einem Samstagnachmittag wieder vor Ort im Manufaktur-Verkauf in Freudenberg, seit drei Jahren warte ich auf die Rums, jetzt sind die ersten Fässer abgefüllt und ich war natürlich neugierig wie sonstwas. Der kleine, eigentlich sehr gemütliche Laden in dem alten Backsteingebäude neben den Brennblasen war voll bis obenhin mit aufgekratzen Menschen, denen ich wahres Connaisseurtum nicht wirklich zutrauen würde. Die beiden anwesenden Ziegler-Mitarbeiter hatten alle Hände voll zu tun, frische Gläser heranzuschaffen und diesen Menschen reichlich Probeschlucke einzuschenken, dazu fachsimpelten die Schluckenden über Geschmäcker und Gerüche wie die Blinden über die Farbe, es war echt drollig, denen zuzuhören. Der massive Gratis-Alkoholkonsum jedenfalls zeigte offensichtlich Wirkung, vor der Kasse bildete sich eine mit massenweise Flaschen bepackte Menschentraube, und die Menschen kauften zuhauf Schnapsflaschen, die oft deutlich teurer gewesen sein dürften als die durchgelatschten, ungepflegten Discounter-Schuhe der Käufer (den Sozialstatus von Menschen vermag man in der Regel eben wirklich ganz einfach an den Schuhen zu erkennen, wo Rolex, Armani und Chanel gefälscht sein können, gibt der Zustand von Schuhen verlässlich Auskunft über ihre Träger, je schäbiger desto unten). Um uns kümmert sich in diesem ganzen Tohuwabohu niemand. Als ich schließlich eines jungen Mannes im bestickten Ziegler-Polo habhaft werden konnte um nach den Rums zu fragen, goss er uns zwar tatsächlich zwei Probeschlucke ein, aber er konnte weder sagen, woher die Melasse stammt, noch in welchen Fässern und wie lange die Rums gelagert hatten, „Da müssen’se auf den Paul warten, unseren Brennmeister, der kommt nachher, der kann Ihnen das sagen.“, war die lapidare Auskunft. Als dann noch eine weitere Besuchertruppe in das kleine Lädchen stürmte ohne das die erste Truppe vollständig abkassiert war, verließen wir den Ort, ohne neuen Rum und ohne meine geliebte Walderdbeere.
Warum ich das schreibe? Nein, ich gönne jedem Deichmann-Schuhträger guten Schnaps, ich freue mich sogar, wenn man sich jenseits bebusselnden Schicki-Micki-Abschaums und esoterischen Feinschmecker-Packs für gute Lebensmittel (gehört Branntwein zu den Lebensmitteln?) interessiert und diese auch goutiert. Darum geht es nicht. Es geht um etwas anderes, was man gemeinhin wohl als „brand extension“ bezeichnet. Da gibt es einen historisch gewachsenen, bestens reputierten, exzellenten Markenkern, die Ziegler Obstbrände, und darum herum werden neue Produkte entwickelt und im Markt platziert, Whiskys, Gins, Rums, Life-Style-Derivate, Premium-Editionen, Geschenk-Tinnef. Marketing-technisch macht das sehr viel Sinn und trägt wahrscheinlich nicht unerheblich nicht nur zur Profitabilität des Hauses Ziegler bei, sondern auch zur Zukunftssicherung durch Diversifikation und Erschließung neuer Zielgruppen. Einerseits. Andererseits trägt das aber auch zur Verwässerung der Kernmarke bei, und das ist immer auch ein gefährliches Unterfangen. Natürlich kenne ich diese ganzen Worthülsen wie „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ oder „Wer aufgehört hat, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.“ oder „Old ways won’t open new doors.“, mit denen sich mehr oder minder panische Unternehmer vor sich selber hertreiben, und sicherlich ist da auch einiges Wahres dran, zumal in einer globalisierten konkurrenzgedrückten Welt. Aber muss das wirklich auch für einen Premium-Schnapsbrenner gelten? Klar, dann und wann mal eine neue Brennanlage oder Gärtanks, mal ein Relaunch der Etiketten, mal Lancierung einer neue Sorte, mal Einstellung einer alten Sorte, das gehört sicherlich zum normalen Lebenszyklus eines Unternehmens, auch einer Brennerei, aber diese Marketing-Hektik, die sich da beim Ziegler breit gemacht hat, die finde ich echt Scheiße.
Zufällig drauf gestoßen.
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Traurig, aber leider sehr wahr.
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Schön jedoch, welche Liebe zu guten Bränden durch die Zeilen scheint.
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Danke!
Diese Zeilen beinhalten mehr Wahres als 50 Ausgaben des „DER SPIEGEL“ zusammen. Bravo. Treffender kann man es nicht beschreiben. Werden sehen, wie es jetzt unter neuer Führung mit neuem Eigentümer dort weitergeht. Habe wenig Hoffnung.
Vor Jahren hatte ich ebenfalls Schnäpse bei Ziegler gekauft, sehr gern den Wildkirchenbrand. Irgendwann flüsterte mir ein Bekannter ins Ohr, dass es bessere Edel-Brennereien gäbe.