Summa summarum: idyllischer Fränkischer Landgasthof abseits ausgetretener Touristenpfade mitten im Wald, rustikale Zimmer, heimelige Gaststuben, hübsche Terrasse, drei freilaufende Pfauen, nettes Personal, derbe, aber ordentliche bürgerliche Fränkische Küche ohne vegan, Burger und Zeitgeist.
Die Geschichten ähneln sich meist: irgendwann zwischen Mittelalter und früher Neuzeit durchstreift ein wackerer Landmann die Wildnis, trifft auf ein krankes Tier, das aus einer Quelle trinkt und gesund, gestärkt und verjüngt von Dannen springt. Darauf trinkt auch der Landmann und fühlt sich nicht nur erquickt, sondern geheilt von zahlreichen Gebrechen. Der Landmann tut frohe Kunde von der heilsamen Quelle, und alsbald strömen Sieche von nah und fern zu der Quelle, um sich zu kurieren und mehren den Ruhm des wundersamen Borns. Die – weltliche oder kirchliche – Obrigkeit erkennt den Wert des heilsamen Wassers und erbaut Badeanstalten „in der Wildnis“, sprich außerhalb der geschützten Städte. Bademeister werden eingestellt, Übernachtungsmöglichkeiten und Wirtschaften gebaut, Badeärzte siedeln sich an, der Kurbetrieb nimmt seinen Lauf, Vergnüglichkeiten kommen hinzu, Konzerte, Theater, Feste, nur von den Dirnen berichten die wenigsten Chroniken, Fürsten errichten vor Ort ländliche Paläste, die ihrer und ihres gleichen würdig sind, die Reichen und die Schönen ihrer Zeit finden sich ein, um sich zu kurieren und zu vergnügen. Wildbad Kreuth ist – nicht zuletzt dank der CSU – bis heute das bekannteste noch erhaltene Wildbad, auch Bad Gastein begann seine Geschichte als Wildbad. In die Liste gehören aber ebenfalls – heute weitgehend bedeutungslos und vergessen – Wildbad Weißenburg, Bad Wildbad im nördlichen Schwarzwald, Wildbad bei Fuchstal im Landkreis Landsberg am Lech, Wildbad Greding im Landkreis Roth, Wildbad Mörnsheim im Landkreis Eichstätt, Wildbad Rothenburg ob der Tauber im Landkreis Ansbach, Wildbad Wemding im Landkreis Donau-Ries, Wildbad Einöd in der Gemeinde Neumarkt in der Steiermark, Wildbad Innichen in Südtirol, auch Mariabrunn bei Röhrmoos im Landkreis Dachau war ursprünglich ein Wildbad.
Und dann gibt es da noch Wildbad Burgbernheim im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim. Vom modernen Massentourismus ist dieser Landstrich weitgehend verschont, knipsende Asiaten und grölende Amis werden verlässlich abgefangen von Rothenburg ob der Tauber und vielleicht noch Dinkelsbühl, bevor sie auf ihren „See Europe in 10 days“ – Touren weitermarodieren durch Europäisches Kulturgut, siechende und saufende deutsche Kassenpatienten schonen und schädigen ihre Lebern in Bad Windesheim und ersparen dem Umland ihre Anwesenheit. Im Wildbad Burgbernheim war es der Legende nach ein Bauer, der sein altes, krankes, treues Pferd nicht dem Schlachter überantworten wollte, sondern es – quasi als natürliches Gnadenbrot – in die Wälder jagte. Dort trank es – wie sollte es anders sein – von einer heilsamen Quelle und kehrte gesund und verjüngt zurück. So begann der Legende nach in Wildbad Burgbernheim der Heilbetrieb, obwohl die heilkräftigen Schwefel-Quellen (Doktor-, Musketier-, Augen-, Bad- und Kochbrunnen) wahrscheinlich schon zu Zeiten der Kaiser Lothar III und Karl IV bekannt waren. Im 18. Jahrhundert gehörte es zu den bedeutendsten Kurbädern Europas. Den Markgrafen von Ansbach diente es als Kur- und Erholungsort, Markgraf Christian Friedrich Carl Alexander Brandenburg-Ansbach ließ das Kurfürsten-Schlösschen etwas oberhalb von Kur- und Gasthaus bauen. Des Weiteren zählten die Königin von Polen und Churfürstin von Sachsen Christiane Eberhardine und Prinzessin Christiane Sophie Wilhelmine Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth mit großem Gefolge, Fürst Theodor von Sulzbach mit Gemahlin oder Markgraf Georg Friedrich Karl von Brandenburg-Bayreuth mit vielen Cavalieren zu den illustren Gästen dieses Wildbades; Churfürst Lothar Franz, Bischof von Mainz und Bamberg ließ sich das Wasser aus Wildbad sogar nach Pommersfelden bringen, um darin Bäder zu nehmen. Nach wechselvoller Geschichte wurde der Badebetrieb 1968 endgültig eingestellt.
So viel zur Geschichte. Und heute? 1980 kaufte die Familie Hofmann das Ensemble und betreibt es jetzt in dritter Generation als Gasthaus. Der unzweifelhafte Charme des Wildbades Burgbernheim liegt in seiner Unverfälschtheit. Die drei historischen Bauten (das Bade- und das Gasthaus in Fachwerkbauweise mit ihren Verbindungsgängen sowie das etwas höher gelegene Markgrafenschloss) samt Wirtschaftsgebäuden aus dem 15. bis 18. Jahrhunderts sind bis heute äußerlich weitgehend unverändert und nicht durch modernistische Aus-, An- und Umbauten verhunzt; nur ein klobiges, modernes Wohngebäude – wohl das Wohnhaus der Wirtsleute – passt in diesem Ensemble wie der berühmte Arsch auf den nicht minder berühmten Eimer (wer in Dreiteufelsnamen genehmigt solche Bausünden?). Aber ansonsten ist die Szenerie heimelig: viel Wald, abseits jeder Urbanität, eine schmale Talsenke, fast nur historische Bausubstanz, kein Durchgangsverkehr, der Parkplatz abseits versteckt, kein ausgewiesener Busparkplatz für touristische Heuschrecken, drei zahme Pfauen stolzieren frei über das Gelände, selbst zwischen den Gasttischen (und schreien des Nachts zum Halsumdrehen), Kindespielgerät, hier kann man seine Kleinen unbeaufsichtigt toben lassen, ohne Angst vor Verkehrsunfällen zu haben, lauschige Freisitze, sehr rustikale, einfache Gaststuben, der Jagdsaal etwas historisch-mondäner, meist knarzende Dielen, natürlich kein Lift, breite Flure mit allerlei alten Möbeln, Relikten und Bildern, sehr schlichte, aber wohnliche Zimmer mit Blick auf Hang und Wald oder den Hof und Nachbargebäude, ohne nennenswerten Komfort, meist mit nicht mehr ganz frischen 80er-Jahre Möbeln, aber tadellos sauberen Teppichböden, erträglichen Matratzen, Flachbildschirm, müdes W-LAN, nachträglich eingebaute kleine Bäder ohne Fenster, hier ist man Mensch, hier darf man’s sein. Und es sind Menschen, die hier Ruhe und Labung suchen, keine Jet-Setter, Business Men (und – um sprachknittlerisch korrekt zu sein – Women), landsüchtige Stadtfräcke (und – um wiederum sprachknittlerisch korrekt zu sein – Stadtfräckinnen und natürlich das Stadtfrackende nicht zu vergessen). Auf dem Parkplatz sucht man vergebens Porsche und Daimler, fast durchweg Klein- und Mittelklasse-Wagen, viele dem Nummernschild nach aus der Umgebung, sowas sagt bereits viel über ein Gasthaus aus, nur Motorrad-Terroristen stören die Idylle zuweilen mit Krach und Gestank. Viele Einheimische kommen in das Wildbad, einfach nach einem Spaziergang in der Umgebung zu Kaffee und selbst gemachtem Kuchen oder zu einem Bier oder Wein in der Sonne, oder zum Essen, dazu viele Familienfeiern, Fahrradtouristen auf der Durchreise, Wanderer, die Wildbad als Basis nutzen, solche Menschen halt.
Und die Speisekarte scheint sich an den Bedürfnissen und Erwartungen dieser Klientel zu orientieren. Vater Herbert und Sohn Martin Hofmann sehen als Küchenchefs vertrauenserweckend aus, Mutter Edda dirigiert das Servicepersonal gekonnt mit aufmerksamem Blick und fasst wo nötig auch selber mit an. Die Bedienungen sind beileibe nicht alle aus Franken, aber alle tragen Dirndl (man kennt es, ja das Fränkische Dirndl als typische regionale Tracht), sind freundlich, schnell und aufmerksam und legen zu Stoßzeiten auch schon mal den Laufschritt ein. Besonders fällt auf, dass hier jede Servicekraft offensichtlich jeden Tisch bedient, ein „Kollege kommt gleich!“ gibt es hier nicht, wenn man irgendeine vorbeieilende Kellnerin mit seinem Begehr anspricht; die Bedienungen tauschen sich im Vorbeigehen mit kurzen Zurufen aus – „Deine vier Schäufele für Tisch 36 habe ich dabei.“ „Danke Dir!“ –, und dieses System funktioniert ganz famos und reibungslos. Angeboten wird gutbürgerliche Fränkische Küche, bodenständig, derb, bar jeder Verfeinerung, aber ordentlich bis gut, deftig, ehrlich, traditionell, „Wie bei Muttern“, und das in reichlichen Portionen zu moderaten Preisen. Als Vorspeisen werden angeboten Ziegenkäse mit Quittengelee und Salat, eine Fränkische Klößchensuppe oder die „Fränkische Bruschetta“, eine ganz kuriose Kreation aus geröstetem, gutem Bauernbrot, Krautsalat, Schinken und überbacken mit einer Scheibe Käse. Dann gibt es allerlei Forellen aus dem hauseigenen Quellwasserbecken und ein paar vegetarische Gerichte wie Nudeln in Pfifferlingrahmsauce, Kirschtomaten und Parmesan oder hausgemachte Kartoffeltaschen mit Frischkäse-Füllung. Die Hauptgerichte sind gänzlich Fleisch-lastig, Sauerbraten, Hirschbraten in Wachholderrahmsauce, natürlich Fränkische Schäufele, Schnitzel, Schweinelendchen in Champignonrahmsauce und Steak, dazu gibt es Fränkische Kartoffelklöße, hausgemachte Spätzle, Pommes, Kroketten und den obligatorischen Salatteller. Dann werden noch saisonale Karten mit Spargel, Pfifferlingen, Karpfen oder Gans angeboten, das war’s. Eher enttäuschend die Dessertkarte, die im Wesentlichen aus (gutem) Bauernhof-Eis mit allerlei Beigaben wie Beeren, Likör, Rumrosinen oder Apfelstrudel besteht, wer Glück hat, ergattert am Abend auch noch ein Stücklein der hausgemachten Kuchen, doch die sind meist schon alle – was ja ein gutes Zeichen ist.
Feinschmecker kommen im Wildbad gewiss nicht auf ihre Kosten, aber Freunde der bürgerlichen Fränkischen Küche und hungrige Wandersleut‘ gewiss. Die Fränkische Klößchensuppe ist eine ordentliche – ordentlich, nicht überragend – Rindsbrühe mit einem ordentlichen – ordentlich, nicht überragend – Leber- und ein paar Schwemmklößchen darinnen, alles frei von Tadel, aber auch frei von Lob. Die „Frisch geröstetes ‚Bruschetta fränkischer Art’“ (es heißt „la bruschetta“, feminin, liebe Speisekartenschreiber) ist in der Tat recht lecker, erinnert ein wenig an ein abgerüstetes Reuben Sandwich, das doppelt gebackene, geröstete und zart gebutterte Landbrot ist eine Show, der Krautsalat darauf etwas gewöhnungsbedürftig, und er suppt in das resche Brot, aber in Zusammenspiel mit warmem Schinken und gratiniertem Käse nicht unlecker, eine willkommene Vesper für zwischendurch oder als Vorspeise für Zwei. Die Forelle blau ist frisch, frischer könnte sie nicht sein, wahrscheinlich just dem Bassin entrissen und gemeuchelt. Nur, dass man bei Forellen vor dem Pochieren Schwanz und Maul zusammenbindet, davon scheint man Burgbernheim noch nichts gehört zu haben, entsprechend kommt das arme Fischlein daher wie eine Makrele, die in ein Bombardement der US Navy geraten ist, außerdem wurde dem Kochwasser offensichtlich zu viel Essig beigegeben, was den Fisch nicht nur blau-grau, sondern auch leicht säuerlich macht. Dazu tadellos geklärte Butter und selbst gemachte Salzkartoffeln, Alles in Allem lecker für den Gaumen, nur leider nicht schön für’s Auge. Auch der Fränkische Sauerbraten aus dem falschen Filet mager, mürbe, etwas zu weich, aber diesmal passend säuerlich, die Sauce dünn, aber ganz ok (keinesfalls eine mollige Saucen-Orgie zum Niederknieen), zwei ordentliche Fränkische Kartoffelknödel(chen), schon wieder der gleiche gemischte Salatteller als Beilage, ohne Lob und Tadel. Die Panade des Schnitzels Wiener Art ist resch und abgehoben, so soll es sein, das Schweinefleisch leicht zäh-faserig, das Frittierfett sollte hier mal dringend gewechselt werden, die blassen, laschen TK-Pommes dazu sollen sie in den Kantinen der EU-Bürokraten selber fressen, aber uns damit in Frieden lassen, und schon wieder der gleiche gemischte Salatteller. Zum Nachtisch dann gutes, cremiges, Bauernhof-Vanillin-Eis mit selbst eigelegten Rumrosinen, ein Dessert-Notnagel.
Schließlich eine Reminiszenz an alte Tage das Frühstück: für jeden Tisch ein Körbchen mit Backlingen und Brotscheiblein, ein Tellerchen mit Brotaufstrichen, ein Gläschen Orangen-Nektar, auf Wunsch ein Näpfchen mit Zerealien. Joghurt und/oder Obst, ein Tellerchen mit wenigen Wurst- und Käse-Scheiben mit obligatorischer Tomaten-, Gurken- und Petersilien-Garnitur, Kaffee oder Tee und ein Ei. Das ist dabei gar nicht so negativ gemeint, wie es sich vielleicht anhören mag – bis auf die Backlinge. Braucht es mehr? Wir sind mitten in Franken im Wald, braucht es da Pancakes, Lachs und Eggs Benededict, braucht es da Riesenbuffets zum Plündern, von denen dann die Hälfte liegengeblieben auf Tellern und auf dem Buffet weggeworfen wird? Ich meine ganz klar: nein. Von Allem kann man bei den freundlichen, flotten Bedienungen (ich sprach bereits davon) nachbestellen, und lieber eine nachbestellte als zehn weggeworfene Wurstportionen. Also: Frühstück für die rustikale Location durchaus ok.
Waldgasthof Wildbad
Edda Hofmann
Wildbad 1
91593 Burgbernheim
Tel.: +49 (9843) 13 21
Fax: +49 (98 43) 28 77
Online: www.waldgasthof-wildbad.de
Email: info@waldgasthof-wildbad.de
Hauptgerichte von 9,50 € (Salatteller mit Schinken und Käse) bis 21,90 € (Steak mir Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 16,10 € bis 35,30 € Doppelzimmer mit Frühstück (pro Zimmer, pro Nacht) 75 € bis 110 €