Weihnachtsstollen Egerländer Art

So, der traditionelle Egerländische Christstollen wäre auch fertig  – eigentlich mehr ein Hefezopf, weil Orangeat, Zitronat, Marzipan, Rosinen, das mag es auf der anderen Seite des Erzgebirges, im reichen Dresden gegeben haben, aber nicht im Egerland. Meine Großmutter flocht den Stollen noch auf die alte Weise: drei mal Drei, zwei mal Drei, ein mal Drei. Das heißt: aus dem Hefeteig von einem guten Pfund Mehl (das ist nicht viel) wurden 18 dünne, vielleicht je 50 cm lange Teigstränge gerollt, dann wurden drei davon zu einem Zopf verflochten, dann nochmals drei, dann nochmals drei. Diese drei geflochtenen Zöpfe aus je drei Teigsträngen wurden dicht nebeneinander auf das Backblech gelegt, dick mit flüssiger Butter eingestrichen, und sie bildeten die Grundlage, die Basis, das unterste Stockwerk für den Stollen. Das zweite Stockwerk bestand aus zwei weiteren geflochtenen Zöpfen aus je drei Teigsträngen, nochmals dick mit flüssiger Butter eingestrichen und sodann den letzten Zopf aus nochmals drei geflochtenen Teigsträngen obendrauf. Das sah nicht nur sehr filigran und hübsch aus, dadurch, dass in dem Zopf 18 separate Teigstränge zu einer Stollen-Einheit verbuken, war der Stollen unglaublich locker und fluffig, jedoch ohne bröselig zu sein. (Am Rande: auf ihrem Hof im Egerland, vor dem Kriege buk meine Großmutter wenigstens 20 von diesen Stollen auf einmal im großen, gemauerten Brotbackofen; der eine Teil wurde während der Festtage als Delikatesse – statt des üblichen harten, groben Roggenbrotes – auf dem Hof verzehrt, der andere Teil wurde an die arme Verwandtschaft (die ohne eigenen Hof, also Tagelöhner, Handwerker, Musiker, Veteranen ohne Pension, Saison-Kellner, … davon muss es unglaublich viele gegeben haben, glaubt man meiner Großmutter, aber klar, es gab keine Realteilung, also konnte nur ein Kind den Hof erben, die anderen mussten zusehen, wie sie zurechtkamen, besten Falles als Soldaten, Priester, Händler, Beamte oder Einheirater) verschenkt, die vor den Festtagen traditionell alle reicheren Verwandten (mit eigenem Hof) – selbstverständlich zu Fuß! – besuchten, um dort einmal gut und vor allem satt zu essen und sich beschenken zu lassen, nicht mit Tand und Geschmeide, sondern mit Kartoffeln, Brot, Äpfeln und eben einem Christstollen.) Wir heutzutage schaffen gerade mal einen Stollen aus drei geflochtenen Teigsträngen … aber immerhin. Angeschnitten wird er traditionell Heilig Abend nach dem Nachtmahl mit einer Segnung durch einen symbolischen Kreuzschnitt auf der Oberseite durch das älteste männliche Familienmitglied. Eingedeckt sind so viel Teller, wie Personen am Tisch sitzen, allerdings nur ein Buttermesser (und neuerdings zusätzlich ein Honigmesser, damit man den Honigtopf nicht mit Butterresten verbatzt – früher war man da nicht so etepetete). Das älteste männliche Familienmitglied muss sodann den Stollen in Scheiben schneiden, dick – sehr dick! – mit Butter bestreichen und darauf kommt Honig, bei Familie Opl traditionell nur würziger Tannenhonig (echter Tannenhonig aus Deutschland ist selten, entsprechend schwer zu bekommen und auch noch teuer; daher machen wir uns ab Oktober jeder auf die Suche, und irgendwann schafft es ein Familienmitglied meistens, irgendwo ein Gläschen Tannenhonig vom Imker aufzutreiben und dem Rest der Familie Honig-Entwarnung zu geben). Der oder die Jüngste am Tisch erhält das erste Stück Stollen, und dann geht es dem Alter nach weiter, jedem am Tisch wird vom Ältesten ein Stück Stollen geschmiert und gereicht (man selber könnte in Ermangelung eines Messers auch gar nicht schmieren), und wenn der Letzte sein Stück Stollen bekommt, hat der Jüngste das Seine schon lange aufgegessen und schreit nach Nachschub, und so geht das geraume Zeit, nur der Älteste selber kommt dabei kaum zum Essen. Heute vielleicht Folklore und Gaudi, früher war das ein hoch-symbolischer Akt: das Familienoberhaupt, das sonst bei Tisch gewiss keinen Finger rührte und sich nur von den Weibern bedienen ließ, musste in der Heiligen nach selber Hand anlegen und seinerseits alle bedienen, ganz früher nicht nur Enkel, Kinder und Gattin, sondern auch Knechte und Mägde, und das hatte gewiss großen Symbolcharakter.

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Zutaten:

  • 250 ml Vollmilch
  • 2 große Eier
  • 550 g Mehl (Type 550)
  • 2 Päckchen Trockenhefe
  • 75 g Zucker
  • 1 Teel. Salz
  • 75 g weiche Butter
  • Nach Belieben 100 g geschälte, gewürfelte Mandeln und / oder 100 g in Rum eingeweichte Rosinen
  • Mehl zum Bearbeiten
  • 50 g flüssige Butter zum Bestreichen
  • 2 El Hagelzucker oder Puderzucker

 

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Zubereitung:

  • Wer Rosinen im Stollen mag, der muss mindestens 3 Stunden (am besten über Nacht) vor Backbeginn 100 g Rosinen in einem Glas mit Rum bedecken; ich nehme dazu Strohrum und koche mir aus dem Rest, der nach Absieben der Rosinen übrig bleibt, einen steifen Grog
  • 250 ml Milch gut handwarm erwärmen, 1 Ei und 1 Eiweiß in der warmen Milch verrühren, so dass alles noch lauwarm (weder heiß = Hefe tot noch kalt = Hefe tot) ist; überschüssiges Eigelb beiseite stellen.
  • 550g Mehl Typ 550 (oder Wiener Griesler) mit 2 Päckchen Trockenhefe, 75 g Zucker und 1 Teel. Salz vorsichtig trocken vermengen
  • Butter zum Mehl geben, unter Rühren und Kneten langsam das warme Milch-Ei-Gemisch dazu geben; das geht am Einfachsten mi dem Knethaken der Küchenmaschine oder hilfsweise des Handmixers oder hilfsweise von Hand
  • So lange kneten, bis der Teig eine homogene, zähe, blasenfreie Masse bildet, die sich selber von der Schüssel löst; ggf. noch etwas warme Milch oder Mehl dazu geben
  • Nach Belieben jetzt noch 100 g geschälte, gewürfelte Mandeln (wer mag, kann die Mandeln auch noch vorher kurz ohne Fett in der Pfanne leicht braun anrösten, aber vor dem Vermischen mit dem Hefeteig abkühlen lassen) dazu geben und / oder 100 g in Rum eingeweichte, abgetropfte Rosinen dazu geben und in den Teig einarbeiten
  • Teig zu einem Klumpen zusammenrollen, leicht mit Mehl bestauben, Schüssel mit einem sauberen, leicht angefeuchteten Tuch bedecken, an einem warmen Ort ohne Zug (Zug – auch nur eine kurz geöffnete Balkontüre oder ein Fenster – ist Gift für jeden Hefeteig) mindestens 1 Stunde gehen 2 Stunden schaden auch nicht; wer wirklich Zeit hat, lässt den Teig über Nacht an einem kühlen (ebenfalls Zug-freien) Raum gehen, z.B. dem Kühlschrank; dadurch erfolgt der Gärprozess der Hefebakterien deutlich langsamer und der Teig wird nach dem Backen nochmals weicher, feinporiger und fluffiger.
  • Teig nach dem Gehen zusammenschlagen, nochmals durchkneten und in 3 (bzw. 18, s.o.) gleich große Teile zerteilen und daraus 3 (bzw. 18) Teigstränge von 50 cm Länge rollen
  • Teigstränge leicht mit flüssiger Butter einstreichen und Zopf flechten (ein mal Drei für Anfänger, für Fortgeschrittene drei mal Drei, zwei mal Drei, ein mal Drei aufeinander geschichtet – s.o.)
  • Restliche flüssige Butter mit dem überschüssigen Eigelb vermischen, Stollen mit Eigelb-Butter-Gemisch bestreichen, wer mag mit Hagelzucker bestreuen  (oder nach den Backen mit Puderzucker – nur eine Frage der Optik
  • Fertig geflochtenen Stollen nochmals 45 bis 60 Minuten zugedeckt an einem warmen Ort gehen lassen
  • Backofen auf 200° Ober- und Unterhitze (keine Umluft) vorheizen
  • Stollen auf der zweiten Schiene von unten ca. 30 Minuten backen, sollte er oben zu braun werden, mit Alufolie abdecken
  • Nach ca. 25 Minuten erste Garprobe mit Holzstöckchen machen (langen Zahnstocher / Schaschlik-Spieß aus Holz schräg ganz durch den Stollen stoßen, wenn nach dem Herausziehen kein Teig mehr dran klebt, ist er auch innen fertig gebacken)
  • Stollen im ausgeschalteten Backofen mit leicht geöffneter Tür auskühlen lassen
  • Wer mag kann den Stollen dann noch mit Puderzucker in einem Teesieb einstäuben

 

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