Was passiert, wenn ein Nordhesse eine Schwäbin heiratet? Kartoffelsalat-technisch jedenfalls ein Mega-Gau. Heute habe ich einen Sohn, der ausschließlich Hessischen Kartoffelsalat isst und einen, der ausschließlich Schwäbischen Kartoffelsalat isst.
In Nordhessen macht man den Kartoffelsalat aus Scheiben von gekochten, kalten Kartoffeln mit einem Dressing aus Mayonnaise, Schmand, Senf, Zwiebeln, Apfelessig, Öl und Sauren Gurken, in der Saison auch gerne Feldsalat statt der Sauren Gurken, und zu besonderen Anlässen spendierte meine badisch-hessische Großmutter zusätzlich noch einen großen Schuss Kondensmilch in den Kartoffelsalat (für meine Großmutter galt damals Kondensmilch noch als Luxus-Zutat von besonderer Qualität; by the way, das Original-Rezept für Bircher-Müsli des Aargauer Arztes Maximilian Oskar Bircher-Benner schreibt übrigens ebenfalls Kondensmilch als Zutat vor, denn Kondensmilch war um die vorletzte Jahrhundertwende bereits pasteurisiert, während die unpasteurisierte Frischmilch immer ein latentes Tuberkulose-Risiko darstellte), jedenfalls ist der nordhessische Kartoffelsalat eine zwar sehr leckere, aber auch ziemlich fettige Angelegenheit, die zum Beispiel perfekt zu panierten Fischfilets passt, da braucht es keine zusätzliche Remoulade mehr. Schwäbischer Kartoffelsalat hingegen wird mit Brühe, Zwiebeln, Essig, Öl, vielleicht Senf gemacht, weitaus sparsamer, wie es sich für Schwaben gehört, und dazu auch nicht so fett-mächtig wie sein nordhessischer Kollege. Das einfachste Rezept für Schwäbischen Kartoffelsalat ist es, aus einem Gemüse- oder Fleischbrühwürfel, gehackten Zwiebeln, Senf und Essig eine Brühe zu kochen, damit die noch möglichst heißen Scheiben von gekochten Kartoffeln zu übergießen, alles zu vermischen und durchziehen zu lassen und schließlich mit Öl, Pfeffer und Salz zu finalisieren. Das ergibt eine ungleich leichtere Version von Kartoffelsalat.
Doch während der Nordhessische Kartoffelsalat relativ robust ist, was Zutaten und Zubereitung anbelangt, ist der Schwäbische Kartoffelsalat da eher filigran. Vier Grund-Regeln gilt es zu beachten:
- Die richtige Kartoffelsorte: Wahrscheinlich haben 100 schwäbische Großmütter 110 Kartoffel-Sorten in petto, wenn es um die „einzige richtige Kartoffelsorte“ für Schwäbischen Kartoffelsalat geht. Auf jeden Fall muss sie festkochend sein und gelbfleischig. Für mich ist diese „einzig richtige Kartoffelsorte“ Sieglinde, nichts anderes, Punktum. Und wenn ich keine schöne Sieglinde für Schwäbischen Kartoffelsalat finde, ist die Alternative keine andere Kartoffelsorte, sondern eine andere Beilage. Nochmals Punktum.
- Die Brühe: Natürlich kann man eine Brühe aus einem pflanzlichen oder Fleisch-Brühwürfel verwenden, man kann auch einen Fleischfond aus einem Glas nehmen, nur gibt’s dann eben keinen echten Schwäbischen Kartoffelsalat, sondern ein Kartoffelsalat-Derivat (oder -Fiasko). Für einen echten Schwäbischen Kartoffelsalat braucht man eine echte, gute Fleischbrühe, auch keine rasche, billige Knochenbrühe, sondern eine Brühe, die auch als ordentliche Rindssuppe durchginge. Also, jedes seriöse Rezept für einen Schwäbischen Kartoffelsalat muss mit dem Satz beginnen „Man koche eine gute Rindssuppe“.
- Der Essig: Es muss unbedingt Obstessig sein, im Idealfall Apfelessig.
- Das Öl: Natürlich muss es gutes, kaltgepresstes Öl sein, am besten Sonnenblumenöl, vielleicht noch Maiskeimöl, Rapsöl ist schon sehr speziell, Olivenöl – und sei es noch so exklusiv – geht gar nicht; natürlich gibt es noch Unmengen von sündhaft teuren Öl-Spezereien, für einen Schwäbischen Kartoffelsalat würde ich keine davon nehmen, aber Ausprobieren ist ja nicht strafbar. Vor allem aber darf das Öl immer erst ganz zum Schluss, wenn die Kartoffelscheiben in der Brühe durchgezogen sind und fast alle Flüssigkeit aufgesogen haben, zum Salat geben werden. Gibt man das Öl früher zu den Kartoffeln, imprägniert das Fett die Kartoffelscheiben quasi und sie können sich nicht mehr mit Brühe vollsaugen.
Zutaten (für vier Portionen):
- 1 kg festkochende Kartoffeln (Sieglinde, nicht zu groß und halbwegs gleichgroß)
- 1 gehäufter Essl. ganzer Kümmel
- 4 Lorbeerblätter
- 1 gehäufter Essl. Salz
- 1 größere Speisezwiebel (ca. 100 g)
- Ca. ½ Liter gute Rindssuppe
- 1 gehäufter Essl. Senf (normal oder scharf) (ca. 20 g)
- Ca. 3 Essl. Obstessig (ca. 50 ml)
- 4 bis 6 Essl. Sonnenblumenöl (60 bis 90 ml)*
- Schwarzer Pfeffer aus der Mühle, Salz
- Wer mag: eine Salatgurke
Zubereitung:
- Kartoffeln waschen, in kaltem Wasser aufsetzen, mit Kümmel, Lorbeer, Salz würzen, aufkochen, erstmal 15 Minuten köcheln lassen
- Nach 15 Minuten zum ersten Mal die Garprobe machen (mit einem Gemüsemesser bis zur Hälfte in die Kartoffel stechen, wenn die Kartoffel problemlos wieder vom Messer rutscht, ist sie weich); Garprobe im Fünf-Minuten-Rhythmus wiederholen, bis die Kartoffeln weich sind
- Kartoffeln abgießen, ohne Deckel unter Rütteln auf der heißen Herdplatte ausdampfen lassen
- Zwiebel schälen und in kleine Würfel schneiden
- Rindssuppe aufkochen
- Kartoffeln noch möglichst heiß schälen und in dünnen Scheiben schnippeln (oder eine spezielle Kartoffelscheiben-Reibe verwenden, die gibt’s im guten Haushaltswarengeschäft, keine Mandoline, sondern eine einfache Reibe mit fünf versetzten Schneiden, durch die die Kartoffelscheiben nach dem Schneiden nicht aneinanderkleben)
- Kartoffelscheiben mit Zwiebeln, erstmal ¼ Liter heißer Rindssuppe, Senf und Essig vermischen, vorsichtig mit Pfeffer und Salz würzen
- Kartoffelsalat 1 Stunde ziehen lassen, wann immer die Brühe vollständig aufgesaugt ist, Rindssuppe wieder erhitzen, noch einen kleinen Schöpfer über die Kartoffelscheiben geben und wieder vorsichtig durchmischen
- Wenn der Kartoffelsalat keine Rindssuppe mehr aufnimmt und schön „schlorzig“ ist, final mit Pfeffer und Salz abschmecken
- Öl über den Salat gießen und gut durchmischen
- Salat wenigstens nochmals eine Stunde (gerne aber auch über Nacht) ziehen lassen
- Wer mag, kann eine Salatgurke schälen, in ein Sieb hobeln, gut salzen, durchmischen, das Ganze zwei oder drei Stunden abtropfen lassen, die Gurkenscheiben dann auf Küchenpapier trocknen (sonst wird’s eine sehr suppige Angelegenheit) und unter der den Kartoffelsalat mischen
* Die Öl-Menge zum Schluss ist Geschmackssache; die einen mögen den Salat magerer, die anderen fetter. Einfach mal mit 4 Esslöffel anfangen und dann weiter schauen.