Summa summarum: Renovierter, einfacher, aber gemütlicher ehemaliger DDR-Gasthof mit SPA und funktionalen Zimmern und Appartements und vor allem einer sehr soliden bürgerliche Küche mit viel handwerklichem Können, Aufwand und Fleiß, einer Prise Innovation und Kreativität mit besten Zutaten und erfahrener, gekonnter Zubereitung mit Gespür für Gargrade, Würzungen, Konsistenzen, dazu lockt noch das hauseigene Spitzen-Restaurant BjörnsOx.
„Sind Sie nicht der Schreiberling?“ begrüßt mich die – ich hoffe, das ist jetzt kein sexual harassment, früher hätte man sowas einfach ein Kompliment geheißen, aber heute weiß man ja nie – atemberaubend gut aussehende, junge Kellnerin mit blond-grau-weißen langen Haaren freundlich lächelnd. Caro blickt sichtlich giftig ob dieser herzlichen Begrüßung, ich bin etwas konsterniert. Mein Personengedächtnis, schrecklich und peinlich zugleich. „Wir kennen uns doch noch aus Hilders.“ fährt das Mädel fort, Sie waren letztes Mal mit Ihrem Sohn da, zuerst draußen, und dann habe ich Sie abends in der Sonne bedient. Vielleicht erinnern Sie sich noch, die, die extra aus Erfurt anreist …“ Jetzt klingelt’s bei mir, eine Service-Kraft, die 150 km zu ihrem Arbeitsplatz anfährt, das ist mir tatsächlich im Gedächtnis geblieben. Und ich offensichtlich ihr, was Caro da nur wieder hat?!
Caro und ich waren am Morgen quasi fluchtartig aus Illschwang abgereist, nachdem wir dort im Weißen Ross ein verlängertes kulinarisches Relax-Wochenende geplant hatten und kulinarisch gleich am ersten Abend fulminant enttäuscht wurden, ohne Aussicht auf kurzfristige Besserung. Wir waren dann Richtung Nordwesten gefahren, durch die Fränkische Schweiz und am Main entlang, hoch in die Rhön, in das beschauliche Örtchen Dermbach. Dort nämlich haben Björn Leist und seine Truppe ein neues gastronomisches Zuhause gefunden. Eigentlich stammen die Leists aus Hilders, ebenfalls ein Rhön-Dörfchen am Fuße der Wasserkuppe. Dort betrieben sie über Generationen das Gasthaus Sonne, später kauften sie noch das benachbarte Gasthaus Engel dazu. Der Sohn des Hauses, Bjoern Leist, hat bei Bareiss in Baiersbronn gelernt und ist dann nach Stationen im Landhaus Bacher in Mautern und im Schloss Schauenstein in Chur 2007 an den heimischen Herd zurückgekehrt. Dort begann er zum einen, wie der Teufel zu kochen, vor allem Fleischgerichte vom Rhöner Ochsen und Lamm, und zum anderen, Marketing zu betreiben auf allen Kanälen, die väterliche Wirtschaft nannte er „Rhöner Botschaft“, zum rustikalen Hotelrestaurant kamen im Haus zwei weitere Lokale hinzu, das gehobene „Das Ox“ und das noble „Das Ox Exklusive“, wo man ohne Speisekarte, nur auf Anmeldung ein mehrgängiges Menue von Björn Leist persönlich vorgesetzt bekam, das Ganze wurde dann unter dem Oberbegriff „Leist-Style“ zusammengefasst. Beides gemeinsam – gut kochen und laut klingeln – führte zu einem regelrechten Hype um Leist und die Rhöner Botschaft, kein Kochblättchen, das nicht davon berichtete, keine Futter-Führer, der nicht vorsichtig erste Lorbeeren zollte, dann 15 Punkte vom Gault Millau, die er 2015 schon sang-, klang- kommentarlos wieder einsackte, und schließlich dann letzten Herbst letzten Jahres der erste Adelsschlag, 1 Stern vom Guide Michelin. Keinen Monat später – ein Treppenwitz, wenn es nicht so traurig wäre – der finanzielle Bankrott, der zweite übrigens (wenn ich mich Recht entsinne, legte Alfons Schuhbeck wenigstens drei Insolvenzen hin, bevor er auch wirtschaftlich erfolgreich wurde), die Familie Leist wurde Knall auf Fall von der Bank aus dem eignen Haus geworfen. Wäre ich damals Besitzer eines gut gehenden Fünf-Sterne-Hotels gewesen, ich hätte den Leists sofort ein unwiderstehliches Angebot gemacht, meine gesamte Gastronomie zu übernehmen, vom Frühstück über Spitzenrestaurant und Bistro bis hin zu Bar und Café. Aber Björn Leist wollte seine Unabhängigkeit behalten und vor allem – wie er immer wieder betonte – in der Rhön bleiben. Außerdem stelle ich mir das nicht lustig vor, wenn ein Controller zu Björn Leist in die Küche geht und was von branchenüblichen Benchmarks beim Wareneinsatz und von Rationalisierungspotential im Service erzählt; der Controller kann vielleicht mit Zahlen umgehen, aber Björn Leist mit Messern, und das verdammt gut …
Von daher ist es wahrscheinlich besser, dass Leist und seine Truppe jetzt im traditionsreichen Sächsischen Hof in Dermbach nahe Schmalkalden untergekommen ist. Hier waren bereits Kaiser Franz I, ein Fürst von Metternich und Ernest Hemingway zu Gast, legendär war die Gegend früher wegen des Fliegenfischens im nahen Bächlein Felda. 2017 kaufte der Meininger Unternehmer und CDU-Regional-Grande den Sächsischen Hof, renovierte und erweiterte ihn um ein SPA, Tagungsräume, ein Appartementhaus, Parkflächen und eine Kochschule, und suchte dann lange einen geeigneten Betreiber. Seit Ostern ist der alte Sächsische Hof nun ein SaxenHof (mit dem typischen „X“) im Thüringschen Dermbach und zugleich die Rhöner Botschaft im Leist Style mit den Restaurants Wohnzimmer (mit dem Claim „Essen Leist Style) und Bjoerns Ox (mit dem Claim „MundArt“) und dem Spa namens Eden (klare Markenführung nach wie vor Fehlanzeige, aber wenigsten die URL www.rhoener-botschaft.de passt jetzt).
Dermbach selber, naja, hier kommt man nicht wegen innerstädtischen Flanierens und Shoppens her, sondern zum Wandern und Biken in der Rhön. Hübsch in der Ortsmitte gelegen besagter Sächsischer Hof, leider etwas laut an der Hauptstraße, vor allem wenn Motorraddeppen mit ihren knatternden Höllenmaschinen laut und sinnbefreit röhrend durch’s Örtchen rasen. Das Gebäude selber ein respektables 2 ½ geschossiges Fachwerkhaus mit Sandsteinfundament von 1623, Gastwirtschaft seit 1708, hier wurde schon 68 Jahre lang gezecht, bevor Imperial-Amerika seine Unabhängigkeit erklärte. Vor dem Haus ein etwas höher gelegener Gastgarten unter zwei stattlichen Linden, hinter dem Haus ein modernen Flachdach-Anbau mit Spa und Tagungsräumen, dahinter ausreichend Parkflächen. Das ist hübsch und funktional. Innendrinn ist der Saxenhof heute eine Mischung von verblassendem DDR-Muff und teils beherzter, teils vorsichtiger Modernisierung, aber alles in allem gemütlich, unprätentiös, nicht steif und auch nicht schlunzig, gepflegt, aber nicht poliert, einfach ungezwungen, hier ist man gerne, ob man nun verschwitzt in Wanderstiefeln an Nachmittag ein erstes Zisch-Bier nach der Wanderung trinkt oder des Abends mit Jackett und Perlenkette speist oder in Arbeitsklamotten nach dem Job an der Bar abhängt, alles geht und passt hier, nur Jogginghosen sollte man dann doch vermeiden. Die 27 Gästezimmer und Appartements von unterschiedlicher Größe und Ausstattung sind recht rustikal möbliert, mehr funktional als gemütlich, einfache Bettwäsche und Handtücher, W-LAN reicht teilweise nicht bis in die Zimmer, Flachbildschirm, minimalistische Mini-Bar, die Bäder weitgehend neu und sauber, den leicht anarchistischen Hang zu Russischen Lösungen, den man schon in Hilders beobachten konnte, findet man auch noch in Dermbach wieder. (Für alle Nicht-Ossis: eine „Russische Lösung“, das ist eine ausgesprochen pragmatische, mit minimalem Aufwand und primitivsten Mitteln irgendwie funktionierende, in den seltensten Fällen TÜV- oder DIN-Vorgaben entsprechende technisch-bauliche Installation, wobei ein nicht rechtwinklig, sondern quer entlang der Hypotenuse verlegtes Rohr oder Stromleitung die einfachsten Übungen sind, mit Panzerband geflickte Wasserleitungen, ein alter Frauenstrumpf als Bautenzug für eine Autobremse, Antennen aus Metall-Kleiderbügeln, ein aus dem Fenster gehaltenes, irgendwie festgeklemmtes Brett statt eines Gerüsts, das alles sind Beispiele dafür, was man in der DDR mit einer Mischung aus Spott und Bewunderung eine Russische Lösung nannte, denn am Ende funktionierte es ja (meistens). Im Sächsischen Hof sind es derzeit z.B. quer an der Wand hängende Antennen- und Stromkabel samt Trafo.) Woher die 4 Dehoga-Sterne für das Haus kommen verstehe ich – wie so oft – nicht wirklich, aber wenn man auf solidem 3-Sterne-Niveau rustikal, aber nicht gerade wohlfeil nächtigen will, dann ist in man Dermbach im Sächsischen Hof alias SaxenHof alias Rhöner Botschaft gewiss gut aufgehoben.
Aber vor allem kommt man ja wegen des Essens nach Dermbach, zumindest Caro und ich. Und das ist wieder toll und knüpft nahtlos an Hilders an. Rhöner Botschaft reloaded eben, nach einem enttäuschenden Weißen Ross deflated am Vortag (sorry, das Wortspiel musste jetzt einfach sein). Bevor ich hier einzelne Gerichte beschreibe, vielleicht vorab: das Angebot im Restaurant Wohnzimmer ist durch die Bank weg handwerklich gekonnte, solide bis gehobene Küche, gewiss kein Sterne-Aspirant (in dem anderen Restaurant des Hauses, Björns Ox mag das durchaus anders sein), aber aufwändig gemacht, keine Convenience, Artischocken z.B. frisch geputzt (eine Schweine-Arbeit), alles frisch, à la minute zubereitet, geschmackvoll und doch meist zeitgemäß leicht, hervorragende Rohstoffe, was sich nicht nur bei den diversen Steaks zeigt, aber alles ohne Chichi und Tellerikebana. Früher hätte man so etwas wahrscheinlich „sehr gehobene gutbürgerliche, unverspielte, gekonnte, anspruchsvolle, aber nicht abgehobene Küche“ genannt. Oder einfach: LECKER!
Das pechschwarze Sepia-Knäcke als Amuse Gueul überflüssg-effekthaschend, die hausgemachten kurzen Grissini einfach perfekt, das frische Gartengemüse dazu angenehmes Understatment. Die Rinderkraftbrühe tatsächlich kräftig, klar, tolle Flädle, knackige Brunoise, Schnittlauch reichlich und frisch gehackt (gerade letzteres heutzutage längst keine Selbstverständlichkeit mehr). Frisch mit dem Messer gehacktes Tatar nach wie vor genial, richtige Körnung, richtige Würzung, richtige Beilagen, gutes Brot, so macht rohes Rindfleisch Spaß. Innovativ, lecker, aber nicht modisch um jeden Preis, aus der rohen Bachforelle ein Carpaccio zu schneiden, mit Limette zu marinieren und dann mit perfekt reifer Avocado, Tomate und Rauke als Cevice à la Hemingway zu servieren; das geht natürlich nur mit ganz frischem Fisch. Das (vegetarische) Kräuter-Omelette mit grünem Spargel, Artischocken, etwas leicht gewürztem Tomatencoulis und einem undefinierbaren weißen Schäumchen ist lecker, das Gemüse knackig-frisch, die Sößchen passend. Die Forelle Blau ganz klassisch Maul und Schwanzflosse vor dem pochieren zusammengebunden, phantastisch frischer, wohlschmeckender Fisch, leider etwas zu lange im Wurzelsud und dadurch etwas zu weich, knackige Wurzelgemüse-Würfel, die Hollandaise dazu ungewohnt, aber passend, sehr leicht, frisch aufgeschlagen, fluffig, gut gewürzt, Petersilienkartoffeln tadellos, ebenso der kleine Salat. Dass die Steaks – Flanke wie Roastbeef – von der Fleischqualität, dem Cut, der Kruste, dem Gargrad her perfekt sind bei Björn Leist, bedarf keiner besonderen Erwähnung, dazu für mitteldeutsche Verhältnisse recht gute Bratkartoffeln, knackiges Saison-Gemüse und eine extrem gute selbstgemachte Kräuterbutter: Fleischfressers Himmel. Zum Dessert Topfenknödel, natürlich keine TK-Ware, dazu knackiger Rhabarber, die Crème brûlée, das Eis und das Sorbet als – unangekündigte – Begleitung dazu eine nette und leckere Geste der Küche. Der Service dazu wie gehabt flott, kompetent, herzlich, nicht überkandidelt-perfektionistisch, sondern menschlich-angenehm.
Das ist keine innovative, aufwändige, teure Hochküche, sondern sehr solide bürgerliche Küche, wie man sie heute kaum noch findet, mit viel handwerklichem Können, Aufwand und Fleiß, einer Prise Innovation und Kreativität mit besten Zutaten und erfahrener, gekonnter Zubereitung mit Gespür für Gargrade, Würzungen, Konsistenzen. Wer macht sich heute denn noch die Mühe, eine Hollandaise frisch aufzuschlagen, und dazu noch eine Gute? Solche Sachen machen den Unterschied beim LeistStyle: teure Steaks Sous-vide vorgaren und dann in den Beefer schieben, das kann mittlerweile jeder (na ja, ob es jeder wirklich tatsächlich kann ist fraglich, aber jeder tut es zumindest), aber Gemüse und Pommes Frites nicht aus dem Tiefkühlbeutel in den Allzweckgarer bzw. die Fritteuse zu werfen, sondern selber jahreszeitliches Grünzeugs putzen, schnibbeln, auf den Punkt garen und Pommes selber schnitzen, das sind die Unterschiede. Beim nächsten Mal ist das Premium-Restaurant Björns Ox dran, ich erwarte nur das Beste, diesmal hat die Zeit leider nicht gereicht.
Das Frühstück ist fast wie in Hilders geblieben, die Leists nennen es Brettchen-Frühstück. Am Buffet gibt es nur Semmeln (sehr gute übrigens), Brote, Marmeladen, Honige, Säfte, Tees, am Tisch sind frisches Obst, Butter, Quark eingedeckt, dazu gibt’s frischen Filterkaffee in der Thermoskanne oder auf Wunsch die üblichen Ausflüsse moderner Gastronomie-Kaffeemaschinen. Dazu gibt es dann eine umfangreiche Frühstückskarte mit sehr vielem, was das Frühstücker-Herz begehrt, unterschiedlichste Würste, Schinken, Käse, meist von regionalen Erzeugern, Obst, Eierspeisen, Cerealien, … Alles wird in kleinen Portionen mit belieb viel Nachschlag bei Tisch serviert (statt Morgen für Morgen die Überreste eines halb leergefressenen Buffet wegwerfen zu müssen, sehr löblich). Schade nur, dass es die hauseigene Metzgerei nicht mehr gibt, in der man sich weiland in Hilders sein Frühstück selbst zusammenstellen konnte. Aber dem Vernehmen nach arbeiten die Leists daran.
Rhöner Botschaft GmbH
Geschäftsführer: Thomas Fickel, Bjoern Leist
Bahnhofstraße 2
36466 Dermbach
Tel.: +49 (3 69 64) 86 92 30
E-Mail: info@rhoener-botschaft.de
Internet: www.rhoener-botschaft.de
Hauptgerichte von 10,50 € („Himmel und Erde“) bis 35,00 € (Filet-Steak mit Beilage), Drei-Gänge-Menue von 23,00 € bis 64,50 €
DZ Ü/F 100 € bis 278 € (pro Zimmer, pro Nacht)
Lieber Hr. Opl,
freut mich, dass Ihnen und Ihrer Dame der Aufenthalt bei Björn Leist gefallen hat.
Na ja, gegenüber Hilders hat sich offenbar nicht viel geändert, zumindest was die Qualität der Speisen anbelangt! Wie Sie schrieben, was soll man in Dermbach machen, dies ist das Problem, sonst wären wir ebenfalls schon längst dort zu Gast gewesen. Aber was nicht ist kann noch kommen, denn im Oktober haben wir einen Besuch beim Rhöner Wurstmarkt in Ostheim geplant.
Beste Grüße
Doch, einen wesentlichen Unterschied zu Hilders gibt es: die hauseigene Metzgerei fehlt. Luc ist zu tiefst empört darüber und verweigert bis auf weiteres die Fahrt nach Dermbach. Aber nach eigener Aussage arbeiten die Leists an einer Lösung, sprich wieder einer hauseigenen Metzgerei …