Es ist ja schon seltsam: es gibt feste, gesellschaftlich etablierte Vorstellungen davon, wie ein echtes, einfaches, bodenständiges, ehrliches italienisches Restaurant daherzukommen hat, und diese Vorstellungen sind durchaus unterschiedlich bei Italienern und bei Deutschen. Ein Restaurant mit dem authentischen Angebot einer apulischen Trattoria mit Capello da Gendarme, Taiedda und Orecchiette con le cime di rapa auf der Speisekarte würde in Wanne-Eickel mit ziemlicher Sicherheit keinen Fuß auf den Boden bekommen, weil man allseits der festen gesellschaftlich etablierten Vorstellung wäre, dass das gewiss kein richtiges italienisches Restaurant ist. (Nochmals schwerer dürfte es der apulische Trattorien-Exporteur übrigens in den imperialen Kernlanden haben, aber das nur am Rande). Über die Jahrzehnte Italienisch-Deutschen kulinarischen Kulturaustauschs haben sich die hiesigen Italiener um des lieben Profits willen an den deutschen Geschmack angepasst, herausgekommen ist meist eine Melange, eine Italienisch-Deutsche Misch-Küche, die nicht schlecht sein muss, gewiss aber nicht mehr ursprünglich-authentisch. Niemand in Italien kennt Spaghetti Bolognese, in Deutschland und wohl auch weltweit neben Pizza „das typische italienische Gericht“ schlechthin, in Italien nennt man Hackfleischsauce „Ragù“ , es gibt auch eine spezielle Version aus Bologna, die entsprechend „ragù alla bolognese“ heißt (das Rezept wurde von der Accademia Italiana della Cucina am 17. Oktober 1982 bei der Handelskammer von Bologna hinterlegt), aber dieses Ragù wird niemals mit Spaghetti serviert, sondern mit frischen Tagliatelle gegessen oder zur Zubereitung von Lasagne al forno verwendet. Das Ganze wird nochmals abstruser wenn man sieht, dass diese Italienisch-Deutsche Misch-Küche nun auch an den touristischen Hotspots Italiens für zahlende deutsche Touristen als vermeintlich authentische italienische Küche verkauft wird, quasi als massiv verfälschter Re-Import. Und diese Touristen kommen dann zurück nach Deutschland und verkünden mit stolz geschwellter Brust, sie kennten nun die authentische italienische Küche durch ihre authentischen Erfahrungen vor Ort, und sie seien nun kompetent in der Lage, ein „echtes“ von einem „nicht echten“ italienischen Restaurant allhier zu unterscheiden. Geradezu ein klassischer circulus vitiosus. Und der wird nochmals verstärkt durch all die Fernsehköche, Profi-Food-Schreiberlinge, halbseidenen Journalisten, Blödsinns-Blogger, Chefkoch-Beitragenden, abgehalfterten Stars und sonstige Stümper, die meinen, nun plötzlich italienische Kochbücher schreiben zu müssen. „Meine italienische Küche“ oder so ähnlich heißen die oft, um zu kaschieren, dass hier nicht solide recherchierte Rezepturen wiedergegeben werden, sondern irgendwelche abgeschriebenen und re-re-re-reproduzierten Allgemeinplätze, wie bei alten Handschriften bei jeder erneuten Abschrift immer wieder ein wenig mit weiteren Fehlern versehen sowie dubiose Eigenkreationen und angebliche tradierte Rezepte von irgendwelchen Urgroßmüttern (was sehr praktisch ist, da diese in der Regel tot sind und so der Wahrheitsgehalt des aufgebundenen Bärens nur schwer zu ermitteln ist). Mit Italien haben diese Machwerke oft sehr wenig zu tun, selbst die Photos stammen oft aus irgendwelchen Stock-Archiven und passen nur recht bedingt zur Materie, sind dafür aber schön bunt. Und diese pseudo-italienischen Kochbücher tragen dann nochmals bei zur Mär der „authentischen italienischen Küche“ in Deutschland, die oft so recht wenig mit der italienischen Küche in Italien zu tun hat.