Marginalie 23: Von Mollusken, Blowjobs und der Gier

Der Senior-Chef hat sich längst aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, doch lässt er es sich bis heute nicht nehmen, die jungen Nachwuchs-Top-Manager seiner Firmen zu einem Sommerfest in sein Privathaus einzuladen. Großes Theater: herrschaftliche Villa direkt am Englischen Garten, laue Sommernacht, der Senior-Chef im Leinenanzug ohne Krawatte betont lässig, ebenso die Gattin an seiner Seite, noch immer seine erste Frau, in solchen Kreisen lässt man sich nicht scheiden, man hat vielleicht Geliebte, beidseitig, aber man trennt sich nicht, um ihren Hals trägt die  Dame sicherlich den Gegenwert eines stattlichen Einfamilienhauses, an den Handgelenken nochmals den Gegenwert zweier  Oberklassewagen, und das ist ja der eigentliche Grund für diese Veranstaltung, der Senior zeigt das luxuriöse Leben, das sich die jungen Leute irgendwann einmal – vielleicht – auch leisten können, wenn sie nur hart genug für ihn arbeiten, Gier, das Erzeugen von Gier, das ist der eine Zweck dieser Veranstaltung, denn je gieriger die jungen Leute sind, desto härter arbeiten sie, desto besser für den Senior. 20 junge Führungskräfte, 2 Frauen, 18 Männer, alle um die 30, brillante Abschlüsse von den besten Universitäten, heute in wichtigen Positionen im Firmenkonglomerat des Alten tätig, Director R+D, Vice President Business Development, Head of Corporate Strategy, Chief Representative M&A, President Legal Affairs, … die Stellenbezeichnungen lesen sich wie das Vorlesungsverzeichnis von Harvard, dazu ihre Partner, 17 Frauen, 3 Männer, es ist tatsächlich ein schwules Pärchen darunter, aber auch das kein Problem, solange nur die Performance stimmt. Livriertes Personal reicht im parkähnlichen Garten der Villa zum Empfang Champagner und Appetithäppchen im Stehen; auf der großen Terrasse ist eine lange Tafel eingedeckt, Damast-Tischwäsche, Silber-Besteck, die Anzahl des Bestecks lässt auf ein wenigstens sechs-gängiges Menue schließen, Dibbern White Bone China Porzellan, eine Batterie Riedl Gläser an jedem Platz, wohl nur der Fachmann erkennt, dass es die mundgeblasene Sommelier-Serie ist, reichlich Blumenschmuck, gesetzte Tischordnung mit Platzkärtchen, am Kopf der Tafel der Senior mit Gattin, dann absteigend, je wichtiger eine Nachwuchskraft ist, desto näher sitzt sie beim Senior. Ungefähr in der Mitte der Tafel ist Torben mit seiner Begleitung platziert worden, er Apothekers-Sohn aus Hamburg, studierter Wirtschaftsingenieur, Promotion summa cum laude, heute für Prozessoptimierungen und Einsparpotentiale verantwortlich, ein undankbarer Job, mit dem man sich keine Freunde bei den Kollegen macht, sehr wohl aber beim Top-Management, so man denn gut ist; an seiner Seite Antonia, Deutsch-Argentinierin, eine bildschöne, blitzgescheite, temperamentvolle Weibsperson, Vater Deutscher, Mutter Argentinierin, in Südamerika dreisprachig aufgewachsen, dann Design-Studium in Deutschland, noch keine 30 und hat schon ein recht erfolgreiches, kleines Mode-Label, das vorwiegend in teuren Boutiquen im Süddeutschen Raum und natürlich in Berlin zu finden ist. Man plaudert, scherzt, lacht, und doch ist niemand der Gäste entspannt, denn jeder weiß, dass der Alte einen jeden samt Partner mit Argusaugen betrachtet um sich ein Bild zu machen, wer für die wenigen Plätze ganz oben in der Nahrungskette seines Konzerns denn geeignet sein könnte, wer sich  jenseits der beruflichen Leistung, die ohnehin bei allen spitzenmäßig ist, auch im gesellschaftlichen Leben als echtes Alpha-Tier behauptet. Das ist der andere Zweck dieser Veranstaltung, und jeder weiß das und jeder versucht, sein Bestes zu geben, auf Kosten der anderen versteht sich. Ein paar Monate später wird der Alte drei, vielleicht vier von ihnen zum Golfspielen, auf seine Yacht oder auf eine Bergtour einladen. Zwischen Loch 15 und 17, des Abends vor Anker auf dem Deck der Yacht bei schwerem Rotwein oder in einer rustikalen Berghütte bei Rösti und Kaminfeuer wird der Alte von Aufgaben, Zielen und Perspektiven sprechen, und vor allem von Loyalität; die jungen Leute werden nicht entgegnen, diskutieren oder verhandeln, sie werden stumm nickend zuhören, sie werden empfangen, so wie man eine Weihe empfängt, und sie werden wissen, dass sie von nun an inauguriert sind. Nochmals Monate später wird ein Vorstand oder gar ein Aufsichtsrat den jungen Leuten ein Angebot unterbreiten, ein offer you can’t refuse, das ist dann die Zeit, um über die erste Zahl auf dem ohnehin siebenstelligen Gehaltsscheck zu verhandeln, für den Alten wären das nur lästige Details. Heute gibt es als kalte Vorspeise Lachs, danach eine Consommé mit irgendwelchen Einlagen – soweit kulinarisch kein echter Brüller, aber von wirklich gutem Essen haben der Alte und seine Frau ohnehin keine Ahnung, es sind keine Genussmenschen, beide kennen nur teures Essen, denn mit Genuss kommt man nie nach ganz oben, mit teuer hingegen schon. Als warme Vorspeise bringt das Personal überbackene Austern à la Rockefeller, frische Austern werden mit einer Mischung aus blanchiertem Spinat, ein wenig anderem angedünstetem Gemüse, Estragon, Worcestershiresauce, Tabasco und reichlich Rahm kurz im Salamander gratiniert und dann noch mit krossen Speckstreifchen garniert aufgetischt. Eine Servicemitarbeiterin stellt einen Teller mit drei Austern vor Antonia, die Deutsch-Argentinierin. Sie sieht die Austern und sagt in einer Lautstärke, die an der gesamten Tafel gut vernehmbar ist: „Austern? Nein Danke! Da blase ich Torben doch lieber einen!“

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Unvermittelt betretenes Schweigen, am ganzen Tisch, quälend lange, vielleicht 3 Sekunden. Alle schielen in Richtung Antonia, keiner traut sich, offen zu ihr zu blicken. Dann die Erlösung: die Gattin des Alten – eine polyglotte, elegante Skandinavierin – fängt laut und herzlich an zu lachen: „Das gefällt mir, jemand der den Mut hat, laut zu sagen, wenn er es nicht mag! Gut gesprochen, Antonia. Wollt Ihr beide Euch jetzt kurz zurückziehen oder soll ich Dir was anderes bringen lassen?“ Damit hat die Gastgeberin noch eins draufgesetzt in Sachen Frivolität, und alles ist gerettet und wieder gut, alle atmen innerlich auf und setzen ihre Plaudereien fort.

Und so endete die Geschichte: Antonia und Torben zogen sich nicht kurz zurück, Antonia bekam statt der Austern einen kleinen Salat, Torben verließ den Konzern nach einem halben Jahr auf eigenen Wunsch und wurde erfolgreicher Investment-Banker, Antonia gebar ihm drei entzückende Kinder und betrog ihn mit dem Sohn einer bekannten Modehaus-Dynastie, es folgte ein sehr dreckiger Scheidungskrieg, die Kinder mussten in psychologische Behandlung, Torben zahlte sich dumm und dämlich, Antonia ehelichte den Mode-Dynasten und wurde in einer Villa am Tegernsee alt und unglaublich fett, derweil ihr neuer Gatte sich jetsettenderdings weiterhin fleißig der Promiskuität widmete, und Torben ging nach Singapur, wo sich seine Spur verliert.

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