Marginalie 22 – Des Teufels Taxifahrer

Man kommt viel rum, pflegt Caro zuweilen zu sagen, und das stimmt sicherlich auch, was Taxifahren anbelangt, genauer, was Taxifahrer anbelangt. Harmlos war da noch der Taxifahrer in Mailand, über Monate arbeite ich nahezu jeden Dienstag oder Mittwoch in Mailand, nächtigte im Duomo mitten in der Stadt, um dann am nächsten Tag die allererste Maschine abwechselnd nach London oder Paris, ebenfalls abwechselnd vom Malpensa oder Linate zu nehmen. Es hatte sich recht bald eingependelt, dass ich jeden Morgen um 05:15 denselben Taxifahrer hatte, der mich zu den Flughäfen fuhr. Selbst Mailand ist um diese Zeit noch verschlafen und die Straßen weitgehend leer. Als ich anfänglich vorsichtig bemerkte, dass der Taxifahrer gerade über die dritte oder vierte Rote Ampel gefahren sei, lachte dieser mich aus; das sei mal wieder typisch Deutsch, schalt er mich, Regeln auch dann zu befolgen, wenn sie vollkommen überflüssig seien. Die Ampeln seien für den dichten Verkehr tagsüber gemacht (und selbst dann werden sie in Italien zuweilen nicht beachtet), und nicht für die gänzlich leeren Straßen am frühen Morgen, und folglich dürfe man sie am frühen Morgen in Ermangelung von Reglungsbedarf auch ignorieren, was der Taxifahrer dann auch bei jeder Fahrt tat. Nach der dritten oder vierten Fahrt hatte ich mich dann auch daran gewöhnt und ergab mich den landestypischen Gepflogenheiten.

Ungleich spektakulärer mein Taxifahrer in Shanghai, der auf der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt wohl unerwartet an ein Stauende geriet: der wackere Mann lenkte seinen Wagen spontan auf die Standspur, um dort mit recht hoher Geschwindigkeit wenigstens 1 Kilometer rückwärts bis zur letzten Ausfahrt zu fahren und die Autobahn dann zu verlassen, während sich links von uns der Rückstau aufbaute und ich Blut und Wasser schwitze.

Nochmals beängstigender war die Situation spät nachts in Bombay, wir hatten das Hotel am Abend verlassen, um den Nachtflug zurück nach München zu nehmen. Zwischen Innenstadt und Chhatrapati Shivaji International, mitten im Slumgürtel, der um fast ganz Bombay liegt, ruckelte und schlingerte das Taxi. Unwillkürlich dachten wir zuerst an eine vorgetäuschte Panne, um uns hier, im dunklen und rechtsfreien Raum auszurauben oder noch schlimmeres, aber nein, das Taxi hatte tatsächlich eine Reifenpanne. Wie unrecht wir dem Taxifahrer mit unserem Verdacht getan hatten erkannten wir erst, als er uns beschwor, bloß im Wagen zu bleiben, diesen sodann mit einem massigen Baseballschläger und Taschenlampe bewaffnet verließ und sich daran machte, den Reifen zu wechseln, dazu das Auto mitsamt unserem Gewicht und dem des Gepäcks per Wagenheber anhob, während um das Auto ein Rudel heulender und knurrender Straßenhunde (mit denen in Indien nicht zu spaßen ist) strich. Ein paarmal schlug der wackere Taxifahrer mit dem Baseballschläger in’s Dunkle, einmal schien er auch einen Köter erwischt zu haben, wie wir aus einem lauten Aufheulen schlossen, alles in allem konnte er sich und uns die Hunde aber so buchstäblich vom Leibe halten, den Reifen erfolgreich wechseln, unversehrt in das sichere Auto zurückkehren und uns wohlbehalten zum Flughafen bringen. Das war eine der ganz seltenen Situationen in meinem Leben, in denen ich 100% Trinkgeld gegeben habe, das hatte sich der wackere Mann wahrlich verdient.

Gänzlich selber verschuldet und unsagbar dämlich hingegen eine Situation eines Nachmittags in der Madrider Innenstadt: von einem Termin kommend hechtete ich mit komplettem Marschgepäck und Lebendgewicht in ein Taxi und bot dem Fahrer außer Atmen und verschwitzt den doppelten Fahrpreis, sollte ich die 17-Uhr-Maschine nach Frankfurt noch erreichen, wohl in dem unverrückbaren Glauben, dass die Erde unverzüglich das Drehen einstellen werde oder – ungleich schlimmer – das abendländische Werte- und Wirtschaftssystem zusammenbrechen werde, sollte ich unsagbar wichtiger Mensch nicht an diesem nämlichen Abend persönlich in Frankfurt anwesend sein. Ich hielt mich bereits vom Rennen zum Taxistand und der sommerlichen Hitze Madrids für außer Atem und verschwitzt, doch all dies war nur ein Vorgeschmack, ein Abklatsch der körperlichen Befindlichkeiten meinerseits, die auf diesen unglücksseligen Satz folgen sollten. Das geballte südländische Temperament des Taxifahrers entfesselte sich mit einem Male, er holte alles, was aus dem armen Seat-Motor herauszuholen war, heraus, und das war einiges, Rote Ampeln verloren all ihre Bedeutung, Straßenverkehrsschilder ebenso, Geschwindigkeitsbegrenzungen allemal, dazu ein Schalten, Hupen, Fluchen, Schneiden, Vorfahrt-Nehmen, Abdrängen, Bremsen, Vollgas-Geben, Drängeln, und wo gar nichts mehr half, da gab es immer noch die breiten Gehwege, auf die der wackere Taxifahrer wo immer notwendig unter lautem Hupen zur Warnung der dort völlig unangemessener Weise gehenden Fußgänger auswich, wenn die Straßen sich als tatsächlich zu verstopft und unpassierbar erwiesen,  … kurzum, es war zum Stein erweichen, ganz zu schweigen von dem Haufen Alemannischen Elends auf dem Rücksitz, das das ganze Chaos mit seinem großkotzigen Angebots des doppelten Fahrpreises erst ausgelöst hatte. To make a fast story short: ich erreichte meinen Flieger bequem, zahlte mit zittrigen Knien den versprochenen Droschkerlohn, war tatsächlich des Abends pünktlich in Frankfurt und siehe, die Erde hörte sich nicht auf zu drehen, Dank meines selbstlosen Einsatzes. Intelligente Menschen zeichnen sich durch hohe Lernfähigkeit aus, ich hingegen sagte kein Jahr später den nämlichen Satz zu einem Taxifahrer – diesmal ein Neubürger offensichtlich aus dem Morgenlande – in Berlin, diesmal wollte ich einen ICE erwischen. Es geschah so ziemlich das Nämliche, nur sind die Bürgersteige in Berlin in der Regel deutlich schmaler als die in Madrid. Erstens: Ich habe auch meinen ICE in Berlin erreicht. Zweitens: Ich bin ein Idiot. Drittens: Wenn es nicht wirklich um Leben und Tod geht, werde ich diesen dämlichen Satz vom doppelten Fahrpreis nie-nie-nie wieder zu einem Taxifahrer sagen. Viertens: Die Erde dreht sich offensichtlich nach wie vor.

Von dem Taxifahrer in Rom, der das Kunststück zustande brachte, eine massive Mercedes-Limousine zuerst über die Stadtautobahn und sodann durch engste Gässchen in der Innenstadt bei der Spanischen Treppe zu fahren, und dabei mit einer Funke in der einen Hand lautstark zu telephonieren und mit einer weiteren Funke in der anderen Hand Textnachrichten zu schreiben – das Steuer lenkte er mit dem Oberschenkel – will ich hier gar nicht weiter schreiben: mögen die Götter aus großer Höhe auf ihn herabscheißen (so er bei dem Fahrstil tatsächlich noch lebt).

Und unerwähnt bleiben sollen auch die Heerscharen an Taxifahrern, die ausgesprochen vielfältige und kreative und vor allem immer längere Wege von Flughäfen in Innenstädte zu finden in der Lage sind; von JFK nach Manhattan habe ich schon jeden Preis zwischen knapp 60 und weit über 150 US$ gezahlt, und selbst wenn man den Weg zwischenzeitlich kennt, daher genau merkt, wann der Betrüger von der kürzesten Route abweicht und reklamiert, so erhält man stets als stereotype Antwort, dass irgendetwas wegen Bauarbeiten gesperrt sei und der Umweg daher zwingend notwendig (auf der Rückfahrt in die Gegenrichtung sieht man dann regemäßig, dass aber rein garnix auf der Route gesperrt ist); noch weitaus schlimmer ist das Umweg-Fahren-Wesen in Paris mit seinen versifften Taxis und den rüpelhaften, keiner mitteleuropäischen Sprache mächtigen Fahrern, dagegen nehmen sich die eher kleinen, verstohlenen Schummeleien der Warschauer oder Budapester Taxifahrer schon fast liebenswert aus.

Aber all meine Taxifahrer-Erlebnisse werden seit gestern getoppt, da nämlich habe ich den Taxifahrer des Teufels persönlich kennengelernt. Wir waren mit der Fähre nach Kadiköy auf die Asiatische Seite Istanbuls gefahren, hatten uns dort den Vormittag durch die Gassen und Sträßchen, vorbei an Lebensmittelgeschäften, Märkte, Restaurants treiben lassen, Touristen verirren sich nur noch wenige hierher, Türken weitgehend unter sich, die Preise auch für Einheimische bestimmt und nicht für Reisevolk, ein großes massives Backgammon mit Rosenholzintarsien, für das sie auf dem Großen Bazar 850 Lira – ein Freundschaftspreis, wie der Verkäufer versicherte – haben wollten, erstanden wir für ganze 150 Lira, dergestalt bepackt wanderten wir wacker parallel zum Wasser nach Norden Richtung Üsküdar, irgendwann verliefen sich die kleinen Gässchen, machten Industrie, Shoppingmals und anonymer Wohnbebauung Platz, alles andere als erbaulich, zumal quälte uns zusehends Hunger, den wir im Hafen in Üsküdar zu stillen gedachten. Also winkte ich – nichts Böses denkend – eines der zahlreichen, wohlfeilen, kleinen, stets quietsche-gelben, mal neuen, mal alten, mal super-sauberen, mal hanebüchen-versifften Taxis heran, ein neuer Fiat, der Fahrer hielt, irgendwie muss ich „Üsküdar“ wohl halbwegs richtig ausgesprochen haben, zumindest fuhr er munter drauf los, Richtung Norden, parallel zum Wasser, soweit alles gut. Dazu quatschte er munter auf Türkisch und rauchte in einem fort, dass wir ihn nicht verstanden und dass ein großes „No smoking“-Schild auf dem Handschuhfach prangte, interessierte ihn wohl beides recht wenig. Die Tatsache, dass es zwar Sicherheitsgurte, aber weder vorne noch hinten passende Gegenstücke zum Einrasten derselben gab, taugten auch nicht wirklich als vertrauensbildende Maßnahme. „Üsküdar Pier“, wie auf meinem Stadtplan als Abfahrtsort für die Fähren zurück nach Europa zu lesen, verstand unserer Fahrer wohl nicht, also zeigte ich ihm an der ersten Roten Ampel den aufgeschlagenen Stadtplan, deutlich auf unsere Wunschdestination deutend. Der Fahrer schnappte ich den Plan im Anfahren, drehte ihn ein paarmal vor sich hin und her, bis er wohl Norden gefunden hatte, und begann, den Plan zu studieren. Sodann hielt er den Plan mit der einen Hand, seine Funke klingelte, er nahm sein mobile device mit einer Hand, Plan und Steuer mit der anderen, und das alles bei halsbrecherischen Geschwindigkeiten und Fahrmanövern innerorts, sodann zündete er sich eine Zigarette an, die Fluppe irgendwie neben der Funke, das Feuerzeug in der Hand, mit der er den Plan hielt, unvermindert, schauend, fahrend, rauchend, telephonierend, zwischendurch auch immer wieder schaltend und lenkend, irgendwo muss der Hund wenigstens eine dritte Hand hergehabt haben. In einer 30er-Zone vor einer Schule fuhr er mit Spaß 120, auch ansonsten selten weniger als 100 km/h mitten im dichtesten Stadtverkehr. Andere Autos wurden geschnitten, teils massiv genötigt, abwechselnd links und rechts überholt, als eine Frau in Tschador versuchte, die dreispurige Straße zu überqueren, wechselte er die Spur, beschleunigte und hielt laut wohl vor Freude jauchzend auf die Frau zu, die sich nur mit einem Satz zurück zwischen die parkenden Auto in Sicherheit bringen konnte, sodann war die Straße schnurgerade, stark abschüssig, rechts parkende Autos, hier beschleunigte der Hurensohn das Teufelsgefährt auf 180, und das innerorts neben parkenden Autos, zwischen denen jederzeit ein Kind herausspringen könnte. Bisher war ich der Auffassung, dass Taxifahrer zuweilen zwar einen recht aggressiven und zügigen Fahrstil hätten, aber niemals ihre Lebensgrundlagen – das Taxi und den Führerschein – riskieren würden. Dieser Wahnsinnige riskierte beides am laufenden Bande, und sein und unser Leben dazu. Das Leben dieses Wahnsinnigen ist mir dabei recht egal, doch wird der Teufel ihn wohl so schnell nicht holen, da er sein Werk hier auf Erden erfüllt, und wenn er in die wohlverdiente Ewige Verdammnis wechselt, so wird er dort wohl Satan persönlich durch die Neun Kreise der Hölle chauffieren.

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