Marginalie 112: Die preußischen Stenze, der Reserviert-Teller und der bajuwarische Kellner

Marktgaststätte, mitten auf dem Stadtmarkt, große Terrasse vor dem Haus mit Blick auf die reich bestückten Marktstände. Es ist schön hier, die Luft lau, Regen droht, macht seine Drohung aber zum Glück nicht wahr. Ich schätze, ein Drittel der Gäste sind Touristen, zwei Drittel Einheimische, Arbeiter, Angestellte, Selbstständige, die hier ihre Mittagspause verbringen, man kennt und grüßt sich, sowohl untereinander als auch mit dem Personal in Lederhose und Dirndl-Versatz, flott, mal freundlich, mal launisch, hier einen halbvollen Teller zurückgehen lassen, gerät zum Spießrutenlaufen,das Personal fragt empört und geradezu rabiat, was denn nicht gepasst habe. Um die Mittagszeit ist der Laden ziemlich voll, kein Wunder, die Küche ist bodenständig und wohlfeil, ich persönlich würde nicht sagen, dass sie gut ist, eher brachial, aber ehrlich. Schweinebraten mit Knödel (natürlich, wir sind in Bayern), mäßige, aber große Schnitzel mit schlechten Bratkartoffeln, die aber aus selbstgemetzelten Kartoffeln, jetzt in der Saison eine große Matjeskarte, frische Pfifferlinge, deftige Brotzeiten mit hausgemachter Sülze und Presssack, natürlich Weisswürst, keinerlei zeitgeistigen oder internationalistischen Spinnereien, keine veganistische Sonderkarte, ich wüsste auch nicht, was Veganer außer einem Salat hier essen sollten, erstmal eine Halbe scheint obligatorisch, Augustiner Edelstoff frisch vom Fass – außerhalb Münchens eine Seltenheit – ist der Standard. Ziemlich pralles Leben also.

Auf dem Vierertisch neben mir liegt ein großer weißer Teller, auf dem mit dickem, schwarzem Filzer geschrieben steht „Reserviert“. Zwei Stenze betreten die Terrasse, vielleicht um die Vierzig, feiner Zwirn, teure Schuhe, dicke Uhren, offene Business-Hemden, kleine, edle Aktentäschchen, vielleicht Banker, vielleicht Berater, vielleicht einfach Business Men. Erhobenen Hauptes schreiten sie auf der Suche nach einem genehmen Platz die Terrasse ab. Einige Tische sind durchaus noch frei, aber der Vierertisch direkt neben mir scheint ihnen am ehesten zu konvenieren, obwohl dort unübersehbar ein Teller mit der dicken Aufschrift „Reserviert“ steht. Die beiden setzten sich, platzieren ihre kleinen, edlen Aktentäschchen auf den freien Sitzen neben sich, der eine nimmt den „Reserviert“-Teller und stellt ihn lässig auf den Zweiertisch hinter sich. Die beiden beginnen das Parlieren und warten auf die Bedienung. Diese erscheint. Statt sich höflich nach dem Begehr der neuen Gäste zu erkundigen, fragt der Lederbehoste scheinbar unbeteiligt, weder freundlich noch böse: „Habts es den Reserviert-Dalla af den Diesch do drüben gstäit?“* Der Teller-Verrücker bejaht wahrheitsgemäß, sich keiner Schuld bewußt. „Joa wos glaubt es, warum dea Reserviert-Dalla af dem Diesch stäht? Meint es, i verteile aus Spass de Dalla? I hob nachher a Familie, fia de is dea Diesch reserviert. Wia kummt es dazua, ned schäd, eng hierhin zu hocka, sondan a no meinen Dalla anzulanga und umstäin?“ Die Stenze im feinen Zwirn, offenbar Preußen, haben etwas Mühe, der Schimpfkanonade des bajuwarischen Kellners zu folgen, verstehen dann aber wohl doch. Statt einen Streit anzufangen, sagen sie versöhnlich, deeskalierend, sie könnten sich ja auch an den kleineren Tisch setzen. „In meina Gaststätte setzt es eng nirgendwo meahr hin. Es gähd etzad und kummt nie wider. Hob de Ehre.“ poltert der Kellner. Die Beiden rufen ihm empört was von Marktamt und Gewerbeaufsicht und Beschwerde und Anzeige nach. Der Kellner macht auf dem Absatz kehrt, manschgerlt sich vor Beiden auf, beugt sich vor, stützt seine geballten Fäuste auf dem Tisch ab und sagt mit sonorer, bedrohlicher Stimme: „Des macht bitte unbedingt. Dannad griag i de Anzeige mid euren Namen und Adressen. Und dannad seng mia moi weida …“ Sprachs und stapfte unheilschwanger von Dannen. Verstört nehmen die Stenze ihre kleinen, edlen Aktentäschchen, stehen auf und verschwinden mit eingeklemmten Schwänzen.


* Die Bayrisch-Hochdeutsch-Bayrische Übersetzung habe ich mit Hilfe von https://dialektl.com/ erstellt. Ich hoffe, das ist alles korrekt. Aber auf Hochdeutsch ist das nur halb so schön.

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