Marginalie 104: Ehrlichkeit

„DOPPELZIMMER ZUM NACHBARGEBÄUDE AB 74 EURO Zimmer Nr. 13, Nr. 25 und Nr. 26 mit sehr eingeschränktem Tageslicht und ohne Aussicht, aber sehr ruhig. Aufgrund des sehr eingeschränkten Tageslicht werden diese Zimmer preiswerter angeboten. Ausstattung: neues Badezimmer mit Dusche und WC, TV mit 32-Zoll. Zimmer Nr. 25 und Nr. 26 haben auch ein Sofa / Schlafsofa. Nur zum übernachten geeignet. Abends kommen und morgens abreisen. Wenn sie mehrere Tage bleiben, nehmen Sie ein Zimmer zur Front- oder Rückseite.“

Lassen wir jetzt mal die etwas holprige Orthographie und Grammatik außer Acht, so ist diese Zimmerbeschreibung auf der Web-Page der Mohren-Post in Wangen im Allgäu (https://www.hotel-mohren-post.de/hotel/zimmeruebersicht) entwaffnend ehrlich. Ich hatte ja bereits verschiedentlich geschrieben, dass ich dieses altehrwürdige Traditionsgasthaus nicht mehr sonderlich mag, seit die Vorbesitzerin Paula Veit (die Veits hatten die Mohren-Post in vier Generationen seit 1877 betrieben) aus Altergründen 2008 an die k+s real estate, die Immobilientochter des Kassler Kali-Riesen K+S Aktiengesellschaft verkauft hatte und die neuen Besitzer genau das getan hatten, was solcherlei Investoren fast immer tun: betriebswirtschaftliche Optimierung und dabei dem Gasthof die Seele aus der Brust gerissen (siehe https://opl.guide/mohrenpost-wangen-gemeuchelte-tradition/). Einerlei, geschenkt, ich will nicht nachkarteln. Aber diese Zimmerbeschreibung zeigt nicht nur schonungslose Ehrlichkeit, sie zeigt Stil. Wir alle kennen diese blumigen Lügen, diese blumigen, rotzfrechen, zuweilen hart an der Grenze des Kriminellen Lügen aus Hotel-Werbungen: „seitlicher Meerblick“ ist noch einer der harmlosesten Euphemismen, „Blick ins Grüne“ für „Blick auf den Parkplatz“, „quirliges Stadtpanorama“ für „direkt an der Hauptverkehrsstraße“, „Zimmer zum ruhigen Innenhof“ für „Hinterhof mit Mülltonnen und Dreck“, „unvergleichliches Bergpanorama“ für „Blick auf’ne Felswand“ unsoweiterundsofort.

Ich mag diese Art von Ehrlichkeit bei der Mohren-Post. Zum einen schafft sie Vertrauen in das Etablissement und sein Management, zum anderen weiß man als Gast so, was einen erwartet (und man kann selber entscheiden, ob man sparen möchte oder aber Aussicht haben), und für den Hotelier (bzw. seine Servicekräfte, die im Zweifelsfalle gar nichts dafürkönnen, es aber ausbaden müssen) vermeidet sie zum Dritten unschöne, oft lautstarke Diskussionen mit – zu Recht – erbosten Gästen. Vielleicht sollte man bei Hotel- und Restaurant-Kritiken ein neues, weiteres Kriterium einfügen, nämlich die Ehrlichkeit der Betreiber bei den Beschreibungen und den Bildern ihrer Häuser im Internet und in Prospekten. Wenigstens die Hälfte aller Hotels und Restaurants würde hier mit Pauken und Trompeten durchfallen. Weitere 49% wären wahrscheinlich neutral, nichts lobhudelnd beschönigt, nichts schonungslos offen dargelegt, sondern einfach unerwähnt gelassen. Umso löblicher ist das verbleibende eine Prozent … Man muss sich ja nicht selber schlecht machen und sein Licht unter’n Scheffel stellen, aber sich selber bewusst lügend-lobhudelnder Weise mit geschönten Photos und Münchhausen-Texten in den Himmel zu heben, das ist schäbig … oder ganz einfach (kurzfristig) geschäftstüchtig. Einmal kommen die so vorab gefoppten Gäste, aber Stammgäste gewinnt man so gewiss keine.

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