Caro war Anfang Juli mit ihrer Flugbüchse in Helsinki, an irgendeiner Konferenz teilnehmen, keine Ahnung, „International Conference on Law and Political Science“, sie war dort „Key Note Speaker“, wahrscheinlich eine große Ehre, sie allerdings hat im Nachhinein ungeachtet der „Ehre“ mehr darüber geschäumt, dass ihr ihre Reiskosten nur in Höhe eines Business-Klasse-Tickets aus Frankfurt abgerechnet wurden, und nicht die tatsächlichen Kosten ihres Privatfliegers, die bei nur einem Passagier deutlich höher gewesen sein dürften (sie hat mir erklärt, so ab drei, vier Leuten rechne sich die Maschine und sei billiger als Linie). Wie dem auch sei, sie hat mir finnischen Gin mitgebracht, Kyrö Gin, „Finnish rye gin with a heart of wild nature and naked ambition“, so steht es zumindest auf dem Etikett. Der Schnaps stammt vom Dorfe in Südfinnland, vier Stunden nördlich von Helsinki, irgendwo in der Pampa. Seine Geschichte ist erfrischend ehrlich: fünf Freunde sitzen nackich in der Sauna (daher die „naked ambition“), trinken Roggen-Whiskey (Schnaps in der Sauna, Skandinavier halt) und fragen sich, warum niemand in Finnland Whiskey aus heimischen Roggen herstellt. Am nächsten Morgen machen sie sich daran, eine Brennerei für Roggen-Whiskey zu gründen, starten ein paar Probeläufe in einer Lohnbrennerei, finden eine alte Molkerei, die sie in Gemeinschaftsarbeit zur eigenen Brennerei umbauen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann brennen sie noch heute. Da man auf einem Bein schlecht steht, kam recht bald Gin zur Produktpalette hinzu, womit ließe sich heutzutage mehr Geld verdienen als mit Gin?
Nun, es ist kein London Dry, das schmeckt man dem Kyrö Gin deutlich an, trotz seiner kräftigem 46,3 Prozent (Skandinavier halt), sehr mild im Maule, keinerlei Brennen. Doch geschmacklich ist das Süppchen sehr dünn, gefällig, aber dünn. Von Wachholder schmecke ich ehrlich gesagt rein gar nichts. Vollmundige Kräuternoten, Pfeffer, Roggenähren und ätherische Öle von Weidenblumen sollte man als Connaisseur schmecken, ich schmecke nichts davon, aber vielleicht bin ich ja auch nur ein Banause. Ich vermeine, Sanddorn, Preiselbeeren, Birke wahrzunehmen (aber vielleicht ist das auch nur eine self-fulfilling scandivan prophecy), dazu reichlich Zitrus in der Nase. Insgesamt ist der Kyrö Gin für mich ein geschmacklich dünnes, belangloses Süppchen mit vielen Umdrehungen, zu wenig Eigengeschmack für einen Gin Tonic, nur bedingt geeignet für einen Martini Cocktail, vielleicht leicht gekühlt an den ersten warmen Frühjahrs- und den letzten warmen Herbstabenden pur.
Ich lasse Caro in ihrem Glauben, dass sie einen typisch regionalen, kleinen Gin vom Dorfe in Finnland aus Handarbeit für mich gefunden hat. Tatsächlich gibt es bei der Brennerei ein Besucherzentrum mit Führungen, Tastings, Verköstigungen, Übernachtungen, organisierten Gruppen-Events, am Flughafen Vasa eine Kyrö-Lounge, eine eigene deutsche Vermarktungsgesellschaft samt deutscher Homepage … und Kyrö Gin gibt’s bei Lidl – für rd. 55 EURO pro Liter, also moderates mittleres Preislevel, gerade noch angemessen für das Süppchen.