„Kaukasis“ von Olia Hercules: endlich mal ein beachtenswertes Kochbuch

Olia Hercules ist eine beachtenswerte, wenn nicht gar außergewöhnliche Person. Mit ihren 34 Jahren hat sie ihre ukrainische Heimat verlassen, Italienisch und Politik an der University of Warwick studiert, einen Master in Russischer Übersetzung gemacht, fünf Jahre in Zypern gelebt, Weiterbildungskurse an der Leith’s School of Food and Wine belegt, als Autorin und Food-Stylistin für Jamie’s Magazine und andere Food-Publikationen geschrieben und im hippen Londoner Restaurant Ottolenghi’s bei dem legendären Jüdisch-Britischen Koch, Restaurantbesitzer und Futter-Schreiberling Assaf Ottolenghi als Chef-de-Partie gearbeitet. Nebenbei bereist sie viel ihre Kaukasische Heimat und hat zwei Kochbücher geschrieben, 2015 „Mamushka: Recipes from Ukraine & beyond“ (bereits im selben Jahr unter dem – meines Erachtens schlecht übersetzten Titel – „Mamuschka: Osteuropa kulinarisch entdecken“ in Deutsch veröffentlicht) und 2017 „Kaukasis The Cookbook: The culinary journey through Georgia, Azerbaijan & beyond“, jetzt gerade in Deutsch unter dem Titel „Kaukasis: Eine kulinarische Reise durch Georgien und Aserbaidschan“ bei Knesebeck in der Übersetzung von Stefanie Kubulla-Cottone erschienen.

Olia Hercules, Kaukasis, Georgien, Aserbaidschan, Stefanie Kubulla-Cottone, Knesebeck

„Kaukasis“ ist in dreifacher Hinsicht ein beachtenswertes Kochbuch und Buch. Zum ersten werden hier nicht zum hundertzweiundsiebzigsten Male die altbekannten Rezepte aus die Fundus von Gräfe&Unzer, essen&trinken, Feinschmecker & Co. unter einem scheinbar neuen Motto neu zusammengewürfelt, neu bebildert und neu herausgegeben. In dem Buch werden auch nicht irgendwelche beliebigen Neuerfindungen und umgestrickte klassische Rezepte von Ghost-Cooks und Ghost-Writern aufwändig mit tollen Photos versehen und dann unter dem Namen einer beliebigen Fernseh-Koch-Hure für teures Geld mit viel Werbedruck auf den hungrigen Markt geworfen. Und es sind auch keine handgeschriebenen Rezepte der Dortmunder Dorfbäuerinnen, die uns informieren, dass Schweineschnitzel mit Feta-Käse überbacken in einer Fertigsauce von Maggi mit einem Glas Spargelstückchen ein typisch Dortmunder Gericht ist. In „Kaukasis“ findet man tatsächlich Rezepte, die zwar nicht wirklich „neu“ sind, sondern alterprobt in ihrer Heimat, aber dennoch neu für den westlichen Leser. Gleich das zweite Rezept zum Beispiel ist ungewöhnlich für unsere Breiten: ein Salat von Rote Bete, getrockneten Pflaumen, bitterem Blattgemüse, Chili, Ahornsirup, Knoblauch, geröstetem Sesam, Dill, Koriander, Salz, Essig und Öl. Ich lese ja nun viele Kochbücher und Rezepte, aber dieses war mir gänzlich neu, ebenso wie die meisten anderen Gerichte aus dem Buch. Bis auf den Plov natürlich, die mannigfachen Kaukasische Ausprägungen des Pilaws aus Reis mit Fleisch, viel Fett, Gemüsen und exotischen Gewürzen; Plov kocht zuweilen Elena für uns, unsere patente Kasachische Haushälterin, und dieses Gericht ist irgendwas zwischen super-lecker und unheimlich mit seinen asiatischen Gewürzen, die Elena am Zoll vorbei von daheim mitbringt. Neben eigentlichen Kochrezepten liefert „Kaukasis“ auch zahlreiche Grundrezepte der Kaukasischen Küche, Tkemali zum Beispiel, eine Würzsauce aus Renekloden, Ombalo (was immer das auch sein mag, hilfsweise kann man Minze nehmen), Dill- und Koriandersaat, Schabzigerklee, Knoblauch, Cayenne und Salz, oder Adschika-Salz aus Schabzigerklee, Koriandersaat, Ringelblumenblüten, Knoblauch, Cayenne und Meersalzflocken.

Olia Hercules, Kaukasis, Georgien, Aserbaidschan, Stefanie Kubulla-Cottone, Knesebeck

Zum zweiten ist „Kaukasis“ mehr als nur ein Kochbuch, es ist zugleich eine Art kulinarischer Reisebericht durch die Regionen zwischen Sugdidi und Baku, ihre Menschen und vor allem ihre Köchinnen, denn weitaus die meisten Rezepte stammen von Hausfrauen, von denen die Autorin Olia Hercules die Rezepte erhalten und dann offensichtlich gleich vor Ort abphotographiert hat, ungekünstelt, ohne Food-Design, auch mal leicht verbrannt, aber immer authentisch und besser als jeder noch so gestylte Teller.

Vor allem aber ist „Kaukasis“ eine bedingungslose Liebeserklärung an eine Region. Als hätte es seit den achtziger Jahren niemals die Kriege, Aufstände, Vertreibungen, ethnischen Säuberungen im Kaukasus gegeben, bereist die Autorin – deren armenische Familie selber über die Jahre von dem politisch-ideologisch-patriotisch-rassistischem Unbill zersprengt wurde – die Region grenzüberscheitend ohne Groll, ohne Vorurteile, ohne Vorverurteilungen. Bei allen politischen Streitereien zeigt die Autorin das Gemeinsame der Region auf, und das ist die Küche, die von Swanetien bis Lankran wenn schon nicht identisch, so doch sehr ähnlich ist, sich gegenseitig befruchtend und ergänzend. Sie erzählt authentische Geschichten und zeigt ehrliche Bilder von Familien, von Köchinnen, von Lebensumständen, von starken Frauen, vom Schaffen und Vereinen, nicht vom Zerstören und Trennen.

Olia Hercules, Kaukasis, Georgien, Aserbaidschan, Stefanie Kubulla-Cottone, Knesebeck

Das Alles ist sehr schön, gibt Mut … und macht Appetit. Gute Kaukasische Restaurants sind Mangelware, selbst in München oder Berlin, also heißt es: selberkochen. Aber Inspirationen und Anleitungen habe ich jetzt ja genug …

Olia Hercules: „Kaukasis: Eine kulinarische Reise durch Georgien und Aserbaidschan“. 
Deutsch von von Stefanie Kubulla-Cottone, München, Verlag Knesebeck, 2018, gebunden 30 EURO, ISBN 978-3-95728-149-4

Copyright Bildmaterial: Elena Heatherwick/Knesebeck Verlag

 

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