Heimatliebe in Kempten: gut gemeint, aber richtig gut kochen geht anders

Summa summarum bin ich ambivalent gegenüber dieser Küchenleistung. Stünde die Heimatliebe in Wien oder München, ich stufte sie – mit aller Stadtfrack-Arroganz – gewiss maximal im mittleren Drittel der dortigen Restaurants ein, denn trotz bemühter und teilweise sogar ordentlicher gehobener Küche sind hier (noch) viel zu viele Patzer und Ungereimtheiten. Im Kempten und Umgebung zählt die Heimatliebe sicherlich zu den besseren Restaurants der Region, und der Erfolg beim Publikum – kleinstädtische Genussmenschen (wertungsfrei gemeint) – gibt ihr Recht. Klar, da ist nach oben noch sehr viel Potential, auch ohne in abgehobene kulinarische Sphären zu entschweben, allein an Handwerklichem, aber ein Anfang ist mal gemacht. Mal schauen, was daraus wird.*

Obwohl Allgäu, noch dazu Oberzentrum mit gepimpter Fachhochschule, Basilika und echter Römer-Tradition, ist Kempten heute kulinarische Provinz; das mag zu Zeiten von Drusus und Tiberius anders gewesen sein, aber die Zeiten von Horst und Angela können ohnehin nicht mit großem mithalten. So auch die Kulinarik in Kempten. Dabei muss man dem Restaurant Heimatliebe zugutehalten, dass man (bzw. frau) hier seit Ende letzten Jahres durchaus bemüht ist, mit begrenztem Erfolg, aber immerhin bemüht. Das Lokal liegt zentral an der Fischersteige mitten in der Innenstadt von Kempten, eine Treppe hinunter im Souterrain, nach hinten raus an einen netten Freisitz im Innenhof angrenzend. Das Ambiente ist – nun ja, sagen wir mal – leger-unprätentiös-unkompliziert: leise, aber umso nervigere Jazzmusik, Bistro-Möblierung, Holzboden, wuchtige, den Raum dominierende U-förmige Theke, helle Pastellfarben, keine Tischwäsche, stattdessen Platzdeckchen aus Filz, auf kleinen Schieferplatten liegen Brotmesser, nur die Brotteller dazu fehlen, abgewetztes VEGA-Industrie-Besteck und grobes VEGA-Porzellan, widerstandsfähige Schott-Zwiesel-Gläser aus der Restaurant-Serie Pure (glaube ich), dazu eine ausgesprochen kreative Grammatik auf der Speisekarte, da ist dann etwa von ‚das Risotto‘ oder ‚der Brunnenkresse‘ die Rede, aber das stört hier eh‘ keinen. Das Publikum ist – trotz der Preise – relativ jung, man trägt Hemden mit großen Karos und H&M-Kleidchen, grapscht die Weingläser ungeniert am Kelch an, schmiert sich mit dem Fleischmesser vor dem Essen eine veritable Butterbemme, und die Art und Weise, wie die Dame am Nachbartisch bei der Bestellung „Entrecôte“ ausspricht, zeigt eine gewisse Diskrepanz zu den ansonsten üblichen Gepflogenheiten der Französischen Sprache. Und dennoch – oder wahrscheinlich eher deswegen – genießt man an den Nachbartischen das Essen und Trinken hier, die Gäste sind fröhlich, bei der Sache und doch locker-unverkrampft. Die Dame mit der kreativen Französischen Diktion muss sich den Pesto für ihre Brunnenkresseschaumsuppe selber in einem großen Mörser am Platz stampfen; zuerst ist sie furchtbar aufgeregt, schlägt sich dann aber doch recht wacker und scheint die unerwartete körperliche Arbeit vor der Suppe und die aktive Einbeziehung in den Kochprozess ziemlich toll zu finden. Hier sind kleinstädtische Genussmenschen beisammen, die für einen Mörser bei Tisch, Rinderfilet in Heu, Hummertatar oder Umathum-Weine eine geradezu kindliche Begeisterung aufbringen können, und das ist schön so, man braucht gewiss kein Carpaccio vom Wagyū-Rind an Trüffel-Mayonnaise um kulinarische Höhenflüge zu erleben.

Wahre Höhenflüge verheißt die Speisekarte nun auch nicht gerade, doch schon gehobene Kost jenseits des Spätzle- und Schweinsbraten-Einerleis mit deutlichen österreichischen Reminiszenzen, jedoch ohne Ösi-Klischee, schon mit Ecken, Kanten und einer eigenen Handschrift des Kochs. Klar, es gibt Tafelspitz, Backhendel und Kaiserschmarrn, für die weniger mit der internationalen Küche vertrauten Eingeborenen auch heimisch-bekannten Zwiebelrostbraten (aber keinen gedünsteten wie in Wien, sondern traditionell-deutsch als kurzgebratenes Stück Roastbeef ), Kalbshaxe oder Wiener Schnitzel. Daneben bietet die Küche aber auch Ungewöhnlicheres, Tatar von Garnele und Hummer, Forelle mit Rollgerstenrisotto oder Entenbrust mit Karottencreme und Bergkäsekrapfen. Mit drei Vorspeisen je um die 13 €, zwei Suppen um 6 €, acht Hauptspeisen von 16,50 € bis 28,90 € und drei Desserts von 5 € bis 9 € ist die Speisekarte erfreulich übersichtlich, und doch vielfältig, aber nicht wirklich preiswert. Erfreulich die Weinkarte, natürlich mit dem Schwerpunkt auf Österreich, dazu klug zusammengestellt, und wer den 2013er Blaufränkischen von Umathum für 34 € feilbietet – noch nicht einmal das Dreifache des Erzeugerpreises –, kann kein wirklich schlechter Mensch sein.

Auch der Service ist flott, freundlich, zuvorkommend, nicht wirklich für die höhere Etepetete-Gastronomie ausgebildet, aber das wäre hier wohl auch fehl am Platze. Aber dann bringt mir diese freundliche junge Dame ein paar Scheibchen eines breiigen Baguettes (nicht wabbelig, nicht lätschert, schon gar nicht knusprig, sondern richtig breiig) und dazu ein kleines Näpfchen mit aufgeschäumter Butter, gefärbt – von aromatisiert kann keine Rede sein – mit etwas Tomate. So beginnen große kulinarische Abende eher nicht. Ich vermute, das folgende Tatar von Hummer und Languste stammt nicht von selbst gekochten Krustentieren, denn dann sollte eigentlich noch irgendwo auf der Speisekarte eine Hummer-Bisque oder Nudeln mit Krustentier-Sauce herumschwirren, denn zum Wegwerfen wären die Schalen tatsächlich zu teuer; es schwirrt aber nix, also schließe ich daraus, dass Hummer und Languste als Fertigware gekauft wurden. Das Tatar selber ist hoffnungslos unterwürzt, guter Biss, leicht gekühlt, aber mit der Tendenz zur Geschmacklosigkeit, die Mischung von gehobeltem Fenchel, Gurke, Orange Kerbel Radieschen darauf jedoch sowohl vom Geschmack als auch von der Textur ganz famos, nur leider ist der Fenchel samt Strunk gehobelt, da mag die Mandoline noch so filigran schneiden, ein Strunk ist ein Strunk ist ein Strunk, und der ist nun mal hart. Für eine Vorspeise ist die Portion insgesamt zu groß und die Lavendelblüten als Deko obendrauf sind überflüssiger Schnickschnack, der nur vom Wesentlichen ablenkt. Bei der Bestellung des Zwiebelrostbratens fragt mich die junge Dame nicht, wie ich mein totes Stück Kuh denn gerne hätte, ich lasse es drauf ankommen, das Roastbeef kommt ziemlich perfekt medium und zart daher, Zwiebeln, Speckbohnen und Röstkartoffeln sind ok dazu (gleichwohl die Kartoffeln noch deutlich mehr röst vertragen hätten und die Bohnen mehr Aufwärme). Richtig schlecht dann der Tafelspitz: drei dünne Scheiben gekochten, fasrigen, trockenen Rindfleischs kurz in Rinderbrühe mit kleinen, exakt geschnittenen Rauten von Möhre und Knollensellerie erwärmt, dazu – statt dem klassischen Kartoffelsterz oder Röstkartoffeln – nochmals Bratkartoffeln, diesmal nur deutlich fettiger, etwas frischer Apfelkren, nur leider kaum scharf und zu wenig, keine Schnittlaichsauce, der Spinat für mich TK-Ware. In Wien hätte ich solch einen Tafelspitz zurück gehen lassen. Aber Kempten ist ja nicht Wien. Der – auf tripadvisor immer wieder in den höchsten Tönen gelobte – Topfen-Beeren-Kaiserschmarrn entpuppen sich als in der Tat sehr fluffige, gut durchgebackene und leicht angeröste Stückchen von Pfannkuchen, nur absolut geschmacklos, darüber ein paar Beeren aus der Tiefkühlpackung gekippt, nicht die Kalorien wert, es aufzuessen.

* Das war jetzt Alles in Allem teilweise etwas hart, direkt, mit deutlicher Messlatte, aber nicht unwohlwollend. Wenn alle nur „Hurra, genial!“ schreien  (18 von 25 Bewertungen auf tripadvisor „Ausgezeichnet“) hilft das dem Team auch nicht weiter bei der Entwicklung; das schmeichelt kurzfristig dem Ego und tut der Vermarktung gut, bringt aber keine neuen Impulse. Also …

Restaurant Heimatliebe
Fischersteige 6
87435 Kempten
Tel.: 49 (8 31) 52 75 14 45
Email: info@heimatliebe-kempten.de
Internet: www.heimatliebe-kempten.de
Hauptgerichte von 16,50 € (Tiroler Backhendl) bis 28,90 € (Rinderfilet in Heu gegart), Drei-Gänge-Menue von 27 € bis 52 €
Und das sagen die Anderen: tripadvisor 4,5 von 5 Punkten

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2 Comments

    • Mutig, mutig, so anonym Herr/Frau „H.S. dasding“. Kein Gegenargument, und vor allem kein Name, sondern der feige Schutz der Anonymität: so lässt sich’s gut zurück kritteln. Also, mein Name ist Eberhard Opl und ich wohne in Augsburg. Und wie heißen Sie und wo wohnen Sie denn so?

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