„Als der Vater noch gelebt hat, da waren wir ein bodenständiges hohenzollerisches Gasthaus.“ Die Wortwahl ist wichtig. Wir sind nicht in Baden, wir sind nicht in Württemberg, wir sind in Hohenzollern. Die Alteingesessenen legen Wert auf diese Differenzierung, den Zugezogenen und den Bundesland-machenden Siegermächten ist und war sie weitgehend egal, und das ärgert die Alteingesessenen natürlich, bis heute. Küchenannahmeschluss ist strikt um 21:00 Uhr, hier geht niemand mehr um Mitternacht los, um was zu essen. Und es gäbe auch nichts, selbst der örtliche Döner und die Pizzabude schließen um 22:00 Uhr, in diesem properen hohenzollerischen Städtchen mit vielleicht 5.000 Einwohnern, in der Innenstadt ausschließlich alte, unzerbombte Fachwerkhäuser, eine mächtige Bruchsteinkirche, Rathaus, Bäcker, Metzger, ein paar alte bäuerliche Anwesen, nur der Supermarkt ist in einen gesichtslosen Industriebau am Stadtrand umgezogen, drum herum ein Gürtel von funktionalen, meist schmucklosen Nachkriegs-Ein- und Mehrfamilienhäusern mit großen Gärten, hier wurden früher Gurken und Kartoffeln angebaut und vielleicht ein paar Hühner und Kaninchen für den Eigenbedarf gehalten, dazu Grundschule, Sporthalle, ein paar größere Handwerksbetriebe, darum herum wieder sehr stattliche Einfamilienhäuser und sogar Villen, denen man ansieht, dass ihre Besitzer nicht zu den Verdammten dieser Erde, sondern zu den Besserverdienern dieser Republik zählen, genau das sind auch die Leute, die sich keinen Deut mehr darum scheren – es vielleicht auch gar nicht wissen –, dass ihre Häuslein in Hohenzollern stehen. Jakob ist noch in der Küche, die letzten Desserts frisch anzurichten, sein Bruder Johannes hat sich zu uns an den Tisch gesetzt. Der Gastraum leert sich langsam, Caro und ich haben fast nur Einheimische beobachtet, die mal eben 50 EURO und mehr pro Person für ein Abendessen ausgeben, denn ländlich-wohlfeil ist es hier nicht, dafür ist das Essen aber authentisch und atemberaubend gut, traditionelle badische – Verzeihung: hohenzollerische – Küche in Bestform mit hervorragenden, regionalen, frischen Zutaten, gekonnt zubereitet und freundlich-flott serviert in gepflegter, aber zwangloser Atmosphäre mit viel altem Fachwerk, Damast-Tischwäsche und Wiesenblumen auf den Tischen. Hier ist und isst man gerne.
„Jakob war immer mehr das Muttersöhnchen, hat schon früh in der Küche geholfen, sich was abgeschaut, immer an Mutters Rockzipfel. Ich war da eher der Wildere, einmal hat mich die Polizei nach Hause gebracht, nach einem Raufhändel vor der Disco in ***bach, da hatte einer gesagt, mein Bruder sei schwul, weil er so viel Frauenssachen mache, nun gut, um mich hat sich dann die Polizei gekümmert, um den anderen der Zahnarzt wegen des fehlenden Schneidezahns. Der Vater hat noch nicht mal geschimpft, ich hatte eher den Eindruck, er war ein wenig stolz auf mich. Ich habe damals dem Vater in der Metzgerei geholfen, Schweine abstechen und zerlegen, aber auch im Wald Holz machen und mit zur Jagd gehen, das war eher Meins als das Kochen in der Küche. Nach der Schule, Realschule, versteht sich, haben die Eltern bestimmt – nein, das ist falsch, hat der Vater bestimmt, die Mutter hatte da nichts zu sagen – was wir werden. Jakob musste eine Ausbildung zum Koch machen, in ***weiler, bei einem befreundeten, gar nicht mal so schlechten Wirt drüben in Frankreich, ich musste hier eine Metzgerlehre machen, nicht bei dem Vater, sondern in der Metzgerei die Straße runter, den gibt’s bis heute, der Sohn hat bei meinem Vater gelernt, ich bei seinem Vater, wir mögen uns nicht sonderlich. Mein Bruder stand fast jedes Wochenende bei seinem Lehrherrn in der Küche, mein Lehrherr hatte ab Samstagmittag geschlossen, also war ich fast jeden Samstag ab Nachmittag bei uns am Schanktresen, bis früh am Morgen, damals hatten wir diese strikten Öffnungszeiten noch nicht, Schluss war halt, wann der letzte Gast gegangen war, alle Stühle hochgestellt und der Schanktresen pikobello geputzt. Das war zum Teil echt hart: Montagmorgen um Zwei, manchmal wurde es auch Drei, das letzte Bier gezapft und um Fünf zum Säueabstechen beim Lehrherrn auf der Matte stehen. Dann hatten wir beide unsere Gesellenprüfung und kamen wie selbstverständlich zurück nach Hause, in den elterlichen Gasthof, mein Bruder musste die Mutter in der Küche entlasten, ich sollte nicht nur den Schanktresen, sondern das Personal, den gesamten Service, den Einkauf, die Buchhaltung übernehmen. Es hat mich Engelszungen gekostet, den Vater davon zu überzeugen, dass ich noch studieren durfte. Er hat schließlich eingewilligt, ich hatte ja während meiner Ausbildung fast jedes Wochenende am Schanktresen gestanden – unentgeltlich, versteht sich, die Hälfte meines Lehrlings-Lohns musste ich auch noch als Kostgeld an die Eltern abgeben –, während Jakob woanders gekocht hatte und nichts daheim abdrücken musste. Also gestand er mir ein BWL-Studium zu, aber nur ein sehr zügiges, vor allem aber wohl, um den Gasthof in Zukunft auch gut führen zu können. Zuerst Abi in der Abendschule nachholen, dann bin ich nach Stuttgart zum Studieren gegangen, eine absolut geile Zeit, eine Dorfschranze wie ich plötzlich in der Großstadt, eigene Studentenbude in der WG, keine Schweine mehr um Fünf abstechen, sondern Vorlesungsbeginn um Zehn, und wenn man einen Kater hatte oder eine Ösche im Bett, einfach nicht hingehen zu müssen, ein paar Mark auf der Tasche, die ersten Joints, das war eine so großartige und zugleich so verstörende Zeit. Aber faszinierend. Und dann wurde der Vater krank. Nach fünf Semestern musste ich mein Studium abbrechen und zurück nach Hause, ohne Diskussion. Mit dem Vater wurde nach einiger Zeit auch die Mutter krank, als hätte man ihr den Antrieb herausgenommen, sie konnte immer weniger in der Küche stemmen, Jakob übernahm mehr und mehr das Ruder an den Töpfen und Pfannen, die Mutter saß auf einem Stuhl in der Ecke neben den Abfallkübeln und gab Anweisungen und Ratschläge, als sie merkte, dass Jakob die Küche im Griff hatte, verstummte sie einfach und ließ ihn gewähren. Sie starb vor dem Vater. Der Vater lag noch fast drei Jahre in seinem Bett, grantelte und schimpfte, nichts konnten wir ihm recht machen. Ihn in ein Heim zu geben, war für uns keine Option, schließlich war es ja sein Haus, obwohl wir längst alles ohne ihn machten, und gepflegt haben wir ihn zusätzlich auch noch, reihum, unsere Frauen, der Jakob und ich. Damals habe ich dann die Metzgerei aufgegeben, das wurde einfach alles zu viel, und die Leute haben ihre Schnitzel und Würste längst mehr im billigeren Supermarkt gekauft als bei uns. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie der Vater getobt hat, trotz seiner Krankheit und Schwäche. Den Arsch konnte er sich längst nicht mehr selber abwischen, aber uns wüste Vorhaltungen machen, zu einer Wirtschaft hätte schon immer eine eigene Metzgerei gehört und das müsse auch so bleiben, das konnte er noch. Als seine Schmerzen zu stark wurden, haben sie ihn an die Morphiumpumpe angeschlossen, dann war Ruhe, noch ein halbes Jahr hat er vor sich hingedämmert, dann kam dieses multiple Organversagen, ein Wunder, dass dies so lange gedauert habe, haben die Ärzte damals gesagt.
Plötzlich waren der Jakob und ich Alleinbesitzer dieses alteingesessenen Landgasthofs. Zuerst mal konnte alles so weiterlaufen wie bisher, die letzten Jahre hatten wir das Geschäft ja auch alleine gewuppt, Einkauf, Personal, Küche, Buchhaltung, hatten wir ja eh alles längst ohne die Eltern gemacht, das lief ohnehin wie am Schnürchen. Aber dann macht man sich unter Brüdern halt schon so seine Gedanken. Ist es das, was wir bis zu unserem Lebensende machen wollen? Oder alles verkaufen, und irgendwo anders ganz neu mit was ganz anderem anfangen? Dann haben wir mal Preise sondiert, Makler kommen lassen. Glauben Sie mir, die Verkaufspreise für so einen etablierten Landgasthof mit solidem Kundenstamm und gesunden Geschäftszahlen, aber Renovierungsstau, sind lächerlich. Gegenwärtig ziehen mein Bruder und ich aus der Bude im Schnitt so 4.000 EURO im Monat raus, in guten Monaten mit vielen Familienfeiern, auch mal 10.000, zur Sauren-Gurken-Zeit manchmal nur 1.000, rot sind wir noch fast nie gelaufen. Viel geht halt für die ständigen Renovierungen und Modernisierungen drauf, das machen wir peu à peu, wie eben das Geld da ist, oder wenn uns die realitätsfernen Arschlöcher in Brüssel wieder mal zu irgendeinem Quatsch zwingen. Aber wenn Sie einen möglichen Kaufpreis für unseren Schuppen hier dann in Gedanken mal mit zwei, drei oder von mir aus auch mit vier Prozent verzinsen, das ist lächerlich, was da übrigbleibt.“ „Moment mal“, werfe ich ein, wenn das hier verkauft wäre, hätten Sie und Ihr Bruder nicht nur irgendwelche Zinseinnahmen aus einem Verkauf, sondern jeder von Ihnen auch noch 3.000 oder 6.000 EURO aus irgendeinem Job in der Gastro, den Sie dann machen würden, keine Ahnung, wie hier die Gehalts-Level sind.“ „Das mag so sein, aber 3.000 oder von mir aus auch 6.000 EURO brutto sind heutzutage 2.000 oder 3.000 EURO netto, das ist das Erste. Zweitens wohnen wir hier mir unseren beiden Familien umsonst, Mietkosten müssen Sie also auch nochmal abziehen. Drittens leben wir hier quasi kostenlos, was unsere Familien essen und trinken, das wird als natürlicher Schwund in der Küche verbucht, wenn überhaupt. Und viertens, für die Kinder ist rund um die Uhr gesorgt, irgendwer ist immer im Gasthof und kümmert sich um die Ratzen. Das müssen Sie alles in Ihre Milchmädchenrechnung einbeziehen. Und nicht zuletzt: wir wären nicht mehr unsere eigenen Chefs, sondern müssten nach der Pfeife irgendwelcher anderen Chefs tanzen, das mag niemand so wirklich, der mal sein eigener Chef war.“ „Heißt das, dass Sie und Ihr Bruder hier bis zu Ihrem Lebensende gefangen sind? Wollen Sie Ihre Kinder auch in die Gastro-Ausbildung zwingen, um einmal hier passende Nachfolger zu haben, die dann auch wieder ihr Leben lang hier gefangen sind, so wie Sie und Ihr Bruder?“ wirft Caro mit ziemlich scharfem Ton ein. „Gute Frage, verdammt gute Frage. Haben wir uns auch schon gestellt. Die Kinder helfen ja jetzt schon mit im Betrieb, kleine Aufgaben, Müll raustragen, Besteck polieren, Gemüse schälen, so was halt. Mal machen sie’s gerne, mal widerwillig, aber hier muss jeder mit anpacken. Meine Schwägerin und meine Frau helfen auch mal im Service oder in der Küche, wenn Not am Mann ist. Trotzdem setzen mein Bruder und ich alles daran, dass die Ratzen auf’s Gymnasium kommen und Abi machen, mit Abi stehen ihnen alle Wege offen. Wenn sie dann eine Lehre machen wollen, sollen sie, und wenn sie außerhalb der Gastro eine Lehre machen wollen, was weiß ich, als Metallbauer, sollen sie, und wenn sie studieren wollen, sollen sie erst recht, wir werden ihnen da nicht im Wege stehen, wie bei uns der Vater früher, wir werden sie unterstützen, und finanziell werden wir das auch irgendwie wuppen.“
Wortlos steht Johannes auf, geht zum Schanktresen, poliert vier Weingläser, holt eine Flasche aus dem kleinen Weinschrank, öffnet sie, kostet, befindet sie für gut und kommt mit der Flasche und den Gläsern zurück an den Tisch, gießt Caro und mir einen Probeschluck ein, auch wir befinden ihn für gut, genauer für sehr gut, Johannes füllt unsere drei Gläser, das Vierte ist wohl für seinen Bruder gedacht, wenn er denn mal aus der Küche kommt. Die Ehefrauen bekommen wir den ganzen Abend nicht zu Gesicht, nur ein vielleicht 15-jähriges Kind, das artig mit Küsschen, aber kurz angebunden dem Johannes Gute Nacht sagt. Johannes hat uns einen Malterdinger Spätburgunder vom Bernhard Huber drüben in Richtung Rhein serviert, dazu noch einen 2012er Jahrgang, wenigsten 30 EURO im Laden, eine Geschmacksbombe aus Röstaromen, Pflaume, Kirschen mit unglaublichem Bouquet, im Restaurant müsste so eine Flasche 90 bis 120 EURO kosten. „Sie haben Gäste, die so etwas bestellen, trinken und vor allem auch bezahlen?“ frage ich ungläubig. „Ob Sie’s glauben oder nicht, haben wir.“ Jakob hat sich unbemerkt von hinten genähert, setzt sich zu uns an den Tisch und gießt sich ein Glas Wein randvoll ein, die ersten Schlucke nimmt er für meinen Geschmack zu hastig. „Ich bin Jakob, der Koch, und der Bruder von dem da.“ Mit einer scheinbar verächtlichen Geste deutet er auf Johannes, nur unter zwei Menschen, die sich wirklich mögen und vertrauen, sind solcherlei Frozzeleien angebracht. Auch Caro und ich stellen uns artig vor. „Wissen Sie, sechs Mal im Jahr haben wir ein – neudeutsch nennt man es wohl – Weintasting im Nebenzimmer, gesetztes Menue, 20 bis maximal 30 Gäste, ich gebe ein neun-gängiges Menue vor, ohne Kompromisse, ich bin der Koch. Dann suchen wir uns drei badische Spitzen-Weingüter, immer andere, und bieten ihnen an, zu jeweils drei Gängen korrespondierende Weine zu stellen, und zwar ausschließlich ihre Spitzenweine. Dann machen wir was ganz Fieses, wir sagen den Weingütern, sie müssen untereinander ausbaldowern, wer seinen Wein zu welchem Gang stellt; komischerweise klappt das immer ohne große Probleme. Das Menue mit All you can drink bieten wir meist um 175 EURO an, zur Trüffelzeit auch schon mal mehr. Den Wein dazu kriegen wir von den Winzern selbstverständlich für lau. Den Apero im Stehen mit Variationen vom Winzer-Sekt bestreiten die Winzer natürlich ebenfalls, ich liefere dazu irgendwelches leichtes Fingerfood. Dafür dürfen sie im Vorraum drei Tischlein mit ihren sonstigen Weinen und Probiergläsern aufbauen. Nach dem vierten Gang gibt’s eine Menue-Pause und die – bereits reichlich angeschickerten – Gäste können ein Wine-Tasting an den drei Winzertischen machen, natürlich mit direkter Bestellmöglichkeit vor Ort. Nach dem Menue gibt’s nochmals ein gemütliches Beisammensein und De-Briefing im Vorraum bei den Winzertischen, und die Bestellungen von den mittlerweile ziemlich besoffenen Gästen gehen durch die Decke. Wir liefern den Winzern 20 bis 30 besoffene gestopfte Großkopferte, die pro Person 200 EURO für ein Abendessen locker ausgeben, dafür erhalten wir ein paar Flaschen Wein zum Essen umsonst. Das ist für die Winzer deutlich lukrativer und vor allem effizienter, als marketing-mäßig auf zig Stadtfesten, Weinmessen und Regional-Messen Tausendend von Schnorrern Probierschluck um Probierschluck zu geben, die dann ja doch nichts kaufen. Unsere Leute hingegen übertreffen sich beim Kaufen: Was, der Herr Installateur hat für 500 geordert, da muss der Herr Apotheker natürlich für 1.000 ordern, der Herr Doktor für 1.500 und der Herr Fabrikant für 2.000. Hier werden dann keine Weine mehr verkauft, sondern Schwanzlängen vermessen.“ Johannes fällt ein: „Uns ist recht bald klar geworden, dass dieses Geschäftsmodell irgendwie schief ist, zu unseren Ungunsten, selbst wenn wir an so einem Wein-Tasting-Abend sehr gut verdienen.“ „Und mir als Koch macht es einen Wahnsinns-Spaß, sechs Mal im Jahr richtig kochen zu dürfen, jenseits von Maultaschen und Spätzle – nichts gegen Maultaschen und Spätzle – aber so eine Wildpastete oder ein Hummer Thermidor sind schon noch mal eine ganz andere Herausforderung.“ „Irgendwann haben wir dann mal gesagt,“ fährt Johannes fort, „wir wollen 20 Prozent des Erstbestellwerts von dem Abend von den Winzern, und zwar nicht in Cash, sondern in Naturalien, also Wein. Die Winzer haben noch nicht einmal protestiert oder verhandelt. Und seitdem stehen sechs Mal im Jahr sehr nette Dinge hinten auf der Rampe vor der Küche, manchmal läuft das über die Bücher, manchmal läuft das als Bruch, das entscheidet jeder Winzer für sich, ist uns auch egal, so tief steigt kein Steuerprüfer bei uns ein, die Weinlieferungen mit den bonierten Weinen abzugleichen, und selbst dann gibt’s immer noch Bruch und Diebstahl, unsere Leute sind halt tapsig und falsch. Natürlich decken wir in erster Linie unsere billigen Hausweine und Schorlen mit diesen wohlfeilen Geschenken ab. Aber wir haben mittlerweile auch etliche Stammgäste, die erwarten und fordern ihren Spätburgunder für über 100 EURO bei uns. Auf die reguläre Karte setzen wir das Zeugs nie, die normalen Gäste würden ja denken, wir spinnen. Das geht alles unter der Hand weg, als ‚spezielle Empfehlung des Hauses‘. Wir kennen da unsere Pappenheimer. Aber das ist ein Nebenkriegsschauplatz, lukratives Geplänkel nebenbei. Aber wie geht es weiter mit dem Gasthof? Ganz vage Geschichte. Nehmen wir an, ein, zwei Kinder lernen Gastro und kommen zurück in den Betrieb, wir Alten übergeben langsam, die Jungen übernehmen, wir ziehen uns auf’s Altententeil zurück, zwei kleine Wohnungen gibt das Haus allemal her, groß genug ist es ja, granteln können wir dann auch, wir beide haben eine kleine Rente, die ohne große Lebenshaltungskosten dicke reicht, dazu eine kleine Pacht von den Kindern für den Betrieb, das wäre geradezu ideal. Jakob und ich könnten jetzt natürlich auch verkaufen und Kohle machen. Und dann? Halbwegs gescheit bezahlte Gastro-Jobs finden wir in der Umgebung kaum, wir müssten nach Stuttgart oder Baden-Baden oder Freiburg oder so gehen, um gute Jobs zu finden, da werden Leute wie wir gesucht und bezahlt. Und dann? Jeden Tag pendeln? Nach Stuttgart sind’s eineinhalb Stunden, nach Baden-Baden sogar zweieinhalb. Das tut sich niemand auf Dauer wirklich an. Also müssten wir hier wegziehen, in die Stadt, dort sind die Mieten hoch und die Wohnungen klein, da wären große Teile des vielleicht größeren Gehalts ganz schnell wieder weg. Aber noch viel schlimmer wäre, wir müssten die Kinder aus ihrem sozialen Umfeld hier reißen, das wollen wir und unsere Frauen auf keinen Fall. Und selbst wenn wir sagen, wir pendeln halt nur so lange, bis die Kinder flügge sind und sowieso ausziehen, dann sind wir beide so alt, dass uns keiner mehr nimmt.“ „Und was ist die Alternative, wenn Sie nicht verkaufen, aber auch kein Kind den Betrieb übernehmen will?“ fragt Caro. „Dann wird’s dünn, ganz dünn für uns.“ antwortet Johannes. „Dann haben wir noch genau vier Optionen.“ „Gleich vier hört sich erstmal gar nicht schlecht an.“ werfe ich ein. „Hören Sie sich erstmal die Optionen an. Aber ich hole erst nochmal Wein, oder möchten Sie was anderes?“ „Zusätzlich Wasser wäre nicht schlecht, aber sonst gerne wieder Wein. Aber diese Flasche bezahlen dann bitte wir.“ sagt Caro. „Das wäre ja wohl noch schöner!“ brummt Johannes, geht zum Tresen, öffnet eine weitere Flasche Malterdinger Spätburgunder, kostet sie, befindet sie für gut, stellt sie, je vier neue Wein- und Wassergläser (diesmal unpoliert) und zwei Flaschen Wasser auf ein Tablett, trägt alles zu unserem Tisch, lässt auch uns wieder probieren, auch wir befinden für gut, gießt allen ein und fährt sodann fort: „Option Eins ist, wir schuften hier bis zu unserem Lebensende, bis Jakob tot in der Küche und ich tot am Schanktresen umfallen. Für uns beide vielleicht eine saubere Lösung, aber was wird aus unseren Frauen? Was ist, wenn einer stirbt und der andere alleine das Haus nicht mehr wuppen kann? Option Zwei ist, wir schuften, bis wir nicht mehr können, aber wenigstens noch am Leben sind. Der magere Erlös aus dem Verkauf des Gasthofs, das Ersparte und unsere Renten sollten zumindest noch für ein paar Jahre Alten- oder Pflegeheim reichen, ist aber sicher ein verdammt blödes Gefühl ‚Du hast jetzt noch für fünf oder zehn Jahre Geld zum Leben, dann musst Du weg sein, sonst müssen Deine Kinder bluten.‘ Option Drei ist verpachten, wir bleiben irgendwo im Haus wohnen, bekommen eine faire Pacht, und alles läuft so weiter wie bisher, oder wird vielleicht sogar noch besser, wenn’s ein guter Pächter ist. Der gute Pächter ist der Casus Knacktus. Immer wieder wollen sich Leute in der Gastronomie selbstständig machen. Meistens sind das gescheiterte Existenzen mit Null Ahnung von der Gastro oder sie haben mal Aushilfs-gekellnert. Solche Leute wirtschaften Dir so einen Laden ruck-zuck runter, so schnell kannst Du gar nicht gucken, Umsatz wird gerne mal mit Gewinn verwechselt, Küche und Service werden schlecht, ganz einfach, weil sie’s nicht richtig können, dann versuchen sie, sich mit ganz viel Convenience zu helfen, aber Convenience ist teuer, irgendwann gibt’s dann den Schnitzeltag mit jedem Schnitzel für 9,99, schließlich Tiefkühlpizzen, und dann ist auch schon Schicht im Schacht und der Laden dicht, der Name ruiniert, ein paar Monate Pacht nicht gezahlt, wenn’s ganz üble Halunken sind, verschwinden sie nicht nur bei Nacht und Nebel, sondern lassen auch noch Vorräte, Besteck, teures Porzellan, Küchengerätschaften mitgehen, man sollte nicht glauben, wie viel in so ein, zwei Sprinter reingeht. Ich erzähle hier keine Horror-Märchen, genau so ist es ein paar bekannten Wirten in der Umgebung ergangen, nachdem sie sich Pächter in’s Haus geholt hatten. Aber manchmal sind es ja auch junge Leute mit einer Gastro-Ausbildung, sie meist Hotelfachfrau, er meist Küchenmeister, die mit viel Elan den Sprung in die Selbstständigkeit wagen wollen. Aber solche Leute sind sehr, sehr selten. Und die kommen dann aus ihren komfortablen 40-Stunden-Angestellten-Jobs, von mir aus auch mit Überstunden, und die merken dann plötzlich, dass man als Selbstständiger eine 60, 80 Stunden-Woche hat, dazu das ständige Risiko und die Verantwortung, und Verdienst-mäßig wachsen die Bäume auch nicht in den Himmel. Die machen das dann zwei, drei Jahre und kehren danach verschämt in ein Angestellten-Verhältnis zurück. Einen wirklich guten Pächter zu finden ist wie ein Sechser im Lotto. Jakob steht unvermittelt auf. „Noch jemand einen Schnaps? Wir haben eine Zwetschge aus dem Holzfass vom Adrian in Churfranken, verdammt guter Stoff!“ „Gerne!“ sagen Caro und ich fast synchron. Ich habe den Eindruck, dass Johannes seinen Bruder etwas vorwurfsvoll anblickt. „Danke, für mich nicht.“ brummt er. Jakob geht zum Schanktresen, gießt sich ein halbes Wasserglas der Barrique-Zwetschge ein, leert es auf ex, quasi als ob er prüfen müsse, ob der Schnaps noch ok sei, befindet ihn aber wohl für gut, dann gießt er – gänzlich unpassend – drei XO Cognac Schwenker aus der Sommeliers-Serie von Riedel fast voll – in so ein Teil gehen locker 160 Centiliter, also acht normale Schnaps rein, da die Flasche ohnehin fast leer ist, gießt sich Jakob den Rest in sein Wasserglas und ext es wieder, Johannes blickt sichtlich böse, sagt aber nichts; Jakob serviert die Schnäpse, wir prosten uns zu, Johannes blickt böser, Jakob nimmt einen kräftigen Schluck, ich nippe erstmal, Caro ext ihr Glas und grinst, die beiden Männer am Tisch, die sie nicht kennen, blicken ungläubig, mir ist schon klar, dass sie damit gleich zwei Statements setzen wollte und erfolgreich gesetzt hatte. „Wirklich lecker, Sie kennen sich aus. Also ich würde noch einen nehmen.“ sagt Caro. Ungläubig geht Johannes zum Schanktresen und schenkt Caro nach, seinem Bruder gießt er ostentativ nicht nach. Ich grinse in mich hinein. Johannes lässt die Flasche demonstrativ auf dem Tisch stehen und fährt fort: „Und dann gibt’s noch die Vierte Option, wir werden alt und kriegen nicht mehr so viel gewuppt und holen uns peu à peu Angestellte rein, die die Arbeit übernehmen, die wir nicht mehr schaffen. Das ist die größte Milchmädchenrechnung von allen. Wir haben’s mal über den Daumen zusammengerechnet: unsere Frauen und wir beide, wir arbeiten in der Regel zusammen weit über 150, 200 Stunden pro Woche für unser Gasthaus, die Kinder noch gar nicht mit eingerechnet. Das wären – mit Urlaub, Krankheit, Mutterschutz – fünf, sechs Vollzeitkräfte, wenn nicht mehr, und diese Gehälter gibt unsere Klitsche bei Weitem nicht her. Selbst wenn wir mit billigen Hilfskräften und Studenten arbeiten würden, würde sich das nie und nimmer rechnen, außerdem können die’s meist nicht richtig, und wir würden schlecht … oder zumindest schlechter.“ „Und was ist die Lösung?“ frage ich. „Keine Ahnung, es wäre ein Segen, wenn ein, zwei Kinder ihre Liebe zu dem Beruf und zu dem Betrieb entdecken würden“ (ich verkneife mir die Bemerkung, dass sie als Vetter und Base sogar heiraten dürften, das wäre böse), aber wir wollen die Kinder nicht in dasselbe Dilemma manövrieren, in dem wir stecken. Die sollen machen, was sie glücklich macht, wir werden sie in allem unterstützen. Schön wär’s trotzdem, wenn zwei mit der Wirtschaft glücklich würden, aber das müssen die Kinder wissen.“ Ungefragt hat sich Caro die Schnapsflasche genommen und sich selber nachgegossen, randvoll. „Es gäbe noch eine Fünfte Möglichkeit.“ sagt sie sybillinisch. „Fünfte Möglichkeit?“ fragen diesmal die Brüder fast synchron. „Ganz einfach, sehr gut versichern, fünf, sieben Jahre business as usual, und dann schlägt plötzlich der Blitz ein. Puff – alles weg, volle Versicherungssumme.“ „Haben wir uns natürlich auch schon überlegt,“ antwortet Johannes, „aber die Schadensermittler von heute kommen auch nicht mehr auf der Brennsupp’n dahergeschwommen.“ „Aber die Blitze von heute schwimmen auch nicht mehr auf der Brennsuppe, zumindest nicht die guten. Wenn Sie mal Bedarf an einem unauffälligen, natürlichen, zeitgemäßen Blitz hätten, sowas kann ich organisieren, da kann kein Versicherungsfuzzi auch nur irgendwas nachweisen. Dafür hat man seine Speziallisten an der Hand.“ Man sieht beiden Brüdern an, wie ihre Kleinhirne auf Hochdruck arbeiten. „Wir müssen jetzt in’s Bett,“ sagt Caro, ohne mich auch nur irgendwie zu fragen, „Danke für das überaus angenehme, lehrreiche, interessante Gespräch. Und wenn Sie beide mal Hilfe brauchen – in der einen oder anderen Sache – I’m at your disposal. Gute Nacht, die Herren.“ Sprach’s und entschwand Richtung Zimmer, ich murmelte verdattert noch irgendwas und folgte ihr. Vor der Tür der Wirtsstube drehte sich Caro nochmals um: „Ach, und ja, bitte wenigstens eine Flasche Wein und Zwetschge auf unsere Rechnung.“ Auf unserer Rechnung am nächsten Morgen fand sich nichts davon.
Hallo Hr. Opl,
da haben Sie nun eine Gaststätte entdeckt, leider wollen Sie den Namen nicht nennen,
was nachvollziehbar ist. Wie hat Ihnen denn der Brand von Adrian geschmeckt?
Huber Weine aus Malterdingen, besonders die Roten, mit das beste was man in diesem Bereich finden kann.