Auf Vorrat: ein erschreckendes Kochbuch

Um dies vorwegzunehmen: Das Kochbuch „Auf Vorrat“ von Margit Brauneder und Karin Buchart ist ein sehr gutes und vor allem auch ein sehr nützliches Buch, weitaus nützlicher als ein Dutzend neuer Hochglanz-Toskana-Kochbücher. Und trotzdem ist es ein erschreckendes Buch.

Anfangs erläutern die Autorinnen kenntnisreich und doch gut verständlich verschiedene Arten der Konservierung für den Haushalt. Erklärt werden nicht nur die unterschiedlichen Konservierungsmethoden – Fermentieren, Einlegen in Salz, Essig, Fett, Alkohol, Einkochen, Sterilisieren, Trocknen – sondern auch die dahinterstehenden chemischen und biologischen Prozesse, die zu verwendenden Gerätschaften, mögliche Fehlerquellen und nicht zuletzt die Auswirkungen spezifischer konservierter Speisen auf den menschlichen Körper und sein Wohlbefinden.

Der Rezeptteil beginnt – ganz traditionell – mit selbstgemachtem Sauerkraut, gleich ein Dutzend Rezept-Varianten bieten die Autorinnen hier an. Es folgen dezidierte, auch für den Laien leicht nachvollziehbare Rezepte mit genauen Mengenangaben, Temperaturen und Zeiten für viele Gemüse, Obstsorten, Pilze, Kräuter – wollte man flapsig sein, so könnte man sagen, alles, was in Garten, Feld, Wald und Flur nicht bei Drei auf dem Baum ist, wird hier eingemacht. Da sind einerseits altbekannte Klassiker wie eingelegte Gurken, Süß-Saurer Kürbis, Holundersirup oder diverse Gelees und Marmeladen, darüber hinaus gibt es zahlreiche internationale und vergessene regionale Rezepte, z.B. Kimchi, Kombucha, Ingwerpaste, Brombeeressig, fermentierter Lebkuchen oder Verjus.  Damit ist dieses Buch die ideale Handreichung sowohl für den Einmach-Neuling, der erst einmal die Basics erlernen will, als auch für den Profi, der neue, ungewöhnliche Rezepte sucht.

Und dennoch ist „Auf Vorrat“ ein erschreckendes Buch, denn in dem Buch steht – vielleicht mit Ausnahme der „exotischen“ Rezepte – nichts, was meine Großmutter nicht auch schon getan hätte. Ich schreibe hier bewusst getan und nicht gewusst. Meine Großmutter hatte wahrscheinlich keinerlei Ahnung von Fermentierung, Milchsäuregärung und Bakterien, aber sie machte einfach ein, so, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte. Ihr Keller war proppevoll von Weckgläsern, getrockneten Kräutern und Pilzen, Marmeladen, usw. Das war ja alles noch ok, aber wirklich schlimm war ihr Sauerkrautfass, ein großer Steinguttopf mit einem uralten, versifften, runden Holzdeckel mit einem Stein obendrauf, die milchige Flüssigkeit oben war stets dubios, und das Zeug stank vielleicht, aber gekocht ging’s dann. Irgendwann kamen die fetten Zeiten, Großmutter hat zwar noch weiter wacker ihr Sauerkrautfass befüllt, solange sie konnte, aber der Rest der Familie stieg mit wehenden Fahnen auf Hengstenberg Sauerkraut aus der Dose um, das war nicht nur kommod, das war auch hipp und schick und reich (und stank nur noch ein wenig beim Kochen). Aber tempora mutantur. Was mich dabei erschreckt, ist die Tatsache, dass Großmutters gesamtes praktisches Wissen in nur zwei Generationen komplett weg ist. Man könnte mir heute einen Kohlkopf und ein Sauerkrautfass geben, ich stünde da, wie der Ochs vor’m Scheunentor, ich hätte doch keine Ahnung, wie man aus dem Kohlkopf Sauerkraut macht. Mit Ausnahme einiger ländlicher Haushalte dürfte dieses traditionelle Wissen, vielleicht sollte man besser von traditionellem Können auch ohne viel Wissen sprechen, bundesweit einfach weg, futsch, verloren sein.

„Auf Vorrat“ ist noch aus einem zweiten Grund ein erschreckendes, vielleicht auch aufschreckendes Buch, denn es kommt zu einer denkwürdigen Zeit. So langsam entwickelt sich ein Bewusstsein in der Bevölkerung, dass die Zeiten der gefüllten heimischen Kühl- und Gefrierschränke, der übervollen Lebensmittelregale, Kühl- und Tiefkühltruhen in den Discountern, der durchgängigen Liefer- und Kühlketten auch mal vorbei sein könnten, ein europaweiter Blackout ist dabei nicht das worst case Szenario, sondern nur ein kleiner Vorbote der wirklichen Katastrophe. Aufgetaute heimische Tiefkühler, verdorbene Lebensmittelvorräte, leere, vielleicht sogar geplünderte Discounterregale, zusammengebrochene Logistikketten, aber hallo, glücklich, wer da ein wohl befülltes Sauerkrautfass im Keller hat.


„Auf Vorrat: Natürlich einkochen, fermentieren und haltbar machen.“ Von Margit Brauneder und Karin Buchart, Photos von Michael Brauer; Servus Verlag bei Benevento Publishing, Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg; ISBN-13 9783710403569; gebundene Ausgabe 256 Seiten; 28 EURO

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